Was tut sich bei Biomarker-Tests für Brustkrebspatientinnen?
Köln/Berlin (pag) – Für Brustkrebs-Patientinnen bleibt die Situation bei den Genexpressions- bzw. Biomarker-Tests unübersichtlich. 38 Krankenkassen erstatten mittlerweile Genexpressionstests für die Therapieentscheidung bei Mammakarzinom. Dagegen ist im Entwurf einer Entscheidungshilfe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) dessen kritische Haltung zu Biomarkern deutlich erkennbar.
Die Entscheidungshilfe des IQWiG besteht aus einer Broschüre und einem wissenschaftlichen Bericht, der beschreibt, wie das Institut seine Aussagen erarbeitet hat.
Chemo oder nicht?
Die Broschüre richtet sich an Frauen mit frühem Brustkrebs, bei denen sich zur Frage, ob sie sich nach der Operation einer unterstützenden Chemotherapie unterziehen sollten, keine klare Empfehlung geben lässt. Der erste Teil beschreibt, warum das Rückfallrisiko für die weitere Behandlung wichtig ist, wie es routinemäßig ermittelt wird und welche Vor- und Nachteile eine Chemotherapie hat.
Der zweite Teil erklärt, wie Biomarker-Tests das Rückfallrisiko bestimmen, wie die Hersteller der Tests daraus eine Behandlungsempfehlung ableiten und wie Biomarker-Tests zu bewerten sind. „Diese Informationen sollen Sie dabei unterstützen, die Möglichkeiten und Grenzen von Biomarker-Tests realistisch einzuschätzen“, heißt es in der Broschüre. Das Vorgehen der Hersteller von Biomarker-Tests, ein als hoch oder niedrig eingeschätztes Risiko für einen Rückfall mit der Empfehlung für oder gegen eine Chemotherapie zu verbinden, lasse die Behandlungsempfehlung „zuverlässiger erscheinen als sie ist“, formulieren die Kölner Wissenschaftler. Sie erwähnen auch, dass verschiedene Biomarker-Tests unterschiedliche Ergebnisse liefern können. Zudem berücksichtigten die Test-Hersteller in der Regel nur Fernrezidive, örtliche und regionale Rückfälle ließen sie außer Acht. „Dadurch unterschätzen Biomarker-Tests das Risiko, erneut an Brustkrebs zu erkranken“, warnt das IQWiG.
Bei der Entscheidungshilfe handelt es sich allerdings um einen Entwurf, der noch vom Auftraggeber, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), beraten und beschlossen werden muss – inhaltliche Änderungen sind in diesem Prozess durchaus möglich.
„Gräben“ zwischen IQWiG und Ärzten
Die IQWiG-Information stellt einen Nachtrag zu einer Nutzenbewertung von Biomarkern dar, die das Institut im Dezember 2016 vorgestellt hat. Schon damals gibt es keine einfache Antwort auf die Frage, ob biomarkerbasierte Tests als Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine Chemotherapie bei Brustkrebs geeignet sind. IQWiG-Vize PD Dr. Stefan Lange sagt seinerzeit auf der Pressekonferenz: „Die Daten, die wir bislang kennen, sind entweder nicht geeignet oder stützen nicht das Versprechen, das den betroffenen Frauen gegeben wird.“ Die anschließende Beauftragung für die Patienteninformation begründet das IQWiG damit, dass für einige Tests noch Studien ausstehen, die Tests aber von Gynäkologen und Onkologen breit eingesetzt und von Herstellern beworben würden.
Wie unnötige Chemotherapien vermieden werden können ohne Heilungschancen zu gefährden, diskutieren im März 2017 Experten bei einer Veranstaltung von Hello Healthcare, der Westdeutschen Studiengruppe (WSG) und dem Bundesverband Deutscher Pathologen (BDP). Dort hebt Prof. Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums der Universität München, hervor, dass etwa 30.000 Brustkrebspatientinnen jährlich in Deutschland eine vorbeugende Chemotherapie erhielten – „und wir wissen ganz genau, dass nicht alle diese Frauen diese Therapie brauchen“. Die Ärztin gehört der wissenschaftlichen Leitung der WSG an und ist überzeugt, dass aus klinischer Sicht genug verlässliche Daten für die Nutzung der Tests vorliegen. Sie will, dass die Gräben zwischen dem, was das IQWiG als evidenzbasierten Nutzen sieht, und dem Nutzen, wie er sich für die behandelnden Ärzte darstellt, überwunden werden.
Mogelpackung ASV?
