Im Fokus

„… was wir bezahlen können und was wir bezahlen wollen“

Experten debattieren über den Wert von Innovationen

Berlin (pag) – „Innovationen in der Onkologie: Patientensegen und Zahlersorgen?“ lautet kürzlich das Thema eines Panels auf dem Hauptstadtkongress in Berlin. Der Bogen wird dabei weit gespannt: von amerikanischen Arzneimittelpreisen bis hin zum „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV).

Den Patientensegen stellt Prof. Carsten Bokemeyer dar. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) nimmt das Publikum auf einen Innovationsstreifzug durch die Onkologie mit, wichtige Stichwörter lauten dabei: molekulare Krebsmedizin, Immuntherapien und CAR-T-Zell-Therapien. Der Mediziner verweist auf deutlich verbesserte Überlebenszeiten der Patienten. Diese seien häufig nicht auf einzelne Therapien zurückzuführen, sondern auf Sequenzen oder Kombinationen mehrerer. Daher sei es im Bewertungsprozess neuer Medikamente schwierig, „ganz explizit den Überlebensvorteil eines einzigen Medikaments in einer längeren Behandlungskaskade festzulegen“. Insgesamt, hält Bokemeyer fest, konnten noch nie so erfolgreich wie heute Grundlagenerkenntnisse in innovative Therapien umgesetzt werden.

Innovationsstreifzug, Preisstrategien und Datentransparenz – es debattieren: Christoph Straub, Thomas Müller, Matthias Suermondt, Wolfgang Greiner (Moderation) und Carsten Bokemeyer (v.l.n.r.) © pag, Fiolka

Intensive und offene Debatte nötig

Die Zahlerperspektive vermittelt im Anschluss Prof. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Er weist darauf hin, dass innovative Präparate häufig bereits für eine initiale Therapie hunderttausende Euro kosteten – wenn man das kombiniere, kommt man oft auf über eine halbe Million Euro pro Patient, rechnet der Kassenchef vor. „Das sind Summen, die in einem Solidarsystem schwer aufzuwenden sind.“ Finanzierungsansätze wie Risk-Sharing oder Pay for Performance hält Straub für nicht hinreichend und nachhaltig, um das Problem zu lösen. Man benötige hierzulande einen übergreifenden Konsens, wie mit den globalen Pricing-Strategien der Hersteller umzugehen sei. „Es bedarf einer intensiven und offenen Diskussion darüber, was wir bezahlen können und was wir bezahlen wollen.“

Die Diskussion über Arzneimittelpreise sei hierzulande relativ ruhig geworden, merkt Thomas Müller aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) an. Ganz anders in den USA, wo es sich um ein Top-Thema handele. Er erwartet, dass die starke Preisdiskussion in Amerika zu einem hohen Kostendruck in Europa führen werde. Für den Leiter der Abteilung Arzneimittel im BMG müssen Preise eine Balance schaffen – und zwar zwischen Anreiz und Bezahlbarkeit. Innovationen benötigten Anreize und mit Preisen setzte man diese für einen Wertschöpfungszyklus, der einen Zeitraum von 20 Jahren umfassen kann. Innovative Medikamente müssten aber auch bei möglichst vielen Patienten ankommen. Dabei stießen die Renditeerwartungen der Hersteller auf komplett unterschiedlich aufgestellte Gesundheitssysteme. Deutschlands sehr komfortable Situation lasse sich nicht mit der von Bulgarien, Polen oder Portugal vergleichen, führt Müller aus.

