Berlin (pag) – Wenn der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) empfiehlt, eine Richtlinie „in Schweinsleder gebunden“ zur Verfügung zu stellen, dann muss es damit etwas Besonderes auf sich haben. Tatsächlich preist Prof. Josef Hecken die Regelung zum Zweitmeinungsverfahren ironisch als „Krönung demokratischer Selbstverwaltungskultur, die zeigt, wie man auch sprachliche Differenzen über drei Jahre kultivieren kann“.
Wenn es einen Beweis für die Effektivität und Effizienz der Selbstverwaltung gebe, dann sei es diese Richtlinie, so Hecken süffisant weiter auf der öffentlichen Sitzung des Ausschusses am 21. September. Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz wurde für gesetzlich Versicherte ein Rechtsanspruch geschaffen, vor bestimmten medizinischen Eingriffen eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einzuholen. Der Gesetzgeber denkt an einen planbaren Eingriff, „bei dem insbesondere im Hinblick auf die zahlenmäßige Entwicklung seiner Durchführung die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist“. Die ersten Operationen, für die das strukturierte Zweitmeinungsverfahren angewendet werden kann, sind Mandel- und Gebärmutterentfernungen (Tonsillektomie, Tonsillotomie, Hysterektomie). Der G-BA regelt auch, über welche Qualifikationen zweitmeinungsgebende Ärzte verfügen müssen und welche genauen Aufgaben sie haben.
Im Zentrum stehe die ärztliche Beratung über Therapiealternativen, sagt Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied des G-BA. Bei den Ärzten, die für das Verfahren in Frage kommen, sei entscheidend „die ärztliche Unabhängigkeit von etwaigen wirtschaftlichen Interessen an der Durchführung des Eingriffs“, betont sie. Bis das Verfahren im Versorgungsalltag ankommt, dürfte es allerdings noch etwas dauern. Die Richtlinie tritt in Kraft, wenn sie nicht vom Bundesgesundheitsministerium beanstandet und im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Auch kann das Zweitmeinungsverfahren erst dann als ambulante Leistung in Anspruch genommen werden, wenn der Bewertungsausschuss über die Höhe der Vergütung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab entschieden hat. Die Patientenvertreter bemängeln unter anderem, dass bei der Zweitmeinung fehlende Befunde nicht erhoben werden dürfen. Die Folge: Patienten würdenzu einem „Diagnostik-Ping-Pong verurteilt, wenn Befunde fehlen“, twittert Dr. Ilona Köster-Steinebach vom Verbraucherzentrale Bundesverband, die Patientenvertreterin im G-BA ist. Mit der jetzt verabschiedeten Regelung haben sich Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband durchgesetzt.