In Kürze

„Health is a political choice“

Berlin (pag) – Der Kongress Armut und Gesundheit thematisiert seit 1995 den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit. Doch was bewirkt die Veranstaltung? Prof. Gerhard Trabert ist bei der diesjährigen Tagung ungeduldig geworden. Zwar nehmen immer mehr Menschen daran teil, aber in der großen Politik tue sich „nicht wirklich etwas“.

In dem Programmheft heißt es, dass der Andrang auf den Kongress noch nie so groß gewesen sei wie in diesem Jahr. „Aber wieso erreichen wir keine Veränderungen in Denken und Handeln“, fragt der Arzt, der sich unter anderem für die medizinische Versorgung von Obdachlosen engagiert und darauf selbst die Antwort gibt: „Wir sind zu brav, wir sind zu lieb den politischen Verantwortlichen gegenüber.“ Um mehr zu bewegen, hofft Trabert auf Aktionen wie jene vor dem Brandenburger Tor, wo ein breites Bündnis von Organisationen gegen Barrieren im Zugang zu medizinischer Versorgung in Deutschland protestiert hat. Auch Petra Hofrichter von der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung kritisiert den Stillstand. „Wir bestätigen uns seit 23 Jahren, wie schlimm alles ist.“ Sie berichtet unter anderem von der Schwierigkeit, Politiker aus anderen Ressorts für den Kongress zu gewinnen.

Zusammenarbeit als Marathonlauf

Das Konzept „Health in All Policies“ steht dieses Mal im Fokus der Veranstaltung. Probleme bei der Umsetzung in der Praxis beschreibt Dr. Gabriele Schlimper am Beispiel Wohnraum. Folgende Zahlen nennt die Geschäftsführerin des Paritätischen Landesverbandes Berlin: 6.000 Menschen seien in der Hauptstadt obdachlos, 70 Prozent von ihnen hätten keinen regelhaften Zugang zum Sozialsystem und zur Gesundheitsversorgung. Hinzu komme, dass mindestens 35.000 Personen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe lebten – unter ihnen immer mehr Alleinerziehende mit Kindern. Schlimper fürchtet, dass viele Betroffene vom Status der Wohnungslosigkeit in den der Obdachlosigkeit wechseln werden. „Wir müssen davon ausgehen, dass in zwei bis drei Jahren Frauen mit Kindern auf der Straße leben.“ Die Frage nach der gesundheitlichen Versorgung in einer Stadt, in der es kaum noch bezahlbaren Wohnraum gebe, sei daher eine sehr konkrete und aktuelle – nicht nur in der kalten Jahreszeit. Dazu den zuständigen Innensenator aufs Podium zu bekommen, versucht Schlimper nach eigenen Aussagen händeringend. Man müsse Marathonläuferin sein, um zu erreichen, dass die Versorgung der Menschen auf der Straße von Politikern auch als ordnungspolitisches Problem erkannt und eine Zusammenarbeit – etwa mit Polizei und Ordnungs-ämtern – etabliert wird. Es genüge nicht, darüber nur mit dem Gesundheitssenator zu sprechen.
„Health is a political choice“, mit diesem Zitat der Weltgesundheitsorganisation, das die internationale Gesundheitsexpertin Ilona Kickbusch auf der Veranstaltung in Erinnerung ruft, bringt sie die geschilderten Herausforderungen auf den Punkt.

 

„Gesundheit ist ein Menschenrecht“, so lautet das Motto der Kundgebung am Brandenburger Tor am 20. März 2018. © pag, Fiolka