Berlin (pag) – Die von der Europäischen Kommission geplante Vereinheitlichung der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel und bestimmter Medizinprodukte sorgt weiterhin für Wirbel. Die Bundestagsabgeordneten lehnen das einstimmig ab und erteilen der EU eine sogenannte Subsidiaritätsrüge. Die Grundsatzfrage, die hinter der ganzen Debatte steckt, lautet: „Wie viel Europa verträgt unser Gesundheitswesen?“
Mit dieser Frage hat sich kürzlich auch die Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG) auseinandergesetzt. Auf der Veranstaltung bekennt der Gesundheitsökonom Prof. Volker Ulrich, Universität Bayreuth, dass er eine Harmonisierung der Nutzenbewertung grundsätzlich für keine schlechte Idee hält, allerdings seien die HTA-Prozesse in Europa sehr heterogen. Beispiel Bewertungsperspektive: „Geht es ausschließlich um den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) oder ist es eine gesamtgesellschaftliche Perspektive?“ In Deutschland liege der Fokus auf der GKV. Es fehle außerdem eine Möglichkeit, die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft zu berechnen und den Zusatznutzen zu monetarisieren. „Da hinken wir etwas hinterher“, sagt Ulrich. Während England, Holland und Schweden eine stark gesundheitsökonomische Ausrichtung hätten, orientierten sich Frankreich und Deutschland mehr an medizinisch relevanten Ergebnissen. Ein weiterer Unterschied sei, dass die Arzneimittel in Deutschland mit der Marktzulassung direkt verordnungsfähig sind, in England erst nach der Bewertung durch das NICE.
Nutzenbewertungen im internationalen Vergleich
Bei einem Vergleich der deutschen Nutzenbewertungen mit Beschlüssen aus England und Australien habe sich gezeigt, dass die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu 53 Prozent mit denen des englischen NICE und zu 70 Prozent mit den aus-tralischen Bewertungen übereinstimmten. „Jede zweite Bewertung bei uns in Deutschland kommt zu anderen Schlüssen.“ Die Unterschiede beruhten auf differierenden Endpunkten und Surrogatparametern sowie verschiedenen Vergleichstherapien. Die deutsche Bewertungspraxis sei relativ streng, so Ulrich.
Unterdessen haben das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) und der Verein zur Förderung der Technologiebewertung im Gesundheitswesen (HTA.de) an die Bundesregierung appelliert, ihren Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass die Bewertungskompetenz bei den Mitgliedsstaaten bleibe, diese aber gleichwohl die Ergebnisse der zentralisierten HTA-Berichte bei Bedarf übernehmen können. Grundsätzlich begrüßen sie eine verstärkte europaweite HTA-Kooperation, eine verpflichtend zu berücksichtigende Nutzenbewertung lehnen sie ab.
Weiterführender Link:
Zum Verordnungsentwurf der EU: https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/technology_assessment/docs/com2018_51final_en.pdf