Im Gespräch

„Ich rechne mit deutlichen Widerständen“

Nachgefragt bei PD Dr. Sebastian Kuhn

 

Privatdozent Dr. Sebastian Kuhn hat einen Master of Medical Education. Er ist Oberarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Ausbildungsforscher und Hochschuldidaktiker an der Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Außerdem hat Kuhn die M3D.digital GmbH gegründet, deren Geschäftsführer er ist. © pag, Fiolka

Braucht es gleich drei neue Berufe, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen sinnstiftend zu gestalten oder reichen dafür nicht fundierte Fort- und Weiterbildungen für die etablierten Professionen aus?

Kuhn: Die fundierte Weiterentwicklung der etablierten Professionen ist dringend notwendig. In diesem Punkt stimme ich Ihnen ganz zu und ich entwickle und implementiere hierzu bereits seit mehreren Jahren entsprechende Bildungskonzepte. Trotzdem ist dies zur effektiven Gestaltung des digitalen Wandels im Gesundheitssystem nicht ausreichend.

Warum?

Kuhn: Die aktuelle Covid-19-Krise zeigt besonders deutlich, wie komplex die Schaffung neuer Behandlungsabläufe unter Einbeziehung digitaler Technologien ist. Vieles, was technisch möglich und medi-zinisch sinnhaft ist, wird derzeit noch nicht genutzt.

Zum Beispiel?

Kuhn: Konkrete Beispiele wären das „Home-Monitoring“ mit Smart Devices oder der effektive intersektorale Austausch relevanter Behandlungsdaten. Hierzu sind viele Einzelschritte notwendig, von der Unterstützung einzelner Patienten, der Ausgestaltung der Prozesse hin zur Integration in das Gesundheitssystem. Diese benötigen hohe Kompetenzen für Gesundheit, Digitalisierung und die damit einhergehenden medizinischen, technischen, rechtlichen und ethischen Implikationen.

Das deutsche Gesundheitswesen ist nicht besonders innovationsfreudig. Das gilt auch für neue Berufe wie den Physician Assistant, mit dem sich etwa noch viele Ärzte schwertun. Mit welchen Widerständen rechnen Sie bei der Etablierung von neuen Digitalberufen?

Kuhn: Mit Widerstand rechne ich vor allem bei der Implementierung der Fachkraft für digitale Gesundheit. Sie trägt als Bindeglied zwischen Patienten, Fachpersonal und technologischen Anwendungen zur Erhöhung der Versorgungsqualität vor Ort bei. Weil bei diesem Beruf ein vieltausendfacher Bedarf vorausgesetzt werden kann und ein patientennahes Handeln stattfindet, rechne ich mit deutlichen Widerständen. Mit weniger Widerständen rechne ich beim Prozessmanager für digitale Gesundheit, der für die Implementierung und Aufrechterhaltung innovativer Versorgungsabläufe zuständig ist, und beim Systemarchitekt für digitale Gesundheit, der als Change-Manager innerhalb der jeweiligen Institution die großen Linien für die digitale Transformation vorgibt.

Wie müssten die konkreten Schritte aussehen, um die Fachkraft, den Prozessmanager und den Systemarchitekten für digitale Gesundheit zu implementieren? Wer muss handeln?

Kuhn: Als Teil der Digitalisierungsstrategie muss die Politik dringend den Qualifizierungsbedarf der Fachkräfte adressieren. Dies umfasst insbesondere auch die Schaffung neuer Berufe. Die Politik und die Kostenträger haben hierbei die Finanzierung zu gewährleisten. Gleichzeitig müssen Bildungsinsti-tutionen die notwendigen organi-satorischen, personellen und finanziellen Maßnahmen in die Wege leiten. Für die Fachkraft für digitale Gesundheit muss eine standes- und sozialrechtliche Anerkennung abgesichert sein. Hierbei sind vor allem Politik, Selbstverwaltung und Kostenträger gefordert. Weitere wichtige Schritte umfassen eine gezielte Innovationsförderung.

Wie hat diese auszusehen?

Kuhn: Die Institutionen des Gesundheitssystems sollen Strukturen und Anreizsysteme schaffen, um Aktivitäten für digitale Innovationsarbeit zu fördern. Inkubatoren und Innovation-Hubs ermöglichen hierbei einen Dialog zwischen den Stakeholdern und sind für die drei genannten Berufe ideale Wirkungsstätten, um die Implementierungsprozesse effektiv voranzutreiben.

 

Hinweis:
Siehe auch den Beitrag „Digitale Wende braucht neue Berufe – … und warum Corona als Katalysator wirken könnte“ in dieser Ausgabe.