Aus Perspektive der Patientinnen wird auf der Veranstaltung die unübersichtliche Erstattungssituation bei den Tests beklagt. Ambulant behandelte Kassenpatientinnen müssten bei ihrer Versicherung einen Einzelantrag stellen, heißt es im Frühjahr 2017. Inzwischen ist etwas Bewegung ins System gekommen – und zwar durch einen im August vorgestellten Selektivvertrag des BDP mit der BKK VBU. „Dadurch haben wir jetzt die Möglichkeit, Gendiagnostik bei den betroffenen Patientinnen zu betreiben – egal ob ambulant oder stationär“, sagt BDP-Geschäftsführerin Gisela Kempny bei dessen Vorstellung. Auf der Pressekonferenz kritisiert sie die Selbstverwaltung insbesondere für eine Neufassung der Richtlinie zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). Darin ermögliche der G-BA erstmals gesetzlich versicherten Brustkrebspatientinnen die Inanspruchnahme von Genexpressionstests zulasten ihrer Krankenkasse – sofern sie von einem ASV-Team betreut werden. Was zunächst wie ein Fortschritt klingt, entpuppt sich Kempny zufolge als Mittel für die Kassen, die Kostenübernahme zu verweigern: „Die Hürden sind so hoch, dass es praktisch keine ASV-Teams gibt“, erklärt sie. „Nehmen die Patientinnen aber nicht an der ASV teil, lehnen die Krankenversicherer die Erstattung ab mit der Begründung, dass die Kostenübernahme an diese Bedingung geknüpft sei.“
Dem herstellerunabhängigen Selektivvertrag des BDP sind mittlerweile 38 Krankenkassen mit vier Millionen Versicherten beigetreten, darunter viele Betriebskrankenkassen (Stand Dezember 2017).
MammaPrint und Leitlinien
Das Leitlinienprogramm Onkologie hat Ende 2017 eine Aktualisierung der S3-Leitlinie zum Mammakarzinom vorgelegt. Wie das IQWiG betont, haben die Autoren die vom Institut geäußerten Zweifel am Genexpressionstest MammaPrint wörtlich übernommen. Unverändert bleibe jedoch die Empfehlung für die Biomarker-Tests in bestimmten Situationen. Dagegen hat die American Society of Clinical Oncology (ASCO) jüngst ihre Leitlinie in Hinblick auf den Test MammaPrint aktualisiert und dieses Update im Journal of Clinical Oncology (JCO) publiziert. Gestützt auf Daten der MINDACT-Studie kommen die amerikanischen Onkologen zu dem Schluss, MammaPrint könne bei bestimmten Gruppen von Patientinnen mit frühem Brustkrebs jene besser erkennen, die keine Chemotherapie benötigen. Deshalb könne er die Entscheidung über die Therapie erleichtern. Ein Autoren-Team des IQWiG widerspricht in einem Leserbrief: MINDACT liefere zwar als erste prospektive randomisierte kontrollierte Studie wertvolle Erkenntnisse zu den Biomarker-Tests. Den Befund der ASCO-Autoren hält das Institut jedoch für falsch.
Doppelte Unsicherheit
Festzuhalten bleibt, dass die Patientinnen weiterhin mit einer doppelten Unsicherheit konfrontiert sind: mit dem unklaren Stellenwert von Biomarkern bei der Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie und mit der unübersichtlichen Situation hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit. Der Appell des IQWiG, die Behandelnden dürften die Frauen mit der unbefriedigenden Studienlage nicht allein lassen, ist sicherlich ebenso gut gemeint wie der Hinweis der Pathologen, der Selektivvertrag stelle eine Überbrückung dar, bis die Genexpressionsdiagnostik für die Therapieentscheidung in die Regelversorgung überführt ist. Für viele Betroffene bleibt die Situation unerträglich.
Was sind Biomarker und Genexpressionstests?
Ein Biomarker ist ein objektiv erkennbares biologisches Merkmal wie etwa ein Protein, Enzym oder Hormon, dessen Vorhanden-
sein oder vermehrtes Auftreten in Gewebe und Körperflüssigkeiten ein unverwechselbares physiologisches Kennzeichen ist oder auf einen Krankheits-zustand hindeutet.
Biomarker dienen zum Beispiel zu prognostischen, diagnostischen oder differenzialdia-gnostischen Zwecken, zur Überwachung des klinischen Ansprechens auf eine Therapie, als Risikoindikatoren für später auftretende Krankheiten sowie als Surrogat-Endpunkt in klinischen Studien, wenn dieser als valider Ersatz für einen klinischen Endpunkt herangezogen werden kann. Genomische Merkmale können prognostische Biomarker sein, die es erlauben, den Verlauf einer Krankheit individuell vorherzusagen. Sie sind mithilfe von Genexpressionstests bestimmbar.