In Kürze

„Wer früher stirbt, war länger arm“

Berlin (pag) – Sozialstatus und Bildungsniveau sind die zwei entscheidenden Faktoren für gesundheitliche Ungleichheit und damit das Risiko, vorzeitig zu sterben, sagt Reiner Klingholz. Der Direktor des Berlin-Instituts hat eine Studie vorgestellt, die sich mit Unterschieden bei der Lebenserwartung sowie deren Ursachen beschäftigt.

Geschätzte Überlebenswahrscheinlichkeit in Prozent für 18- bis 90-Jährige nach sozioökonomischem Status und Geschlecht in Deutschland, 2011 (Quelle: Sudie „Hohes Alter, aber nicht für alle – Wie sich die soziale Spaltung auf die Lebenserwartung auswirkt “, Seite 11 © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Berlin)

Global ist die Lebenserwartung stetig angestiegen. Dank Fortschritten der modernen Medizin und bei der Prävention verschiebe sich die Sterblichkeit in den reichen Ländern in ein immer höheres Alter, heißt es in der Studie. Dadurch erreichten einzelne Bevölkerungsgruppen zwar immer neue Rekordwerte bei der Lebenserwartung, „aber die weniger Privilegierten bleiben zurück“. Bestehen diese Unterschiede weiter oder vergrößern sie sich sogar, bleibe dies nicht ohne Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung. Und: Die Kostensteigerung, die aufgrund der Alterung zu erwarten ist, könnte letztlich dazu führen, dass es selbst den reichsten unter den reichen Ländern nicht mehr gelinge, die Lebenserwartung weiter zu steigern, warnen der Autoren. Sie nennen in der Expertise zahlreiche interessante Daten: beispielsweise, dass die mittlere Lebenserwartung für US-Amerikaner 2015 gegenüber dem Vorjahr statistisch um fünf Wochen auf 78,8 Jahre gesunken ist, nachdem sie über zwei Jahrzehnte, wenn auch schwach, gestiegen ist. Ebenfalls in den USA liegen rund 20 Jahre zwischen dem Bezirk (County) mit der höchsten und jenem mit der niedrigsten mittleren Lebenserwartung. Aber auch für Deutschland gibt es bezogen auf die unterschiedliche Lebenserwartung eindrückliche Zahlen: Neugeborene Jungen im wohlsituierten bayerischen Landkreis Starnberg könnten mit rund acht Jahren mehr Lebenszeit rechnen als ihre Geschlechtsgenossen in der ehemaligen Schuhmachermetropole Pirmasens in Rheinland-Pfalz. Weiter heißt es, dass selbst in den am weitesten entwickelten Ländern mit der geringsten sozialen Ungleichheit die Unterschiede in der Sterblichkeit nach Bildung zugenommen haben. In den skandinavischen Staaten, in Finnland, Belgien, Frankreich und der Schweiz sei die Lebenserwartung höher Gebildeter stärker angestiegen als jene der bildungsferneren Schichten. „Gesellschaft und Politik müssen aktiv werden, um diese Ungleichheiten zu verringern“, lautet das Fazit der Studie. Dabei werden unter anderem folgende Handlungsfelder genannt: Chancengleichheit schaffen, Prävention durchsetzen, die Risikofaktoren Ernährung und Rauchen steuern, Kindersterblichkeit senken und gesunde Städte planen. Zu dem Stichwort Gesundheitssystem verbessern heißt es, dass dieses in den Industrieländern zukunftsfest zu machen sei, das Kostenproblem müsse man in den Griff bekommen. „Es muss möglich sein, über Kosteneffektivität und Rationierung mancher Leistungen zu diskutieren. Gleichzeitig gilt es jedoch abzuwägen, ob Kürzungen und Sparmaßnahmen heute nicht auf lange Sicht wieder Mehrkosten verursachen.“

Weiterführender Link:
Download der Studie „Hohes Alter, aber nicht für alle“: www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Hohes_Alter/Lebenserwartung_online.pdf