Im Fokus

Digitalisierung total

Ein Überblick zu Kommissionen, Räten und Agenturen

 

© iStock.com, akindo

Berlin (pag) – Digitalisierung ist als Schlagwort aus dem politischen Diskurs, speziell im Gesundheitswesen, kaum wegzudenken. Hinkt die Politik der rasanten technischen Entwicklung hoffnungslos hinterher? Im Rahmen einer großen Initiative – böse Zungen sprechen von Aktionismus – wurden jetzt mehrere Gremien gegründet, die sich des Themas annehmen sollen. Die Erwartungen sind hoch, die Ziele ehrgeizig.

Bei der Ankündigung eines Digitalrats im Regierungsprogramm der Union war von nichts weniger als den „klügsten Köpfen“ die Rede, die man in den Dienst der digitalen Umgestaltung stellen wolle. Am 22. August wurden zehn Experten, die der Regierung zufolge „das gesamte Spektrum der Digitalszene“ abbilden, in das Gremium berufen. Es soll mindestens zweimal jährlich mit der Kanzlerin tagen. Unbequem möge der Rat sein, wünscht sich die Regierung, er soll antreiben. Darauf sei man angewiesen, wenn man bei technologischen Entwicklungen Schritt halten und diese in praktisches Regierungshandeln umsetzen will.

Was die Datenethiker der Regierung ins Stammbuch schreiben

Der zehnköpfige Digitalrat mit Kanzlerin und Bundesministern @ Bundesregierung, Kugler
Der zehnköpfige Digitalrat mit Kanzlerin und Bundesministern @ Bundesregierung, Kugler

Wenige Tage später, am 5. September, hat die Datenethikkommission ihre Arbeit aufgenommen. Während der Digitalrat beim Bundeskanzleramt angesiedelt ist, wird sie federführend vom Bundesinnen- und Bundesjustizministerium begleitet. Die Kommission hat ein ambitioniertes Pensum zu erfüllen: Binnen eines Jahres soll sie ethische Leitlinien für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen vorschlagen und Handlungsempfehlungen geben. Bereits einen guten Monat nach der ersten Sitzung hat sie Empfehlungen zu den Eckpunkten der KI-Strategie der Bundesregierung herausgegeben. Die fertige Strategie soll auf dem Digitalgipfel Anfang Dezember vorgestellt werden. Die Erwartungen, die die Regierung an die eigene Strategie hat, sind grandios. Als die Eckpunkte im Sommer vorgestellt werden, heißt es, dass die Regierung damit die Erforschung, Entwicklung und Anwendung von künstlicher Intelligenz in Deutschland „auf ein weltweit führendes Niveau“ bringen wolle.

Datenethikkommission mit Bundesinnenminister Seehofer und Bundesjustizministerin Barley © R. Bertrand, BMI
Datenethikkommission mit Bundesinnenminister Seehofer und Bundesjustizministerin Barley © R. Bertrand, BMI

Die Datenethikkommission vermisst bei den Eckpunkten offenbar die rechtliche und ethische Perspektive. Zumindest empfiehlt sie als zusätzliche Zielbestimmung: „Beachtung der an unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung orientierten ethischen und rechtlichen Grundsätze im gesamten Prozess der Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz“. Auch solle ein zusätzliches Handlungsfeld „Förderung von individueller und gesellschaftlicher Kompetenz und Reflexionsstärke in der Informationsgesellschaft“ aufgenommen werden. Auf die weitere Arbeit des 16-köpfigen Gremiums, Sprecherinnen sind Prof. Christiane Woopen und Prof. Christiane Wendehorst, darf man gespannt sein – nicht zuletzt auch auf die inhaltlichen Schnittmengen zur Arbeit der KI-Enquete-Kommission des Bundestags.:.Blindtext Blindtext Blindtext Blindtext Blindtext Blindtext Blindtext Blindtext Blindtext

„Wir müssen KI-Kompetenz vermitteln“

Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Deutschen Bundestages © Dt. Bundestag, Achim Melde
Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Deutschen Bundestages © Dt. Bundestag, Achim Melde

Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ hat sich im Oktober konstituiert. Ihr gehören 19 externe Sachverständige und 19 Bundestagsabgeordnete an. Zu letzteren gehört Claudia Schmidtke (CDU), die Herzchirurgin sitzt seit dieser Legislatur im Bundestag. Als größte Herausforderung sieht sie zwei Themen: Daten und Bildung. „Wir müssen KI-Kompetenz vermitteln“, sagt sie. Die Menschen müssten verstehen, was das ist und wie es arbeitet. Und dass KI auch fehlerhaft arbeiten könne. „Das macht mir besondere Sorge, da wir seit Jahren von der Vermittlung von Netz- und Medienkompetenz sprechen, und auch hier kaum vorankommen.“ Stichwort Daten: Lernende Systeme bräuchten große,  diskriminierungsfreie Datenmengen. Gerade im Gesundheitsbereich steht man der Politikerin zufolge vor der Herausforderung, wie Schnittstellen zu schaffen sind und eine Anonymisierung sichergestellt wird.