Enge Zusammenarbeit und Datentransparenz

Auch die aktuelle gesundheitspolitische Gesetzgebung kommt bei der Expertendiskussion nicht zu kurz, insbesondere das GSAV. Das Gesetz sieht eine anwendungsbegleitende Datenerhebung vor. Die Grundidee sei, den Mangel an Evidenz vor der Zulassung mit möglichst guter Evidenz nach der Zulassung auszugleichen, erläutert der Ministeriumsvertreter. „Wir brauchen begleitende Datenerhebung nach Produkteinführung“, begrüßt Dr. Matthias Suermondt, Vice President Gesundheitspolitik und Marktzugang von Sanofi-Aventis Deutschland, den Ansatz des GSAV. Allerdings stecke der Teufel im Detail. Aus eigenen Erfahrungen wisse man, wie lange Registerstudien brauchen, um „in die Gänge zu kommen“. Bei kleinen Patientenzahlen hält Suermondt außerdem europäische Lösungen für sinnvoll.
Er geht auch auf die Schwierigkeiten der von Straub erwähnten Erstattungsmodelle wie Pay for Performance ein. Zentral sei dabei die Frage: Woran wird der Erfolg gemessen? Noch vergleichsweise einfach sei es, wenn – wie bei den CAR-T-Zell-Therapien – auf Heilung gehofft wird. Gehe es aber um Überlebensverlängerung, welche Rolle spielen dann Lebensqualität und Progression Free Survival? „Das sind Endpunkte, die unheimlich schwierig in ein Vertragswerk zu fassen sind“, erklärt Suermondt. Er appelliert, dass Kassen und Unternehmen noch enger zusammenarbeiten müssten und Datentransparenz zu einem früheren Zeitpunkt herzustellen sei, sodass auf Basis gemeinsamer Patientenzahlen über Verträge gesprochen wird. Es sei noch viel zu tun, hält Suermondt fest, doch die Chancen und Möglichkeiten, die sich ergeben könnten, seien die Anstrengungen wert.

Von der Krebsversorgung abgehängt?

Ebenfalls auf dem Hauptstadtkongress wird die zweite wissenschaftliche Studie zur künftigen Krebsversorgung präsentiert. Erstellt hat sie das Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald im Auftrag der DGHO. Demnach wird die Zahl der Krebsneuerkrankungen zwischen 2014 und 2025 voraussichtlich um etwa zehn Prozent auf über 520.000 pro Jahr zunehmen. Auch die Zahl der Menschen, die mit Krebs leben, wird hierzulande stark ansteigen. Die Versorgungsstrukturen müssen dieser Entwicklung angepasst werden, fordert daher die Fachgesellschaft.
Einige Ergebnisse der Studie: Den stärksten Zuwachs an Patientenzahlen zeigen Krebsentitäten, die im Alter häufig sind: bei Männern der Prostatakrebs, bei Frauen der Brustkrebs. Die höchsten relativen Zuwachsraten werden für Männer beim Harnblasenkrebs, für Frauen beim Magen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs erwartet. Die Zehn-Jahres-Prävalenz von Krebserkrankungen nimmt zwischen 2014 und 2025 deutlich zu: um etwa acht Prozent auf fast drei Millionen Patienten. Mit der demografischen Alterung steigt die Zahl der Patienten, die neben Krebs an mindestens einer weiteren chronischen Erkrankung leiden.
Prof. Maike de Wit von der Arbeitsgemeinschaft der Hämatologen und Onkologen im Krankenhaus fordert Versorgungsstrukturen, die es erlauben, die Kompetenz der spezialisierten Zentren in der Fläche verfügbar zu machen. Andernfalls riskiere man, dass „ganze Landstriche oder alte Menschen bei der Krebsversorgung abgehängt werden“. Sinnvoll seien mehr Möglichkeiten für die Delegation ärztlicher Leistungen und mehr Anstrengungen, um Medizinische Versorgungszentren auch an kommunalen Krankenhäusern zu implementieren. Für den DGHO-Vorsitzenden Prof. Carsten Bokemeyer sind die Studienergebnisse ein Aufruf, die Krebsprävention voranzutreiben. „Das Krebsrisiko steigt mit dem Alter deutlich an, aber es ist nicht unbeeinflussbar.“

Weiterführender Link
Studie: „Deutschlandweite Prognose der bevölkerungsbezogenen Morbiditätserwartung für häufige Krebserkrankungen“
https://www.dgho.de/publikationen/schriftenreihen/demografischer-wandel/dgho_gpsr_xiv_web.pdf