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Sterbehilfe – Einstellungen, Urteile und Tabus

Berlin (pag) – Die derzeit unübersichtliche rechtliche Situation bei der Sterbehilfe führt zu Verwirrung und Unsicherheit bei den Ärzten. Dabei ist das Thema ohnehin schon schwierig genug. Die Politik erkennt Handlungsbedarf.

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Jeder hat zu Sterbehilfe eine Meinung. Sie beruht auf persönlichen Überzeugungen, zum Teil auch auf prägenden Erlebnissen. So ist es auch bei Ärzten, die im Falle eines Sterbewunsches meist der erste Ansprechpartner des Patienten sind. Eine Umfrage unter Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin hat vor einiger Zeit ein breites Spektrum an Einstellungen offenbart: Die Mehrheit lehnt eine eigene Beteiligung am ärztlich assistierten Suizid grundsätzlich ab, aber ein Drittel könnte sich diese grundsätzlich vorstellen. Fast 40 Prozent befürworten, dass das Sterbehilfeverbot in der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (BÄK) einheitlich von den Landeskammern übernommen wird. Dennoch stimmen beinahe 60 Prozent der Befragten zu, dass die Kammern Gewissensentscheidungen bei Ausnahmesituationen respektieren sollten – wenn ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis besteht (Link zur Umfrage am Ende des Artikels).
In den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung steht, dass die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung nicht unter allen Umständen bestehe. Es gebe Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sind. Dann trete eine palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund. Ausdrücklich heißt es in der Präambel: „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.“ Diese Position hat BÄK-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery im vergangenen Jahr bei einem europäischen Regionaltreffen des Weltärztebundes im Vatikan bekräftigt. Eine andere Auffassung vertrat dort der Vorsitzende der niederländischen Ärztekammer.

Ärztliche Aufgabe oder nicht?

Auch hierzulande gibt es Ärzte, die sich von der offiziellen Linie der Bundesärztekammer distanzieren und den assistierten Suizid nicht grundsätzlich ablehnen. Einer von ihnen ist der bayerische Hausarzt Dr. Anton Wohlfart. „Für mich ist es eine ärztliche Aufgabe, denn wer soll besser wissen, wie es einem Patienten geht und was man ihm geben kann, damit er in Würde und schmerzlos aus dem Leben scheidet?“ Vor einigen Jahren hat er im Interview mit der „Zeit“ bekannt, bei einer Patientin Sterbehilfe geleistet zu haben. Seitdem haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen verschärft. Wohlfart würde daher Sterbehilfe nur noch leisten, wenn er sicher sein kann, dass es „im totalen Schweigen“ passiert. Er beklagt, dass das Thema in der Ärzteschaft ein großes Tabu darstelle, allenfalls unter der Hand tauschten sich Kollegen aus. Er befürchtet, dass als Konsequenz die gewaltsamen Suizide zunehmen.

Palliativmediziner warnt vor Liberalisierung

Anders sieht es Prof. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Für die Fachgesellschaft gehört es ausdrücklich nicht zum Grundverständnis, Beihilfe zum Suizid zu leisten oder über die gezielte Durchführung zu beraten. Sie legt den Fokus auf Schmerztherapie und Symptomkontrolle. Radbruch nennt außerdem die Möglichkeit eines Therapieabbruchs. Er warnt, dass im Falle einer Liberalisierung der Sterbehilfe zunehmend ethische Grenzen verletzt würden: Sterbehilfe nicht nur bei weit fortgeschrittenen lebensbedrohlichen Erkrankungen, sondern wie in den Niederlanden bei Depression oder Demenz.

Beide, Radbruch und Wohlfart, sind sich aber einig darin, dass es für Menschen mit hohem Leidensdruck eine enorme Erleichterung darstellen kann, mit einem Arzt über ihren Sterbewunsch zu sprechen. Mit diesem würden Palliativmediziner zwar häufig konfrontiert, aber nur in seltenen Fällen würde vom Arzt erwartet, eine todbringende Medikation zur Verfügung zu stellen, berichtet Radbruch. Den Patienten Raum für solche Gespräche zu geben, finden die zwei Ärzte wichtig. Doch tatsächlich passiere es häufig, dass Mediziner sofort abwinken, wenn Patienten das Thema ansprechen, so die Erfahrung Wohlfarts. Viele wollen sich gar nicht erst auf ein Thema einlassen, bei dem in allerletzter Konsequenz die Gefahr bestehen könnte, durch jahrelang andauernde Prozesse die eigene Existenz zu riskieren.

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STERBEHILFE: PRO UND CONTRA
Befürworter der Sterbehilfe argumentieren, dass jedem das Recht und die persönliche Freiheit zustehe, selbstständig über den eigenen Tod zu entscheiden. Vor allem geht es darum, eigenständig Leiden zu verkürzen, das durch Palliativmedizin nicht verhindert werden kann. Religiöse Maßstäbe könnten nicht für alle Menschen gelten.
Die Gegner betonen, dass es nicht dem Menschen obliege, über Leben und Tod zu entscheiden. Sterben sei ein natürlicher Prozess und könne mit Schmerztherapien menschenwürdig gestaltet werden. Sie befürchten eine Ökonomisierung des Todes. Ärzte verpflichte der Hippokratische Eid, Patienten am Leben zu erhalten. Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Wiederholungsabsicht ist der Knackpunkt

Wie berechtigt sind solche Ängste? Der Bundestag hat – nach äußerst emotionalen Debatten und unter Aufhebung des Fraktionszwangs – 2015 entschieden, die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. So heißt es im neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch. „Geschäftsmäßig“ bedeutet, dass es in Wiederholungsabsicht geschieht. „Der Gesetzgeber hat in der Gesetzes-begründung ausdrücklich geschrieben, dass bereits das erstmalige Helfen in Wiederholungsabsicht strafbar sein kann“, erläutert der Jurist Prof. Jochen Taupitz im Interview (Lesen Sie dazu „Die Situation ist verworren“).

