Berlin (pag) – Die im März getroffene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema Selbsttötung sorgt weiterhin für Debatten. Der Deutsche Ethikrat widerspricht mehrheitlich dem Urteil, auf einer Veranstaltung ringen Juristen, Ärzte und Politiker mit dem Beschluss des Gerichts.
„Was machen wir jetzt mit der heißen Kartoffel in der Hand“, fragt Grünen-Politikerin Renate Künast bei einer Diskussionsrunde des Berliner Instituts für christliche Ethik und Politik und der Katholischen Akademie in Berlin angesichts des Urteils. Anfang März hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, das allgemeine Persönlichkeitsrecht (aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes) umfasse „auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus kann sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.“
Der Deutsche Ethikrat empfiehlt dagegen, der gebotenen Achtung individueller Entscheidungen über das eigene Lebensende keine staatliche Unterstützungsverpflichtung zur Seite zu stellen. Das Gremium kritisiert mehrheitlich, dass das Urteil das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dazu zwinge, Suizidwünsche anhand bestimmter materieller Kriterien zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Umsetzung durch eine Erlaubnis zum Erwerb einer tödlich wirkenden Substanz zu unterstützen. Eine staatliche Instanz werde so zum Verpflichtungsadressaten der Selbsttötungsassistenz und diese von einer staatlichen Bewertung und Erlaubnis abhängig gemacht. Allerdings hält eine Minderheit des Rates das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für ethisch wohl erwogen und begrüßenswert.
Auch auf der Diskussionsveranstaltung in Berlin gehen die Bewertungen auseinander. Künast kann den Grundgedanken des Gerichts nachvollziehen, es habe sich Gedanken über die Not der Menschen gemacht, „da ist wenigstens nicht die Tür verriegelt“. Sie sei erleichtert, dass in einer extremen Notlage nicht einfach mit einem Nein reagiert werde. Die Politikerin räumt aber auch ein, dass es nicht einfach sein werde, mit dem Urteil umzugehen. Ein Entscheidungsregelwerk dafür zu schaffen sei jedoch prinzipiell machbar. Dem Juristen Prof. Steffen Augsberg zufolge bricht das Urteil mit der hiesigen Rechtssprechungstradition. Eine so existenzielle Vorgabe könne nicht ein Gericht machen, er sieht den Gesetzgeber in der Pflicht. Auch der Geriater Prof. Andreas Kruse, wie Augsberg Mitglied des Deutschen Ethikrates, kritisiert das Urteil. Er hält für problematisch, dass die Entscheidungshoheit einer Behörde übertragen werde und dass damit aus externer Perspektive eine Notlage beurteilt werden soll. Allein die Definition einer solchen hält er für sehr schwierig.
Außerdem macht der Mediziner darauf aufmerksam, dass extreme Notlagen vielfach durch Insuffizienzen des Versorgungssystems bedingt seien. „Durch das
Urteil wird im Grunde genommen geduldet beziehungsweise unterstützt, dass wir eine hochgradig insuffizienten Versorgungssituation haben.“
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