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Länger und besser leben

BDI-Studie analysiert Entwicklung des Gesundheitsnutzens

Berlin (pag) – Eine vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Auftrag gegebene Studie analysiert die Entwicklung des Gesundheitsnutzens von 1993 bis 2013. Anhand von fünf Krankheitsbildern untersuchen Wissenschaftler die quantitative und qualitative Lebenszeitveränderung in diesem Zeitraum.

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Die Kernfragen der Studie lauten: „Leben wir länger und gesünder?“ und „Wie sehr hat sich die Dauer des Lebens und die Qualität des längeren Lebens verändert?“ Im Fokus stehen akute und chronische Erkrankungen mit unterschiedlich großen Fortschritten im Betrachtungszeitraum: Herzinfarkt, Schlaganfall, Brustkrebs, Prostatakrebs sowie Diabetes Mellitus Typ II. Um die Veränderung des Gesundheitsnutzens in Zahlen auszudrücken, verwenden die Studienautoren das Konzept der „Disability Adjusted Life Years“ (DALYs). Diese messen, wie viele Lebensjahre durch Krankheit vorzeitig verloren gehen oder mit gesundheitlichen Einschränkungen verbracht werden. Eine Verlängerung der Lebenszeit und eine Verringerung der gesundheitlichen Einschränkungen drücken sich in einem Rückgang der DALYs aus.
Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass die Gesamtbelastung durch DALYs in den fünf Krankheitsbildern von 8,54 Millionen (1993) auf 7,62 Millionen (2013) abnimmt. Anders ausgedrückt: Die Krankheitslast ist in 20 Jahren auf einen jährlichen Wert zurückgegangen, der 0,92 Millionen DALY‘s oder 10,8 Prozent unter dem Ausgangsjahr liegt. In allen Krankheitsbildern gebe es positive Tendenzen für den einzelnen, konstatiert Studienautor Karsten Neumann, ehemals IGES-Institut inzwischen bei Roland Berger. Ein besonders „plakativer Fortschritt“ sei bei Brustkrebs zu beobachten, wo sich der Verlust an Lebenszeit nahezu halbiert habe.

Der Wert medizinischer Innovationen

Der BDI hofft, mit der Studie eine breitere Diskussion über den Wert medizinischer Innovationen zu entfachen. Nach zahlreichen Analysen, die insbesondere die volkswirtschaftlichen Effekte der Gesundheitswirtschaft aufgezeigt haben, steht bei dieser Erhebung der Beitrag der Branche zu einem längeren und gesunden Leben im Mittelpunkt. Industrievertreterin Dr. Dagmar Braun, Braun Beteiligungs GmbH, spricht bei der Vorstellung der Studie von einer „Nutzenbewertung der gesamten Branche“. „Wir müssen deutlich machen, dass Gesundheit mehr als ein Kostenfaktor ist“, appelliert Oliver Schenk, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium. Deutschland sei ein „Gesundheitsland“, diese großartige Leistung gelte es vernünftig zu verkaufen.

Komplexe Frage: Wann zahlen sich Investitionen in Gesundheit aus?

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Bei der folgenden Podiumsdiskussion erläutert Prof. Bertram Häussler, Vorsitzender der Geschäftsführung des IGES Instituts, wie komplex es sei, den Impact von Investitionen in Gesundheit zu messen. „Manchmal muss man 20 Jahren warten, bis man Erfolg sieht.“ Prof. Tobias Kurth, Direktor des Instituts für Public Health an der Charité, weist darauf hin, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen vom medizinischen Fortschritt profitierten. Auch Dr. Bärbel-Maria Kurth vom Robert Koch-Institut, mahnt an, den Blick stärker auf benachteiligte Schichten zu lenken. Lebensstil und Prävention verdienten mehr Aufmerksamkeit. Sie betont außerdem, dass Deutschland viel Geld für medizinische Forschung ausgebe, die spitzenmedizinische Versorgung sei hierzulande super, Nachholbedarf sieht die Abteilungsleiterin Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring dagegen bei der „trivialen Versorgung“. Beispielhaft verweist sie auf den im Mai im Lancet veröffentlichten „Healthcare Access and Quality Index“, bei dem Deutschland auf dem 20. Platz landet (Link am Ende des Beitrages). Auch das Thema Forschung und Daten spielt bei der Diskussion eine wichtige Rolle. Die Autoren der Studie appellieren, dass die Datengrundlagen ausgebaut und verbreitert werden sollten. Für Erfassung, Verarbeitung und Aufbereitung müssten Standards entwickelt und die Interoperabilität der unterschiedlichen Systeme gewährleistet werden. Dieses Thema klingt auch im Schlussstatement von Prof. Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG, an, der seinen Fokus vor allem auf die digitale Transformation legt. Diese sei nicht mehr aufzuhalten. Pfundner fordert daher einen „Bauplan für die Digitalisierung der Gesundheitsinfrastruktur“.

