In Kürze

Plötzlich Rationierung

Das Gesundheitswesen bereitet sich auf harte Entscheidungen vor

Mangelerfahrungen sind im deutschen Gesundheitswesen bisher die Ausnahme. Rationierung, die Zuteilung nur beschränkt vorhandener Güter, erfahren bisher vor allem jene Menschen, die auf der Warteliste für ein neues Herz oder eine neue Niere stehen. Jetzt ist die gesamte Bevölkerung mit einer drohenden Unterversorgung konfrontiert.

Die bangen Fragen, die alle umtreiben: Werden die Intensivbetten ausreichen? Haben wir genügend Beatmungsgeräte? Und wie steht es mit den Ärztinnen und Ärzten sowie den Pflegekräften – können sie die steigenden Patientenzahlen bewältigen? Mit Blick auf die Bilder und Berichte aus Italien geht es außerdem um eine Frage, die bisher ein Tabu darstellt: Wer wird behandelt und wer nicht? Wer muss sterben?

Priorisierung nach Alter oder Erfolgsaussicht?

In Italien ist es das Alter, das in dieser Krisensituation den Ausschlag gibt, ob ein Patient aufgegeben wird oder nicht. Für Ärzte stellt eine solche Entscheidung – zumal wenn sie ohne Unterstützung oder Richtschnur getroffen werden muss – eine unvorstellbare Belastung dar. Deshalb hat der Deutsche Ethikrat in seiner jüngst veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlung ausdrücklich davor gewarnt, den einzelnen Ärzten die Verantwortung aufzubürden, in Situationen katastrophaler Knappheit über Leben und Tod zu entscheiden. Mehrere Fachgesellschaften haben sich inzwischen auf eine gemeinsame klinisch-ethische Empfehlung geeinigt: Die Priorisierung solle sich am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren, sagen die Experten. Vorrangig werden dann diejenigen Patienten notfall- oder intensivmedizinisch behandelt, die dadurch eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben.

Verteilungsgerechtigkeit im Fokus

Nicht nur in der Intensivmedizin stehen Priorisierungsentscheidungen an. Auch die Verteilung eines hoffentlich in absehbarer Zeit zur Verfügung stehenden Impfstoffes wirft Verteilungsfragen auf. Offensichtlich ist, dass Ärzte und Pflegende zuerst geimpft werden sollen. Bei der exakten Definition der Risikogruppen und deren Rangfolge dürfte es schon schwieriger werden. Und ein Wettrennen der verschiedenen Staaten auf den Impfstoff muss vermieden werden. Die Donald-Trump-Maxime „America First“ darf nicht gelten. Auch Lotterien sind keine Lösung. Ganz grundsätzlich geht es darum, wie weit eine Gesellschaft bereit ist zu gehen, um die Zahl der Covid-19-Toten möglichst gering zu halten. „Nur wenig sind wir auf die Frage vorbereitet, welche Obergrenzen für monetäre, soziale und gesundheitliche Kosten wir bereit sind zu akzeptieren“, merkt der Medizinethiker Prof. Daniel Strech an.
Wir sollten diese Frage ernst nehmen.

 

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