Im Gespräch

„Warum die Früherkennung von Alzheimer so wichtig ist“

Prof. Klaus Gerwert über neue Biomarker-Tests

Berlin (pag) – Ein neuer Bluttest kann im Mittel acht Jahre vor der klinischen Diagnose auf eine Alzheimer-Erkrankung hinweisen. Der Biophysiker Prof. Klaus Gerwert von der Ruhr-Universität Bochum hat ihn entwickelt. Im Interview erklärt er, was er sich von dem Test erhofft.

Prof. Dr. Klaus Gerwert © RUB, Kramer

Die Demenzforschung gilt als schwieriger Forschungsbereich. Es scheint einen Perspektivwechsel hin zu Früherkennung und Prädiktion mittels Biomarker zu geben. Was versprechen sich Wissenschaftler von diesem Ansatz?

Gerwert: Die Forschungscommunity ist überzeugt, dass dringend Biomarker gebraucht werden, insbesondere blutbasierte, um die Krankheit möglichst breit erkennen zu können. Die Früherkennung ist wiederum wichtig, um eine erfolgreiche Therapie zu installieren. Einige Firmen wie etwa Roche oder Biogen sind mit Antikörper-Thera-pien gegen Beta-Amyloid* bereits in der klinischen Phase III und könnten, wenn diese erfolgreich verläuft, bereits in fünf Jahren mit Medikamenten auf dem Markt sein. Dann werden Tests, die bereits in einem symptomlosen Zustand das hohe Alzheimer-Risiko angeben, extrem wichtig und hilfreich sein.

Können Sie das genauer erklären?

Gerwert: Ein Beispiel: Eine Nature-Veröffentlichung** der Firma Biogen zeigt, wie sich bei Probanden, die das Präparat der Firma über ein Jahr bekommen, die Amyloid Plaques*** im Gehirn auflösen. Das wurde sehr anschaulich im Positronen-Emissions-Tomographie (PET-)Scanning dargestellt. Ferner sieht man, dass die behandelten Personen mit der kognitiven Leistung konstant blieben, während die Vergleichsgruppe in der kognitiven Leistung abstürzte. Zusammengefasst bedeutet das: Man kann zwar Alzheimer noch nicht heilen, man kann aber den Status stabilisieren. Und je früher der Status stabilisiert wird, umso besser bleibt die kognitive Leistung erhalten.

Der von Ihnen entwickelte Biomarker-Bluttest kann im Mittel acht Jahre vor der Alzheimer-Diagnose auf die Krankheit hinweisen. Wie funktioniert das?

Gerwert: Etwa 15 bis 20 Jahre vor dem klinischen Ausbrechen der Krankheit wird das Amyloid-Beta-Protein nicht mehr in eine gesunde, sondern in eine kranke Form gefaltet. Diese Fehlfaltung können wir mit unserem Test messen und damit sehr früh ein Ereignis, das direkt mit der Erkrankung korreliert oder ursächlich dafür ist, feststellen. Dabei wird die von uns entwickelte Immuno-Infrarot-Sensor-Technologie verwendet, um das Verhältnis von pathologischem und gesundem Amyloid-Beta zu messen. Im Unterschied zu bisherigen diagnostischen Verfahren bei Alzheimer wie kostenintensives PET oder anhand Biomarker aus der invasiv zu gewinnenden Rückenmarksflüssigkeit könnte unser Bluttest ein kostengünstiges und minimal-invasives Screening ermöglichen. Der Bluttest ist neu und unterscheidet sich damit von allen anderen Tests, die bereits verfügbar sind.

Und wann kommt er auf den Markt?

Gerwert: Wir sind jetzt dabei, das Ganze zu miniaturisieren, dann wird der Test etwa in eine Zigarrenkiste hineinpassen. Angewendet haben wir ihn bisher an über 800 Probanden. Nachdem er bei uns im Labor gut funktioniert, wird das Verfahren momentan standardisiert. Wir sind auch damit beschäftigt, die Sensitivität und die Falsch-Positiv-Rate zu verbessern, indem der Test spezifischere neu entwickelte Antikörper berücksichtigt. Kombinieren wir ihn mit einer Rückenmarksflüssigkeitsanalyse, bei der die Fehlfaltung eines zweiten wichtigen Proteins, des Tau-Proteins, gemessen wird, kann die Sensitivität und Spezifität unseres Tests auf über 90 Prozent gesteigert werden. Insgesamt gehe ich davon aus, dass wir in etwa drei Jahren damit auf den Markt kommen werden.

Neben dem von Ihnen entwickelten blutbasierten Biomarker-Test gibt es noch weitere, die in der Entwicklung sind, oder?

Gerwert: Es stimmt, dass jetzt immer mehr Blutbiomarker-Tests aufkommen. Es gibt eine sehr inter-essante Arbeit von einem japanisch-australischen Forscherkonsortium. Bei deren Verfahren wird mittels Massenspektroskopie das Verhältnis von Aβ40 zu Aβ42 gemessen. Der Test misst das Fehlen von Aβ42 und damit indirekt die Belastung des Gehirns mit Amyloid Plaques. Das ist sicherlich ein wichtiger Test für die Forschung, er ist derzeit noch sehr aufwendig und teuer.

Was wird Ihr Test voraussichtlich kosten?

Gerwert: Ich vermute, dass er in der Größenordnung von ELISA****-Kosten liegen wird, also etwa 200 bis 400 Euro. Im Prinzip hilft dieser medizinische Fortschritt aber, enorme Kosten zu sparen. Denn wenn man die Erkrankung nur um ein Jahr herauszögern kann, spart man dadurch erhebliche Kosten. Das größte Risiko für Alzheimer ist das Alter – und wir sind eine alternde Gesellschaft. Wir brauchen daher dringend die Früherkennung, um die Krankheit besser therapieren und zumindest weiter herausschieben zu können.

*    Beta-Amyloid: Dabei handelt es sich um Proteine, die als Hauptauslöser von Alzheimer diskutiert werden.
**    Sevigny J, Chiao P, Bussière T, Weinreb PH et al.,The antibody aducanumab reduces Aβ plaques in Alzheimer‘s disease.Nature. 2016 Sep 1; 537(7618):50-6. doi: 10.1038/nature19323.
***    Zwei verschiedene Eiweißablagerungen sind charakteristisch für die Alzheimer-Krankheit: Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen.
****    ELISA ist ein immunologisches Verfahren, das bestimmte Moleküle in Körperflüssigkeiten nachweist. Die Abkürzung steht für Enzyme-Linked Immunosorbent Assay.

ZUR PERSON

Prof. Klaus Gerwert ist seit 1993 Leiter des Lehrstuhls für Biophysik der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Zusammen mit klinischen Forschern gründete er 2010 als Sprecher PURE (Protein Research Unit Ruhr within Europe). Schwerpunkt des europäischen Proteinforschungskonsortiums ist die Früherkennung von Krankheiten wie Krebs, Parkinson, Multiple Sklerose oder Alzheimer. Gerwert ist außerdem Gründungsdirektor des Bund-Land-finanzierten Forschungsbaus für molekulare Proteindiagnostik (ProDi).
Mehr über den von ihm entwickelten Test können Sie hier nachlesen: www.bph.rub.de/pressemitteilungen/061.htm