In Kürze

HIV/Aids: Stillstand ist Rückschritt

Berlin (pag) – Die Erfolge bei der Behandlung von HIV sind beachtlich – von einer tödlichen zur chronischen Erkrankung, die unter Therapie nicht mehr ansteckend ist. Auch die Zahl der Neuinfektionen ist gesunken. Dennoch gibt es in der Versorgung nach wie vor Probleme. Über Diskriminierung im Gesundheitswesen und vernachlässigte Zielgruppen diskutieren Experten bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Pharmaunternehmen ViiV, MSD und Janssen.

„Bestimmte Bevölkerungsgruppen erreichen wir nicht“, sagt Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen. © Andreas Schwarz

Die Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen) benennt einige Herausforderungen. Zum Beispiel: In Deutschland gibt es geschätzt 11.400 Menschen mit HIV, die nicht wissen, dass sie infiziert sind. Etwa ein Drittel aller Menschen hat bei der HIV-Diagnose in Deutschland bereits ein sehr geschwächtes Immunsystem und knapp die Hälfte davon eine Aids-Erkrankung. „Das ist ein wirkliches Alarmzeichnen, dass wir bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht erreichen oder dass diese Menschen keinen Zugang zu den Präventionsmaßnahmen haben“, sagt die Politikerin. Sie stellt die Therapie als wichtigen Beitrag heraus, um die Übertragung der Krankheit zu vermeiden, befürchtet aber, dass zunehmend Menschen nicht in die Behandlung kommen. Dazu gehörten Geflüchtete, Menschen ohne Papiere, ohne Krankenversicherung.

Diese Gruppen sollten stärker in den Fokus genommen werden, empfiehlt Schulz-Asche. Eine weitere vernachlässigte Gruppe nennt Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aids-Hilfe: „Drogenkonsumenten werden für nicht-therapiefähig gehalten“, kritisiert sie.

„Kein Aids für alle“

Klumb berichtet außerdem, dass viele HIV-Infizierte noch immer Diskriminierung erleben – auch im Gesundheitswesen. Sie nennt: Verletzungen des Datenschutzes und der Schweigepflicht, unangemessene Hygienemaßnahmen sowie Sondertermine bis hin zu Behandlungsverweigerungen. Die Aids-Hilfe möchte mit ihrer Kampagne „Kein Aids für alle“ insbesondere Hausärzte sensibilisieren. Trotz deutlicher Indikation denken Allgemeinmediziner oft nicht an die Infektion. Allgemein sprechen Ärzte Klumb zufolge mit ihren Patienten nicht über Sexualität und Drogenkonsum. Eine späte HIV-Diagnose kann die Folge sein. Dabei handelt es sich um sogenannte „late presenter“ – Personen, die mit der Diagnose erst in einem sehr späten oder zu späten Stadium in die spezialisierte Behandlung kommen, erläutert Dr. Axel Baumgarten, Vorstandsmitglied der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter. „Das bedeutet immer einen schwerwiegenderen Verlauf, teilweise mit Aids-definierenden Erkrankungen.“

Als weitere Versorgungsbaustelle erwähnt der Arzt die Komorbiditäten. Der Charakter der chronischen HIV-Infektion habe sich so verändert, „dass wir nicht mehr über zahlreiche schwerwiegende Aids-definierende Erkrankungen reden, sondern dass wir bei den Patienten weitere Begleiterkrankungen sehen“. Verursacht durch eine jahrelange chronische Infektion im Körper, durch jahrzehntelange Medikamenteneinnahme oder den Prozess des Älterwerdens. Die Herausforderung bestehe darin, die zunehmenden Begleiterkrankungen mit der Spezifität einer chronischen Infektionserkrankung in Einklang zu bringen. Hinzu kommt eine von Baumgarten prognostizierte große Lücke des ärztlichen Nachwuchses in diesem Bereich.