Im Fokus

Onkologische Versorgung weiter gedacht

Fortschritt soll sicher und schneller Patienten erreichen

Berlin (pag) – „Die Krebsforschung steht an einem Wendepunkt“, heißt es in einem kürzlich vorgestellten Positionspapier. Darin werben Ärzte-, Patienten-, Wissenschafts- und Kassenvertreter sowie Bundestagsabgeordnete für eine „konzertierte Anstrengung“, um die Versorgung zu verbessern. Konkret machen sie sich für eine Prähabilitation von Patienten und eine „Wissen generierende Versorgung“ stark.

Die Ausgangssituation: Das wissenschaftliche Verständnis, wie die Krankheit entsteht und sich ausbreitet, hat sich deutlich verbessert und damit neue Therapiemöglichkeiten eröffnet. Dennoch versterben noch immer bis zu 50 Prozent aller neu diagnostizierten Patienten an Krebs. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt und die Therapieinnovationen verursachen sehr schnell wachsende Kosten, die das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen stellen.
Das siebenseitige Positionspapier hat die breit aufgestellte Arbeitsgruppe „Zukunft der Onkologie“ unter Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft formuliert. Darin wird verlangt: „Die Wissenschaft muss gemeinsamen mit den Versorgern und Kostenträgern im Gesundheitswesen eine konzertierte Anstrengung unternehmen, um erfolgreich zu sein.“ Mit Verweis auf die amerikanische „Moonshot“-Initiative skizzieren die Autoren ein sieben Punkte umfassendes Programm, das dafür sorgen soll, die Forschung an Krebserkrankungen zu verbessern und diese Innovation in die klinische Anwendung zu tragen. Von der angestrebten Dynamisierung sollen die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Volkswirtschaft Deutschlands gleichermaßen profitieren.

Vernetzung über translationale Tumorboards

Erreicht werden soll das über eine bessere Vernetzung – und zwar sowohl zwischen Forschung und Versorgung als auch zwischen den Ärzten selbst. Das Ziel ist eine „forschungsbasierte und Wissen generierende Versorgung“. Konkret angedacht ist, dass regionale translationale Tumorboards bei der Anwendung von Innovationen eng mit den betreuenden Ärzten kooperieren und sich gemeinsam verpflichten, die Behandlungsdaten in den klinischen Krebsregistern zu dokumentieren. Dr. Ursula Marschall, Abteilungsleiterin Medizin und Versorgungsforschung bei der Barmer, betont auf der Pressekonferenz, auf der das Konzept vorgestellt wird, dass doppelte Dokumentationen vermieden und keine Parallelstrukturen zu den Krebsregistern aufgebaut werden sollen.
Ausdrücklich hält das Positionspapier fest, es werde nicht angestrebt, „dass die sogenannten Zentren (zum Beispiel Comprehensive Cancer Centers) die anderen Leistungserbringer verdrängen, sondern diese bzw. deren Patienten sollen durch die Vernetzung mit den Zentren profitieren“. Auch Prof. Herbert Rebscher hebt hervor, dass es sich um einen offenen Prozess handele – „im Kern kann jeder mitmachen, der die Kompetenz hat und sich an die Regeln des Verfahrens hält“, so der ehemalige Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit. Da der Begriff Zentrum bei Leistungserbringen oft mit negativen Assoziationen verbunden ist, spricht der Onkologe Prof. Michael Hallek von der Uniklinik Köln lieber von Kompetenznetzwerken.
„Es werden keine Strukturen geschaffen, die dafür sorgen, dass morgen alle Patienten in einer Uniklinik behandelt werden“, verspricht er. Hallek erläutert, dass es bei dem im Papier skizzierten Ansatz darum gehe, mehr Wissen zu generieren, um Unsicherheiten zu reduzieren. Selbst für den gut informierten Arzt könne es bei sehr hoher Innovationsgeschwindigkeit eine „Kunst“ werden, die richtige Behandlung zu empfehlen.

