Im Fokus

Zoff um G-BA-Personalien

Es knirscht in der gemeinsamen Selbstverwaltung

Berlin (pag) – Einen radikalen Umbau des Plenums des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) empfiehlt ein Gutachten im Auftrag der Stiftung Münch. Als die Expertise kürzlich präsentiert wird, tobt hinter den Kulissen der Selbstverwaltung eine erbitterte Auseinandersetzung über die Neubesetzung der beiden unparteiischen Mitglieder.

Zwei Plätze werden neben ihm frei, wen wünscht sich wohl Prof. Josef Hecken herbei? Er ist unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses. © pag, Fiolka

Die Vorschläge des Gutachtens zielen der Stiftung Münch zufolge grundsätzlich darauf ab, die hauptamtlichen und unparteiischen Mitglieder des G-BA sowie Patienteninteressen zu stärken. „Outsider-Interessen“ und potenzielle Innovatoren sollen besser einbezogen und die in Erprobungsverfahren anzuwendenden Prüfmethoden evaluiert werden. Insgesamt hat die von der Stiftung im vergangenen Herbst eingesetzte Reformkommission 16 Vorschläge erarbeitet, „kein radikaler Bruch, sondern das Ausmerzen von Defiziten durch Weiterentwicklung“ sei das Ziel, hebt Prof. Justus Haucap auf der Pressekonferenz hervor. Er ist Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Herzstück der Reformpläne ist ein Umbau des Plenums. Ihm sollen 15 ehrenamtliche Mitglieder aus dem Kreis der Leistungserbringer, Kassen und Patienten angehören – allerdings ohne Stimmrecht. Die Zahl der stimmberechtigten Unparteiischen wird von drei auf neun erhöht, sie werden nach den Vorstellungen der Kommission für die Dauer von neun Jahren gewählt: sechs von den Trägerorganisationen des G-BA und drei durch den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages.

Mächtiges Trio

Pikant ist, dass die Vorschläge just zu jenem Zeitpunkt der Öffentlichkeit präsentiert werden, als sich die Selbstverwaltung in einen heftigen Streit über die Nominierung von zwei Unparteiischen verstrickt hat. Zum Hintergrund: Im G-BA haben drei Unparteiische die machtvolle Position inne, wichtige Details in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) maßgeblich mitzubestimmen. Zu diesem Trio gehören der Vorsitzende, Prof. Josef Hecken, der als mächtigster Mann im Gesundheitswesen gilt, sowie Dr. Harald Deisler und Dr. Regina Klakow-Franck. Die Amtszeit der drei läuft zum 30. Juni nächsten Jahres aus, doch nach einer Gesetzesänderung ist eine zweite möglich. Deisler hört im kommenden Jahr aus Altersgründen auf. Es ist seit längerem bekannt, dass der GKV-Spitzenverband den ehemaligen AOK-Manager Uwe Deh dort platzieren will. Klakow-Franck steht eigentlich nicht zur Disposition. Umso überraschter sind viele, als die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) an ihrer Stelle Lars Lindemann setzen will. Der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete und Geschäftsführer eines Facharztverbandes soll Klakow-Franck nachfolgen. Viel wird in der Szene über die Motive der Nominierung Lindemanns spekuliert: War Klakow-Franck der DKG zu kritisch oder sollte über den Umweg Lindemanns gar Uwe Deh verhindert werden?

Gesundheitsausschuss zieht Notbremse

Abgelehnte Kandidaten: Lars Lindemann (links) und Uwe Deh © Lindemann und pag, Maybaum

Das Nominierungsprozedere funktioniert wie folgt: Für eine Berufung der Unparteiischen schlagen die Trägerorganisationen des G-BA dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) spätestens zwölf Monate vor Ablauf der Amtszeit geeignete Kandidaten vor. Das BMG wiederum übermittelt die Vorschläge an den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages. Bei Bedenken kann der einer Berufung mit einer Zweidrittel-Mehrheit widersprechen, sofern er die Unabhängigkeit oder die Unparteilichkeit der vorgeschlagenen Personen als nicht gewährleistet ansieht. So erläutert es der G-BA auf seiner Website.

Die Nominierungen sorgen offenbar nicht nur im Gesundheitswesen für viel Unmut, sondern auch in der Politik: Am 28. Juni zieht der Gesundheitsausschuss des Bundestages die Notbremse und lehnt in einer geheimen Abstimmung die beiden Kandidaten Deh und Lindemann einstimmig ab. Mit dieser Entscheidung habe der Ausschuss „Rechtsgeschichte“ geschrieben, teilt der Vorsitzende des Gremiums, Dr. Edgar Franke (SPD), mit. Zuvor hat bereits das BMG Bedenken gegen den als zweiten stellvertretenden Unparteiischen vorgeschlagenen Dr. Hans-Joachim Helming formuliert (siehe Infokasten). Die neuen Kandidaten stehen bis Redaktionsschluss noch nicht fest.

