Prof. Wolf-Dieter Ludwig zur Arzneimittelsicherheit in Deutschland
Berlin (pag) – Eine Task Force hat den Fall Lunapharm genau durchleuchtet, Versäumnisse ebenso benannt wie daraus zu ziehende Konsequenzen. Ein Mitglied dieser Gruppe ist der Onkologe Prof. Wolf-Dieter Ludwig. Im Interview erklärt er, warum Deutschland das Zielland Nummer eins für gefälschte Arzneimittel ist und welche Gegenmaßnahmen zu ergreifen sind.
Wenn Sie die gegenwärtige Arzneimittelsicherheit hierzulande mit einer Schulnote bewerten, welche Note würden Sie vergeben?
Ludwig: Im Prinzip eine zwei – trotz der besorgniserregenden Vorkommnisse im vergangenen Jahr.
Nach der Lektüre des Task Force-Berichts zu Lunapharm mutet das auf den ersten Blick etwas über-
raschend an …
Ludwig: …aber die Task Force hat mit Lunapharm einen hoffentlich eher singulären Fall betrachtet, der sich nicht verallgemeinern lässt.
In dem Bericht haben Sie Schwachstellen beim zuständigen brandenburgischen Ministerium und der Landesaufsichtsbehörde benannt: etwa Unterbesetzung, mangelnde Kompetenz, unzureichende Kommunikation mit den Bundesoberbehörden. Ist Brandenburg die Ausnahme oder ticken in anderen Bundesländern ähnliche Zeitbomben?
Ludwig: Ich glaube, dass es sich in Brandenburg um eine außergewöhnliche Situation gehandelt hat: In der für die Überwachung des legalen Arzneimittelmarktes zuständigen Behörde in Brandenburg fehlte es an Personal und das vorhandene Personal hat auf eindeutige Hinweise, dass ein illegaler Import von Arzneimitteln nach Deutschland stattfindet, nicht richtig beziehungsweise viel zu spät reagiert. Und vor allem hat die Kommunikation nicht funktioniert – sowohl mit den Bundesoberbehörden, im konkreten Fall vor allem mit dem für biomedizinische Arzneimittel zuständigen Paul-Ehrlich-Institut, als auch mit den für die Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen verantwortlichen Institutionen der Strafverfolgung.
Es besteht also keine Wiederholungsgefahr in anderen Bundesländern?
Ludwig: Als Mediziner habe ich keinen genauen Einblick in die personelle Ausstattung der Landesaufsichtsbehörden in den verschiedenen Bundesländern. Ich gehe aber davon aus, dass sie generell über sehr gut geschultes Personal verfügen – ob in ausreichendem Maße weiß ich aber nicht. Ich hoffe sehr, dass Brandenburg in dieser Hinsicht eine Ausnahme war.
(Hinweis der Redaktion: Eine Übersicht zur von uns recherchierten personellen Ausstattung der Landesaufsichtsbehörden finden Sie im Beitrag „Weckruf Lunapharm“ in dieser Ausgabe).
Der Bericht attestiert den Verantwortlichen eine „ungenügende Verinnerlichung des obersten Gebots der Risikoabwehr“ und damit des Patientenschutzes. Wenn das Grundverständnis für diese Aufgabe nicht vorhanden ist, lässt sich das überhaupt von oben verordnen?
Ludwig: Ich kann nicht beurteilen, inwieweit das Grundverständnis, eine Gefährdung von Patienten durch gefälschte Arzneimittel unter allen Umständen zu verhindern, vorhanden war. Die Verpflichtung der Landesaufsichtsbehörden ist eindeutig: Sie müssen die Patienten vor nicht wirksamen, gestohlenen und/oder illegal importierten Arzneimitteln schützen. In dieser speziellen Situation wurde auf handfeste Hinweise aus dem Ausland, dass Arzneimittel von einer Apotheke in Griechenland, die über keine Großhandelserlaubnis verfügte, illegal nach Deutschland exportiert wurden, nicht adäquat reagiert.
Wie steht es mit der ministeriellen Fachaufsicht? Auch dort legte Ihr Bericht gravierende Schwachstellen offen: beispielsweise zu stark verzahnte Verfahrensabläufe zwischen Ministerium und Landesbehörde, fehlende Klarheit über Entscheidungsspielräume und -abläufe. Es werden ferner fehlende Grundsätze zur Ausübung der Fachaufsicht bemängelt.
Ludwig: Es ist richtig, dass auch das für die Überwachung der Landesaufsichtsbehörde zuständige Ministerium in Potsdam nicht rasch und adäquat reagiert hat. Ob auch dort zu wenig Personal vorhanden und insgesamt die Kommunikation zwischen diesen Einrichtungen gestört war, konnten die Mitglieder der Task Force anhand der uns vorliegenden Akten allerdings nicht endgültig beurteilen. Wir wissen mittlerweile, dass es bereits 2013 einen klaren Hinweis von der nationalen Arzneimittelaufsichtsbehörde in Griechenland gab, dass die griechische Apotheke in Athen keine Arzneimittel in andere Länder hätte exportieren dürfen. Diese Tatsache wurde Ende 2016 der Landesaufsichtsbehörde erneut mitgeteilt. Warum darauf nicht sofort reagiert und der illegale Import sowie Vertrieb der Arzneimittel gestoppt wurde, ist für mich schwer nachvollziehbar. Dies halte ich für ein klares Versagen – ich hoffe, vor allem auf einer persönlichen Ebene und nicht im System der Arzneimittelüberwachung.
