Über die Notwendigkeit innovativer Finanzierungsmodalitäten
Berlin (pag) – Die neuen CAR-T-Zelltherapien gelten als neuer Meilenstein in der Krebsbehandlung. Kann die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) dieses Tempo mitgehen? Das diskutieren Experten kürzlich auf einer Veranstaltung des Forum Instituts. Fest steht: Das System muss sich auf die Modalitäten neuer Therapieprinzipen einstellen.
Von einer neuen Ära der Krebsmedizin ist die Rede, als die beiden ersten CAR-T-Zelltherapien im vergangenen Jahr in Europa zugelassen werden. Kymriah® und Yescarta® heißen sie. Für die Therapie kommen etwa 1.400 bis 1.600 Blutkrebspatienten pro Jahr in Betracht, heißt es seitens der Krankenkassen. Konkret geht es um austherapierte Patienten, die an aggressiven Varianten von Leukämie und Lymphomen erkrankt sind. Das Besondere an den neuen Präparaten sind den Studien zufolge die hohen Heilungschancen und der Umstand, dass sie nur einmal verabreicht werden müssen – und zwar im Krankenhaus. Dort können die möglichen schweren Nebenwirkungen intensivmedizinisch überwacht werden. Bei Kymriah® liegen die Therapiekosten, so steht es im Dossier des Herstellers Novartis, bei 380.800 Euro pro Patient. Hinzu kommen noch weitere Zusatzleistungen von bis zu 23.751 Euro.
Die beiden CAR-T-Zellpräparate gehören zu den Immunonkologika und werden von der Europäischen Arzneimittelagentur als Gentherapien eingestuft. Einer kürzlich veröffentlichten IGES-Studie zufolge wird die Zahl genetischer Therapien in den kommenden Jahren stark zunehmen. Viele von ihnen zeichneten sich durch eine Langwirksamkeit aus, konkret sollen 42 solcher (Einmal-)Therapien kurz vor der Marktreife stehen. Aufhorchen lassen hat der Hinweis aus der Studie, dass sich auch drei Gentherapien gegen Volkskrankheiten, wie etwa Arthrose, in der Entwicklung befinden. Damit verbunden wären ganz andere Dimensionen, sowohl was die Patientenzahlen als auch was die Kosten betrifft.
Gentherapie für Volkskrankheiten?
Skeptisch gegenüber solchen Prognosen zeigt sich auf der Forum-Veranstaltung Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovation beim Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa). Er kommt anstelle der von IGES genannten über 40 kurz vor der Marktreife stehenden Therapien nur auf etwa die Hälfte. Für die Gentherapien zur Behandlung von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Herzinsuffizienz und Arthrose erwartet er in den nächsten Jahren keine Zulassung in Europa – und selbst wenn, würden dann nicht alle Arthrose-Patienten mit einer Gentherapie behandelt, „das ist einfach Unfug“, sagt er. Angesichts der hohen Kosten und starken Nebenwirkungen von Gentherapien stimmt ihm Dr. Antje Haas vom GKV-Spitzenverband zu. Sie sagt aber auch: „Wenn Therapien machbar und verträglich werden, ändern sich die Indikationseinschätzungen.“
Wie Throm in seinem Vortrag darstellt, befanden sich 2017 hierzulande 26 Gentherapeutika in klinischen Studien, davon 19 in Phase III beziehungsweise Phase II/III. Bezogen auf CAR-T-Zelltherapieprojekte zählt der vfa-Vertreter fünf auf, die sich in den Prüfphasen I bis III befinden.
Was sind ATMP – Advanced Therapy Medicinal Products?
Gentherapien, wozu auch CAR-T-Zelltherapien gehören, machen nur eine Untergruppe der sogenannten Advanced Therapy Medicinal Products, kurz ATMP, aus. Zu den Arzneimitteln für neuartige Therapien gehören außerdem medizinische Produkte auf Basis von Zellen (Zelltherapie) und Geweben (Tissue Engineering). Eine „sehr heterogene Produktgruppe“, sagt Dr. Throm. Von 2009 bis September 2018 waren zwölf ATMP in Europa zugelassen, wobei in vier Fällen die Zulassung zurückgenommen wurde oder ausgelaufen ist. Ihm zufolge laufen derzeit vier Zulassungsanträge für neue ATMP (Stand: Dezember 2018).
RSA-Logik und politische Entscheidungen
Die IGES-Studie belässt es nicht bei einem Überblick zu gentherapeutischen Behandlungen, die Autoren empfehlen, das GKV-Erstattungs- und Finanzierungssystem an die neuen Entwicklungen anzupassen. Wie das konkret funktionieren könnte, wird auf der Forum-Veranstaltung diskutiert. Dabei geht es insbesondere um den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Dieser ist, wie der Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem ausführt, auf chronische Erkrankungen mit kontinuierlichem Therapieverlauf ausgerichtet. Impulstherapien, bei denen anschließend eine längere Behandlungspause stattfindet oder gar keine Behandlung mehr erfolgt, brechen mit der Logik, dass chronische Erkrankungen kontinuierlich behandelt werden. Wasem stellt fest: „Therapien mit hohen Initialkosten und anschließender Nachbeobachtung gehen im aktuellen RSA mit negativen Anreizen für die Kassen im Vergleich zur Dauertherapie einher.“ Es sei eine politische Entscheidung, ob dieses Problem schwerwiegend genug sei, um dafür den Morbi-RSA zu verändern.
Risiko-Pool – „easy“ Lösung oder schlechteste Idee?