Patientenlotsen und Prähabilitation

Aus Patientensicht ist eine rasche Verfügbarkeit neuer Medikamente essentiell – allerdings unter Vorbehalt. Ralf Rambach, Vorsitzender des Hauses der Krebs-Selbsthilfe, sagt: „Wir wollen – kurz zusammengefasst – einen schnellen Marktzugang, aber unter sicheren Bedingungen.“ Er spricht sich für die Abgabe neuer Arzneimittel, die bisweilen auf Grundlage von Phase-II-Studien zugelassen worden seien, unter „studienähnlichen Bedingungen“ aus. Noch unbekannte Nebenwirkungen könnten so erkannt werden und es sei möglich zu dokumentieren, wie gut die teuren neuen Medikamente tatsächlich in der Versorgungsrealität seien.
Das Konzept konzentriert sich nicht allein auf den raschen und sicheren Transfer medizinischer Innovationen in die Regelversorgung. Auch die Unterstützung von Betroffenen und Angehörigen soll verbessert werden. In dem Papier wird unter anderem die Anerkennung der Psychoonkolgie als voll erstattungsfähige Leistung in der ambulanten sowie stationären Versorgung vorgeschlagen. Außerdem genannt werden ein Lotsensystem sowie ein Programm zur Patientenedukation, die sogenannte Prähabilitation. Diese Schulung soll sowohl physiotherapeutische, psychosoziale, sozialrechtliche als auch medizinische Inhalte umfassen. Die Lotsen wiederum sollen sicherstellen, dass Patienten nach der Behandlung im Krankenhaus nicht aus dem Blick verloren werden. „Ein wesentliches Ziel besteht in der longitudinalen Begleitung des Patenten über Sektorengrenzen hinweg“, heißt es in dem Positionspapier.

 

Wie funktioniert die Wissengenerierende onkologische Versorgung? – Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft e.V.

 

Botschaft an die Politik

Neben dem grundsätzlichen Konzept liefert das Papier erste Vorschläge für gesetzgeberische und politische Maßnahmen. Bei den Beteiligten ist die Hoffnung groß, dass diese in der kommenden Legislatur aufgegriffen werden. Dafür einsetzen wollen sich dezidiert die beiden Bundestagsabgeordneten Karin Maag (CDU) und Sabine Dittmar (SPD), die neben dem CDU-Abgeordneten Michael Hennrich als Vertreter der Politik das Papier mit erarbeitet haben. Sabine Dittmar bekennt auf der Pressekonferenz, dass sie sich manchmal „mehr Tempo im System“ wünschen würde. Diplomatischer drückt es Maag aus, die davon spricht, das System müsse sich der Forschung anpassen und sich auf neue Bedarfe einrichten. Eine sehr konkrete Vorlage dafür liefert das Eckpunktepapier; abzuwarten bleibt allerdings, ob und welche Ideen es tatsächlich in den nächsten Koalitionsvertrag schaffen.

Die Arbeitsgruppe „Zukunft in der Onkologie“ wurde Ende 2015 gegründet und besteht aus Abgeordneten verschiedener Bundestagsfraktionen sowie Vertretern von Krankenkassen, der ambulant und stationär tätigen Ärzteschaft, der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, Wissenschaft und Patientenorganisationen.

 

WIRTSCHAFTLICHE SEKUNDÄREFFEKTE

„Stellen Sie sich vor, es werden jährlich 400.000 Patienten in Deutschland dokumentiert behandelt“, sagt Hallek. Das sei eine weltweit einzigartige klinische Forschungsplattform und damit äußerst attraktiv für Konzerne, deren Anliegen es sei, Patienten schnell in Studien zu rekrutieren und über zügig dokumentierte Behandlungsqualität zu verfügen. „Das ist ein riesiger Wirtschaftsfaktor“, sagt der Kliniker. Er geht von herausragenden Sekundäreffekten für die Gesundheitswirtschaft aus, wenn jede neue Innovation zuerst in dem System getestet werde.