Die Auslegung dieser Strafvorschrift ist dem Juristen zufolge noch immer höchst umstritten. Auch die unmittelbaren Reaktionen auf das Gesetz sind zum Teil sehr gegensätzlich. Während Kammerpräsident Montgomery die Entscheidung des Bundestags lobt, konstatiert die Gesellschaft für Humanes Sterben, dass Sterbenskranken – falls sie ihr Leben selbstbestimmt beenden wollen – zunehmend nur der Weg in die Schweiz bleibe.

Staatliche Instanz als Selbsttötungsassistenz

Mindestens ebenso kontrovers wird über ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts diskutiert. Im März vergangenen Jahres hat es entschieden, dass eine Sterbewillige in einer extremen Notlage Anspruch auf eine Erlaubnis haben kann, ein tödliches Betäubungsmittel zu erwerben. Bei diesem Urteil geht es nicht um Sterbehilfe durch Angehörige oder Ärzte, sondern wie sich der Staat dazu verhält. Der Deutsche Ethikrat kritisiert, dass damit das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gezwungen werde, gegebenenfalls die Umsetzung von Suizidwünschen zu unterstützen, und zwar durch die Erlaubnis, eine tödlich wirkende Substanz zu erwerben. „Auf diese Weise wird eine staatliche Instanz zum Verpflichtungsadressaten der Selbsttötungsassistenz und diese von einer staatlichen Bewertung und Erlaubnis abhängig gemacht.“ Dagegen kann die Grünen-Politikerin Renate Künast den Grundgedanken des Gerichts nachvollziehen: Es habe sich Gedanken über die Not der Menschen gemacht, „da ist wenigstens nicht die Tür verriegelt“. Sie sei erleichtert, dass in einer extremen Notlage nicht einfach mit einem Nein reagiert werde.

Wie geht es weiter?

Die Politikerin räumt aber ein, dass es nicht einfach sein werde, mit dem Urteil umzugehen. Künasts Prognoseaus dem vergangenen Jahr hat sich als zutreffend erwiesen. Das BfArM hat bisher noch keinem einzigen Patienten ein tödlich wirkendes Mittel zur Verfügung gestellt. 20 Patienten sind auf der Warteliste bereits verstorben, über 100 haben bei der Behörde einen Antrag gestellt (Stand Mai 2018). In einem Rechtsgutachten im Auftrag des BfArM kritisiert der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Udo Di Fabio die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als „verfassungsrechtlich nicht haltbar“. Die Konsequenz zieht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Ende Juni, er hat die Behörde schriftlich auffordern lassen, „solche Anträge zu versagen“.

Warten auf das Bundesverfassungsgericht

Und jetzt? Das fragen sich angesichts der unübersichtlichen Situation nicht nur Ärzte, sondern zunehmend Politiker. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle hat kürzlich eine Kleine Anfrage zur „Rechtmäßigkeit des Erwerbs von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung und strafrechtliche Bewertung der Sterbehilfe“ initiiert. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Sabine Dittmar sieht den Bundestag in punkto Sterbehilfe wieder in der Pflicht: „So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.“ Es sei genau das eingetreten, was es zu verhindern galt – rechtliche Unsicherheiten für Palliativmediziner. Sie verlangt einen gewissen Spielraum im Arzt-Patienten-Verhältnis.

Doch angesichts des vollen Pflichtenhefts der großen Koalition ist es ungewiss, ob das Parlament dieses schwierige Thema erneut angeht. Das Gesetzgebungsverfahren, das im neuen Paragrafen 217 mündete, bezeichnete Prof. Norbert Lammert, seinerzeit Bundestagspräsident, als das vermutlich anspruchsvollste der Legislaturperiode. Möglicherweise werden die Abgeordneten zunächst die Entscheidung aus Karlsruhe abwarten, denn gegen den neuen Paragrafen 217 laufen mehrere Verfassungsbeschwerden – einige davon haben Palliativmediziner angestrengt. Bis die Richter darüber entscheiden, bleibt die aktuelle Situation bestehen – mit allen Unabwägbarkeiten.

 

STERBEHILFE: ASSISTIERT, PASSIV, INDIREKT

Verschiedene Begriffe werden im Kontext der Sterbehilfe verwendet. Beim assistierten Suizid reichen Angehörige oder Freunde dem Betroffenen auf Wunsch ein Medikament, das zum Tod führt und das von ihm selbst eingenommen wird. Im Falle des ärztlich assistierten Suizids wird es von einem Mediziner zur Verfügung gestellt. Passive Sterbehilfe meint den Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen wie künstliche Beatmung. Indirekte Sterbehilfe bedeutet, dass schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die unter Umständen lebensverkürzend wirken können. Tötung auf Verlangen bezeichnet die Tötung durch Dritte, der Arzt verabreicht dem Betroffenen auf Wunsch ein Mittel, das unmittelbar zum Tod führt, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung. Todeswünsche können der DGP zufolge unterschiedlich ausgeprägt sein. Das Kontinuum reiche von dem Wunsch, dass der Tod durch ein rasches Fortschreiten der Erkrankung bald eintreten möge, bis hin zur maximalen Form der Planung eines Suizids respektive Wünschen nach Beihilfe zum Suizid oder Tötung auf Verlangen.
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Weiterführender Link:
Zusammenfassung der Befragung von Palliativmedizinern zu Suizidassistenz und Sterbebegleitung:
http://www.dgpalliativmedizin.de/pressemitteilungen/2015-09-22-10-57-50.html