Wer auch noch mitmischt

Reichlich Stoff für die Kommission, die 2020 ihren Abschlussbericht vorlegen wird. Wer bei den neuen Gremien auf dem Laufenden bleiben will, sollte auch die neu einzurichtende Agentur für Sprunginnovationen auf dem Zettel haben. Auch sie wird sich Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) zufolge dem Thema Künstliche Intelligenz annehmen. Und dann gibt es noch die Plattform Lernende Systeme, die im vergangenen Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiiert wurde. Deren Arbeitsgruppe „Gesundheit, Medizintechnik, Pflege“ befasst sich mit den Möglichkeiten, die Lernende Systeme für Prävention, Diagnose und Therapie in der Medizin sowie in der Pflege und Rehabilitation bieten. Geleitet wird sie von Dr. Karsten Hiltawsky, Drägerwerk, und Prof. Klemens Budde, Charité.

Last but not least ist die Wettbewerbskommission 4.0 zu nennen. Unter dem Vorsitz von Martin Schallbruch, Prof. Achim Wambach und Prof. Heike Schweitzer wird sie unter anderem der Frage nachgehen, welche Änderungen der wettbewerblichen Rahmenbedingungen erforderlich sind, um mehr Innovationen und Investitionen in Schlüsseltechnologien zu ermöglichen. „Sind – insbesondere beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz – haftungsrechtliche Spezialregelungen opportun?“

„Künstliche Intelligenz ist die neue Elektrizität“

Über mangelnden Input dürfte das Digitalkabinett nicht klagen. Es gibt aber Experten wie Markus Beckedahl, die den Aktionismus kritisieren. Er hat in der von 2010 bis 2013 eingesetzten Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft mitgearbeitet und befürchtet, dass sich die Erfahrungen mit der Digitalen Agenda der vergangenen Legislaturperiode wiederholen könnten: „Viele egoistische Kompetenzstreitigkeiten zwischen Ministerien und Parteien verderben eine gute gemeinsame Strategie“, schreibt er auf netzpolitik.org. Dort erinnert er außerdem daran, dass von den vielen Handlungsempfehlungen der Internet-Kommission kaum welche umgesetzt worden seien.

Die Bundestagsabgeordnete Claudia Schmidtke (CDU) sieht es gelassen. Es sei typisch für ein Querschnittsthema, dass man es von vielen Blickwinkeln aus betrachten müsse. Sie zitiert den Informatiker Andrew Ng, der Künstliche Intelligenz als die neue Elektrizität bezeichnet. Sie habe Auswirkungen auf alles: Regierung, Parlament, Länder, Industrie, Gesundheit, Militär, Forschung. „Das kann ein Gremium alleine nicht abdecken“, betont die Politikerin.

Digitalisierung und Forschung

Auch jenseits von Kommissionen, Räten und Co. wird das Thema vom Wissenschaftsbetrieb intensiv beackert. Unterstützt vom BMBF untersucht ein Forscherteam etwa mobile Gesundheit (siehe Infokasten). Auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) fördert mehrere Projekte: Prof. Georg Mackmann und Prof. Eckhard Nagel wollen im Rahmen der Studie Medizin 4.0 das „ethische Fundament der Digitalisierung im Gesundheitswesen“ erfassen. Unter dem Titel „Digitalisierung für ein Lernendes Gesundheitssystem“ entwickelt das Team von Prof. Christiane Woopen ein Mehrebenenmodell von Ethical Governance (LEG²ES). Bei dem Projekt VALID geht es widerum um ethische Aspekte digitaler Selbstvermessung im Gesundheitswesen zwischen „Empowerment und neuen Barrieren“. Projektleiter Prof. Stefan Selke hat bereits, gefördert vom BMBF, ein Gutachten zu ethischen Standards für Big Data und deren Begründung verfasst. Die Expertise ist bereits publiziert. Bis Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht sind dagegen vom BMG die politischen Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für Big Data im deutschen Gesundheitswesen. Diese wurden bereits im vergangenen Jahr auf einem Stakeholder-Workshop entwickelt.

Angesichts der vielfältigen Expertisen lässt sich die Wartezeit verschmerzen.

 

Mobile Gesundheit
PD Dr. Verina Wild, Ludwig-Maximilians-Universität München, untersucht mit ihrem Forschungsteam ethische, rechtliche und soziale Aspekte mobiler Gesundheitstechnologien. Ein noch relativ unerschlossenes Gebiet für die Wissenschaftler, die sechs Jahre lang vom BMBF unterstützt werden: „Wir sprechen über Dinge, die noch nicht gut definiert sind“, sagt die Medizinethikerin und meint teilweise synonym verwendete Begriffe wie mHealth, eHealth oder digitalHealth. Mobile Technologien, seien es Wearables, Sensoren oder Apps, seien allgegenwärtig und transformierten das traditionelle Versorgungssystem. „Gesundheit wird zunehmend auch außerhalb des medizinischen Kontextes angeboten und verhandelt.“
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Die nationalen Grenzen des Systems würden von internationalen virtuellen Patienten-Communitys oder global agierenden IT-Konzernen aufgebrochen. Das bleibe nicht ohne Folgen für das Selbstverständnis von Patienten und Ärzten. Die Forschenden untersuchen beispielsweise die technische Manipulation mobiler Gesundheitstechnologien durch die Patienten selbst. Weitere Fragen, denen das interdisziplinäre Team nachgeht, lauten: Wie beeinflusst mHealth das Verhältnis von Eigenverantwortung für Gesundheit und Gerechtigkeit? Wie verändert self-tracking die Beziehung zum eigenen Körper?

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Weitere Informationen unter www.meta.med.uni-muenchen.de