 

Weiterführende Links:

„Entwicklung des Gesundheitsnutzens – Veränderung der Krankheitslast von 1993 bis 2013 für ausgewählte Krankheitsbilder“; Studienbericht im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Autoren: Kasten Neumann, Holger Stibbe, Dennis Alexander Ostwald, Sebastian Himmler, Malina Müller, Oliver Damm, Stefan Scholz, Wolfgang Greiner
http://bdi.eu/media/themenfelder/gesundheitswirtschaft/publikationen/201704_Studie_BDI_IGES_Gesundheitsnutzen.pdf

Healthcare Access and Quality Index based on mortality from causes amenable to personal health care in 195 countries and territories, 1990–2015: a novel analysis from the Global Burden of Disease Study 2015
www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)30818-8/fulltext

 

DIE STUDIENERGEBNISSE IM EINZELNEN

Brustkrebs: Die gemessene Inzidenz, das heißt die Häufigkeit der Neuerkrankungen, ist – vermutlich durch Screeningmaßnahmen – im Betrachtungszeitraum angestiegen, gleichzeitig tritt die Ersterkrankung geringfügig später auf. Die Überlebenschancen jeder einzelnen Patientin haben sich deutlich erhöht. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität während der Zeit der Erkrankung ist leicht gesunken. Insgesamt ist daher ein deutlicher Rückgang der DALYs zu verzeichnen, der insbesondere auf die höheren Überlebensraten zurückgeht.

Herzinfarkt: Die durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre (Years of Life Lost, kurz YLLs) sind bei Männern eindeutig zurückgegangen. Bei den Frauen ergibt sich durch eine Verschiebung der Altersverteilung ein konstanter Verlauf der YLLs, obwohl diese sich innerhalb der gleichen Alterskohorten ebenfalls reduzieren. Die Krankheitsfolgen bzw. die durch Krankheit beeinträchtigten Lebensjahre (Years Lived with Disability, kurz YLDs) sind beim Herzinfarkt wenig relevant und bleiben auf niedrigem 
Niveau nahezu konstant. Entsprechend nehmen auch die DALYs bei Männern ab, bei den Frauen dagegen nicht. Der stärkste Effekt ergibt sich auf der Bevölkerungsebene, da die Häufigkeit der Neuerkrankungen sehr deutlich zurückgeht.

Schlaganfall: Wie beim Herzinfarkt gehen auch beim Schlaganfall die YLLs bei Männern deutlicher zurück als bei Frauen. Die Krankheitsfolgen (YLD) bleiben auf niedrigem Niveau nahezu konstant. Die DALYs nehmen bei Männern deutlich, bei Frauen leicht ab.

Diabetes: Die DALYs bei Diabetes nehmen in beiden Geschlechtern konstant ab. Der Effekt wird vor allem durch die Reduzierung von Folgeerkrankungen (YLD) erzielt. Die YLLs spielen bei Diabetes eine vergleichsweise geringe Rolle, gehen aber ebenfalls leicht zurück.

Prostatakrebs: Auch bei Prostatakrebs ist die gemessene Inzidenz – vermutlich durch Screeningmaßnahmen – zunächst angestiegen, sie nimmt seit vier bis fünf Jahren aber wieder ab. Gleichzeitig tritt die Ersterkrankung geringfügig später auf. Wie beim Brustkrebs gilt: Die Überlebenschancen der Patienten haben sich deutlich erhöht, während die Beeinträchtigung der Lebensqualität bei der Erkrankung praktisch konstant ist. Insgesamt ist daher ein deutlicher Rückgang der DALYs zu verzeichnen, der insbesondere auf die höheren Überlebensraten zurückzuführen ist.