In Griechenland hat der Diebstahl dazu geführt, dass Patienten nicht mit den geeigneten Arzneimitteln behandelt werden konnten. Eine Verletzung des Prinzips der gerechten Verteilung heißt es im Bericht. Das ist nicht der erste Fall: Vor einigen Jahren gelangten aus italienischen Krankenhäusern gestohlene Medikamente nach Deutschland. Sehen Sie einen Zusammenhang mit der Importquote und dem Parallelvertrieb von Arzneimitteln in der Europäischen Union?
Ludwig: Auf jeden Fall. Ein aktuelle Übersichtsarbeit, erschienen 2018 in Lancet Oncology (DOI (ges. Beitrag kostenpflichtig): https://doi.org/10.1016/S1470-2045(18)30101-3), verdeutlicht, dass insbesondere Krebsmedikamente mittlerweile im Fadenkreuz von kriminellen Netzwerken auf europäischer Ebene stehen. Als Zielland Nummer eins für gefälschte beziehungsweise gestohlene Arzneimittel wird Deutschland genannt.
Warum steht Deutschland an erster Stelle?
Ludwig: Die Hauptursache ist, dass bei uns die Preise für Krebsarzneimittel mit am höchsten in Europa sind und deshalb hierzulande sehr hohe Profite mit illegalen Importen von Krebsmedikamenten erzielt werden können.
Ist angesichts dieser Umstände die Importquote nicht ein gefährlicher Anachronismus?
Ludwig: Dies sehen die Mitglieder der Task Force auch so. Wir haben deshalb in unserem Gutachten die Streichung des Paragrafen 129, Absatz 1 Satz 1, Nr. 2 im Sozialgesetzbuch V befürwortet. Wir müssen künftig unbedingt verhindern, dass Arzneimittel minderer Qualität beziehungsweise Arzneimittel, die im Rahmen des Parallelvertriebs nicht korrekt gelagert oder transportiert wurden, nach Deutschland gelangen und hier Patienten Schaden zufügen. Dies gilt in besonderem Maß für den hochempfindlichen Bereich der Krebsmedikamente. Darüber hinaus sind die durch diese Regelung realisierten Einsparpotenziale recht überschaubar.
In dem geplanten „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) ist eine Streichung der Importquote nicht vorgesehen. Der Bundesrat hat sich aber in einer Entschließung dafür ausgesprochen.
Ludwig: Sowohl in der gemeinsamen Stellungnahme von Bundesärztekammer und AkdÄ als auch zusammen mit den Apothekern in der Anhörung zum Referentenentwurf für das GSAV haben wir eine Streichung der Importquote befürwortet.
Die Task Force regt darüber hinaus ein Verbot des Parallelvertriebs von Arzneimitteln in der EU an. Warum?
Ludwig: Ich halte dieses Verbot für besonders wichtig bei empfindlichen Medikamenten, bei denen durch den zum Beispiel nicht gekühlten Transport eine unsachgemäße Lagerung und auch durch mehrfache Umverpackung Probleme auftreten können – auch mechanischer Art. In Deutschland beziehen die meisten großen Krankenhäuser für Krebspatienten nur Originalware aus Deutschland. Es gibt auch Bundesländer wie etwa Bayern, in denen die Beschaffung von Medikamenten über Parallelvertrieb den Kliniken grundsätzlich nicht gestattet ist. Für mich ist schwer verständlich, dass einerseits in Deutschland Patienten im Krankenhaus ziemlich sicher sein können, dass sie den Risiken gefälschter oder gestohlener Arzneimittel nicht ausgesetzt sind, andererseits diese Sicherheit und Qualität der Arzneimittelversorgung aber für Patienten im ambulanten Bereich nicht immer garantiert werden kann. Dort bekommen die Zytostatika herstellenden Apotheken mitunter auf sehr undurchsichtigen Vertriebswegen Arzneimittel, die möglicherweise in ihrer Wirksamkeit und Sicherheit nicht den hohen Qualitätsansprüchen genügen, die aber für Patienten essenziell sind.
Wie schätzen Sie die politische Durchsetzbarkeit dieser Forderung ein?
Ludwig: Wenn es der Politik am Herzen liegt, die optimale Versorgung der Patienten in Deutschland – gerade bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs – zu garantieren, dann muss der Parallelvertrieb untersagt werden. Ich selbst war nach gründlichem Studium der Unterlagen zum Lunapharm-Skandal überrascht, wie viele Zwischenhändler, auch für Krebsmedikamente, in der Vertriebskette existieren und wie wenig transparent deshalb die Vertriebswege dieser Medikamente inzwischen sind. Insbesondere bei sehr empfindlichen Arzneimitteln, wie beispielsweise monoklonalen Antikörpern und gewissen Zytostatika, dürfen diese intransparenten Vertriebswege fortan nicht mehr toleriert werden.
Aber lässt sich ein Verbot überhaupt angesichts des freien Warenverkehrs in der Europäischen Union realisieren?
Ludwig: Dieser Einwand ist sicher berechtigt. Aber wenn man in den Krankenhäusern durchsetzen kann, dass diese ausschließlich Arzneimittel direkt vom Originalhersteller aus Deutschland beziehen, dann müsste dies genauso im Bereich der Zytostatika herstellenden Apotheken umsetzbar sein. Es ist an der Zeit, dass hier dem Patientenwohl höchste Priorität eingeräumt wird und nicht ökonomischen Gesichtspunkten.
ZUR PERSON
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig ist Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Der Hämatologe und Onkologe war bis September 2017 Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Tumorimmunologie und Palliativmedizin im Helios Klinikum Berlin-Buch. Gegenwärtig arbeitet er ambulant in der Schwerpunktpraxis „Hämatologie Onkologie Berlin-Mitte“. Er ist Herausgeber des unabhängigen Informationsblattes „Der Arzneimittelbrief“, Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Fachgesellschaften und gehört als Vertreter der europäischen Ärzteschaft dem Management Board der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) an.