Eine solche Reform müsste dem Experten zufolge sowohl am prospektiven Charakter des RSA als auch bei den undifferenzierten Arzneimittelzuschlägen ansetzen. Als Alternative nennt der Ökonom ein Abschreibungsmodell, bei dem die hohen Initialkosten über ein mehrjähriges Zuweisungskonzept – über die „Abschreibungsdauer“ – ausgeglichen werden. Das sei zwar „theoretisch schick“, allerdings müssten auch dabei Modifikationen am prospektiven Modell vorgenommen werden. Außerdem erfordere jedes Medikament sein eigenes Modell hinsichtlich der jeweiligen Abschreibungsdauer. Als weitere Lösungsmöglichkeit hält Wasem die Wiedereinführung des Risikopools für „relativ easy“. Vor Einführung des Morbi-RSA wurden aus diesem gemeinschaftlichen Kassentopf 60 Prozent der Ausgaben für Versicherte finanziert, deren Kosten einen gewissen Schwellenwert überschritten. Für Dr. Ulf Maywald wäre dagegen die Einführung des Risikopools nach alter Couleur die „schlechteste Idee“. Chancen würden auf diese Weise privatisiert, Risiken dagegen sozialisiert, sagt der Geschäftsbereichsleiter Arznei- und Heilmittel der AOK Plus. Er stellt klar, dass für seltene Einmaltherapien gar keine Veränderungen nötig seien. CAR-T-Zelltherapien würden als Last-line-Therapie bei der Akuten Lymphatischen Leukämie zu „jedem“ Preis bezahlt. Der Knackpunkt sind für ihn Krankheiten, bei denen eine etablierte Standardtherapie existiere und die Gentherapie den Patienten für den x-fachen Preis „nur Convenience“ bringe.
Was passiert, wenn der Patient die Kasse wechselt?
Der AOK-Mann plädiert anstelle umfassender Morbi-RSA-Reformen für einen minimalinvasiven Ansatz: Ratenzahlung kombiniert mit Risk-Sharing. Letzteres löse das Problem, dass der Hersteller höhere Preisvorstellungen habe, als es die Zeit, für die er Effekte belegen kann, rechtfertige. Per Direktabrechnung zwischen Krankenkasse und pharmazeutischem Unternehmer könnte dieses Instrument bei der Therapieanwendung im Krankenhaus implementiert werden. Für die Kliniken, insbesondere kleine Häuser, entfalle dadurch das Liquiditätsrisiko, sie würden ferner von „Finanzdienstleistungen“ entlastet. Ebenso sprechen für die Kassen eine Reihe von Argumenten für diese Lösung, erläutert Maywald. Beispielsweise sei Risk-Share viel schwerer mit dem Hersteller zu erreichen, wenn der volle Preis am Tag eins gezahlt werde. Die Grenzen des Modells seien aber erreicht, wenn der Patient die Kasse wechselt. Dann stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der Raten.
Haas: Verteilungsfairness organisieren
Auch Dr. Antje Haas vom GKV-Spitzenverband beschäftigt sich in ihrem Vortrag mit den Herausforderungen von Erstattungsbeträgen „diskontinuierlicher Therapien“, wie sie es nennt. Bei Krankheiten, bei denen sehr schnell feststehe, ob es der Patient geschafft habe oder nicht, ist es für sie vorstellbar, den Erstattungsbetrag so schnell anzupassen, wie sich die Performance des Arzneimittels nachweisen lässt – also in kurzen Rhythmen. Dafür könnten sowohl Einzelpatientendaten als auch Kohortendaten zugrunde gelegt werden. Bei erfolgsabhängigen Raten macht die Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel auf Abgrenzungsprobleme aufmerksam: Der Todesfall könne auch unabhängig von der Grunderkrankung eintreten, zum Beispiel durch eine Infektion durch Immunsuppression. Grundsätzlich sei die Messung des Erfolgs weniger ein Problem als vielmehr die Zuordnung des Erfolgs beziehungsweise des Misserfolgs, denn gerade bei Gentherapien spiele das Komplikationsmanagement einen mitentscheidenden Faktor. Die Erfolgsmeldungen müssten so organisiert werden, dass sie in die Verhandlungen eingehen können. Nicht banal: Der Datenschutz ist dabei ebenfalls zu beachten. Grundsätzlich gehe es darum, meint Haas, Verteilungsfairness zu organisieren. „Wir stehen da noch sehr am Anfang und werden Lehrgeld bezahlen müssen.“
Hecken zu Qualitätsfragen und Zugangswegen
Qualitätsanforderungen für die Anwendung komplexer Gentherapien wie CAR-T-Telltherapien sollte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nicht per Einzelbeschluss festlegen. Dies habe vielmehr durch eine allgemeinverbindliche Richtlinie nach Paragraf 92 zu erfolgen. Dafür macht sich der unparteiische G-BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken stark. Sein Argument: Damit werde der Behandlungserfolg, der möglicherweise durch die Therapie eintrete, nicht durch handwerkliche Fehler zunichte gemacht. Außerdem könne so die Lücke von sechs Monaten, bis der G-BA-Beschluss vorliegt, vermieden werden. Werden ATMPs als Arzneimittel eingeordnet, durchlaufen sie die frühe Nutzenbewertung, dies ist bei einer Einordnung als Behandlungsmethode nicht der Fall. Bei Arzneimitteln steht der pharmazeutische Charakter im Vordergrund, bei Behandlungsmethoden die komplexe Verabreichungsmethode. Wenn es nach Hecken ginge, durchliefen alle ATMPs den AMNOG-Weg – als Ausweg aus der Diskussion: „Wann ist die Verabreichung von mindestens gleicher Signifikanz für einen erfolgreichen Therapieausgang wie die aktive Wirkungsweise und das Wirkprinzip des Produktes?“