Berlin (pag) – „Organtransplantation ist ein Paradebeispiel für ethische Probleme in der Medizin“, eröffnet Prof. Silke Schicktanz von der Universitätsmedizin Göttingen ihren Vortrag beim Kongress des Deutschen Ärztinnenbunds in Berlin. Der Fokus der Debatte liege auch medial vor allem auf der Seite der Empfänger. „Das Schlagwort Organmangel sorgt dafür, dass wir die andere Seite aus den Augen verlieren.“
Organe zu spenden, sei keine Selbstverständlichkeit, sondern eine für viele Menschen schwere Entscheidung. „Unser Körper ist Teil unserer Identität“, gibt Schicktanz zu bedenken. Die biomedizinische Vorstellung, in der Körper und Geist voneinander getrennt existieren, sei nur eins von vielen verschiedenen Modellen. Körper und Persönlichkeit beeinflussen sich der Medizinethikerin zufolge gegenseitig, bestimmte Organe wie Herz, Augen oder Gehirn empfinden viele Menschen als identitätsstiftend. „Es ist wichtig, diese Körperkonzepte zu verstehen, um dann ins Gespräch zu kommen“, betont Schicktanz.
Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung sei im deutschen Grundgesetz an mehreren Stellen verankert. Hierzulande muss jeder Einzelne explizit zustimmen, bevor ihm Organe entnommen werden dürfen. Diese sogenannte Einwilligungslösung stehe sehr viel mehr im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht als etwa die Regelungen in Österreich oder Spanien. Dort ist jeder automatisch Organspender, der keinen Widerspruch einlegt. „Vielen Einwohnern der betreffenden Länder ist diese Regelung nicht bewusst“, sagt Schicktanz.
Um in Deutschland die Spenderquoten zu erhöhen, sei es wichtig, den Glauben daran zu stärken, dass die Organe gerecht verteilt würden. Auch mit Blick auf die soziale Anerkennung sieht Schicktanz Verbesserungspotenzial. So seien etwa in Spanien die Lebendspender sehr viel besser sozial abgesichert, sollten sich aus dem Eingriff Komplikationen ergeben. Für einen aus Schicktanz’ Sicht interessanten Weg habe sich Israel entschieden: Wer sich dort als Organspender registrieren lässt, wird im Notfall selbst bei der Organvergabe bevorzugt. „Solidarität – also die Fürsorge für schwache und vulnerable Personen – ist zwar eine Stärke des deutschen Gesundheitssystems“, sagt sie. Dabei handele es sich aber nicht um reinen Altruismus: „Die Bereitschaft zu geben ist gekoppelt an eine gewisse Reziprozität und die Vorstellung, selbst in eine vergleichbare Situation geraten zu können.“ Insofern könne das israelische Modell dazu beitragen, mehr Menschen für die Organspende zu gewinnen, glaubt sie.