Zur Legitimität des kleinen Gesetzgebers

Spricht man mit Akteuren und Kennern der Szene, so stellt man fest, dass bei vielen ein ungutes Gefühl geblieben ist. Der ehemalige G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess sagt gegenüber der Presseagentur Gesundheit: „Solche Schadensereignisse kann man nicht ausschließen, die hat es früher auch gegeben, wenn auch nicht in der Dramatik, aber damit muss man offen umgehen und Fehler einräumen.“ Insgesamt sei die Selbstverwaltung störanfälliger geworden, lautet sein Urteil. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, weist darauf hin, dass bei der Besetzung die Dinge eigentlich klar geregelt seien. „Aber die Art und Weise, wie darüber diskutiert wird, finde ich sehr bedenklich, weil nicht nur Personen diskreditiert werden, sondern auch der Mechanismus beschädigt wird.“ Und weiter: „Die Funktion des G-BA wird beschädigt und zwar unabhängig davon, was im weiteren Verfahren herauskommt. Auf jeden Fall verstärkt sich das Legitimationsproblem.“
Mit dem angesprochenen Legitimationsproblem legt Litsch den Finger in die Wunde: Die Frage, ob der G-BA, gelegentlich auch kleiner Gesetzgeber genannt, ausreichend legitimiert ist, treibt viele im Gesundheitswesen um – nicht zuletzt, weil der „große“ Gesetzgeber den Bundesausschuss bei nahezu jeder Reform mit neuen Aufgaben betraut. Das Bundesgesundheitsministerium hat daher bereits vor einiger Zeit drei Rechtsgutachten zur Legitimation des G-BA beauftragt, die vor der Bundestagswahl wohl nicht mehr offiziell vorgestellt werden. Doch niemand sollte überrascht sein, wenn in der ersten Hälfte der neuen Legislatur eine umfangreiche Reform ansteht.

BMG: Bedenken gegen Helming als zweiten Stellvertreter

Gegen Dr. Hans-Joachim Helming, von ärztlicher Seite als stellvertretender Unparteiischer vorgeschlagen, gibt es im Bundesgesundheitsministerium rechtliche Vorbehalte. Helming ist „Geschäftsführer und Gesamtprojektleiter der IGiB-StimMt“, ein vom Innovationsausschuss gefördertes Projekt. Als unparteiische Mitglieder oder deren Stellvertreter können „nur Personen benannt werden, die im vorangegangenen Jahr nicht bei den Trägerorganisationen des G-BA, bei deren Mitgliedern, bei Verbänden von deren Mitgliedern oder in einem Krankenhaus beschäftigt oder selbst Vertragsarzt, Vertragszahnarzt oder Vertragspsychotherapeut waren“, heißt es in einem Brief von BMG-Staatssekretär Lutz Stroppe an den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages. Alleingesellschafter der IGiB-StimMt ist die IGiB GbR, die aus der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, der AOK Nordost und der Barmer GEK besteht. Vor diesem Hintergrund sei die IGiB-StimMT als ein Verband von Mitgliedern der Trägerorganisationen anzusehen, argumentiert das Ministerium.

 

Prof. Dr. Justus Haucap, Universität Düsseldorf, und Prof. Ferdinand Wollenschläger, Universität Augsburg © pag, Fiolka

WAS DIE GUTACHTER AUSSERDEM EMPFEHLEN Die Reformkommission schlägt verbesserte Antrags- und Stellungnahmerechte für Außenstehende vor, gemeint sind Firmen, „die sich als wichtige Innovatoren für das Gesundheitssystem erweisen könnten“. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen sowie für Start-ups, die für mögliche Innovationen besonders vielversprechend sind, könne das aufwändige Antragsverfahren eine „hohe Marktzutrittshürde darstellen“, so die Autoren. Weitere Ideen: Bei der Auswahl des Designs von Studien, mit denen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erprobt werden, sollen regelmäßig wissenschaftliche Evaluationen durch Externe vorgenommen werden. Für Streitfälle sei eine unabhängige Methodenschiedsstelle einzurichten. Die Kommission wurde im September 2016 von der Stiftung Münch eingesetzt. Ihr gehören neben Prof. Dr. Justus Haucap der Wissenschaftstheoretiker Prof. Dr. Stephan Hartmann, LMU München, sowie der Jurist Prof. Ferdinand Wollenschläger, Universität Augsburg, an.
Die gesamten Vorschläge können im Internet nachgelesen werden: www.stiftung-muench.org/wp-content/uploads/2017/05/16.pdf