Wie es nach dem Medikamenten-Skandal weitergeht
Berlin/Potsdam (pag) – Ein Schuppen in Brandenburg, umzäunt, daneben ein Schild, auf dem steht: Lunapharm. Dieses Bild hat sich eingeprägt und steht für einen Skandal, der das Vertrauen vieler Patienten in die Arzneimittelsicherheit hierzulande tief erschüttert hat. Welche Konsequenzen werden aus dem Medikamenten-GAU gezogen?
Im vergangenen Sommer überschlagen sich die Schlagzeilen zu Lunapharm: Viele Krebspatienten sind verunsichert, ob sie tatsächlich wirksame Medikamente erhalten haben. Eine eigens eingerichtete Task Force moniert das zu späte Eingreifen der Aufsichtsbehörde und vermisst bei den Verantwortlichen ganz grundsätzlich eine „Verinnerlichung des obersten Gebots der Risikoabwehr und damit des Patientenschutzes“. Zwei Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde werden wegen Bestechlichkeit angezeigt. Um die Betriebserlaubnis von Lunapharm wird gerungen. Die brandenburgische Gesundheitsministerin Diana Golze (Die Linke) tritt schließlich zurück. Dann wird es allmählich ruhiger, zumindest was die Berichterstattung betrifft. Anders sieht es hinter den Kulissen aus, wo verschiedene Akteure intensiv mit der Aufarbeitung des Skandals beschäftigt sind.
Landesaufsicht stockt Personal auf
Anfang 2019 ist der Stand folgender: Das Brandenburger Gesundheitsministerium hat dem Pharmahändler Lunapharm dauerhaft die Herstellungs- und Großhandelserlaubnis entzogen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Potsdam haben sich mittlerweile ausgedehnt. Berichtet wird über Rechtshilfeersuchen der Behörde an Ägypten, Griechenland, die Niederlande und Tschechien. Noch kurz vor der Weihnachtspause findet im Bundesgesundheitsministerium eine Anhörung statt, bei der Experten fünf Stunden lang über das geplante „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) diskutierten. Das GSAV zieht Konsequenzen aus Lunapharm und sieht unter anderem eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Arzneimittelaufsichtsbehörden auf Bundes- und Landesebene vor (weitere Details siehe Infokasten Seite 17). Wie das konkret funktionieren soll, erörtern Experten im Januar bei einem Treffen im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), denn eine reibungslose Kooperation zu organisieren dürfte angesichts der föderalen Strukturen eine immense Herausforderung sein – selbst wenn man den uneingeschränkten Willen aller Beteiligten zur Teamarbeit voraussetzt. Die Landesaufsicht wurde, so viel scheint sicher, vom Fall Lunapharm aufgeschreckt. Wie die Recherche der Presseagentur Gesundheit bei allen 16 Landesbehörden zeigt, wollen mindestens acht Bundesländer ihr Personal für die Arzneimittelaufsicht aufstocken. Die größte Offensive plant Berlin mit gleich 14 neuen Stellen (siehe Tabelle).
Riskante Importquote
Intensivierte Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bundesbehörden, mehr Befugnisse für letztere, zusätzliches Personal für die Landesbehörden – das ist die eine Konsequenz aus Lunapharm. Experten gehen außerdem davon aus, dass mit dem Start des Sicherheitsnetzwerkes securPharm im Februar Fälschungsfälle künftig wirksam verhindert werden können.*
(* „Alle Fälschungsfälle, die wir seit 2011 in den legalen Vertriebswegen gesehen haben, hätte das System nach heutiger Einschätzung wirksam verhindert.“ Allerdings unter der Voraussetzung, dass im Markt nur noch Ware mit den beiden neuen Sicherheitsmerkmalen ist, sagt Reinhard Hoferichter, SecurPharm-Sprecher und Sanofi-Mitarbeiter, im Interview mit dem Infodienst opg der Presseagentur Gesundheit. securPharm ist die deutsche Organisation für die Echtheitsprüfung von Arzneimitteln. Der Verein wurde gegründet, um die EU-Fälschungsschutzrichtlinie umzusetzen.)
Die Task Force denkt jedoch noch in eine andere Richtung. Ihr gehörten unter anderem an: der ehemalige BfArM-Abteilungsleiter Dr. Ulrich Hagemann, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, und Prof. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. Um gestohlenen oder gefälschten Arzneimitteln einen Riegel vorzuschieben, fordern sie, die sogenannte Importförderklausel zu streichen. Gegenwärtig sind Importe von Arzneimitteln gesetzlich vorgeschrieben. Jede Apotheke muss fünf Prozent der Medikamente aus dem verschreibungspflichtigen Segment als Import abgeben. Die Experten schreiben in ihrem Bericht, dass die Erfüllung dieser Quote die Patientensicherheit gefährde: Importe würden zunehmend „als Zugangsweg für minderwertige, gestohlene oder gefälschte Arzneimittel genutzt“. Lange, grenzüberschreitende und intransparente Lieferketten erhöhten das Risiko dafür, dass solche Medikamente hierzulande eingeschleust würden.
LUNAPHARM – WORUM ES GEHT
Der in Brandenburg ansässige Groß- und Parallelhändler Lunapharm soll von einer griechischen Apotheke hochpreisige Krebsarzneimittel bezogen haben, die zuvor mutmaßlich in griechischen Krankenhäusern gestohlen wurden. Ein qualitätsgesicherter Transport und sachgerechte Lagerungsbedingungen sind bei illegalen Vertriebswegen nicht sichergestellt. Lunapharm brachte diese Arzneimittel dann in Deutschland über Apotheken, Großhändler und andere Importeure in den Verkehr. Task Force-Mitglied Prof. Wolf-Dieter Ludwig berichtet, dass es bereits 2013 einen deutlichen Hinweis gab, wonach die griechische Apotheke keine Arzneimittel in andere Länder hätte exportieren dürfen. Dieser Vorgang wurde Ende 2016 der Landesbehörde erneut bekannt. Unterdessen hat Lunapharm den bekannten PR-Berater Klaus Kocks engagiert. Medienberichten zufolge bereitet das Unternehmen eine Schadenersatzklage gegen die Brandenburger Landesregierung vor.
Lunapharm ist kein Einzelfall
Neu ist die Forderung, die Quote zu streichen, nicht. Der bayerische Pharmagipfel spricht sich dafür bereits 2015 aus. Auch aus Kassensicht ist das Instrument mittlerweile verzichtbar – nicht zuletzt, weil die damit verbundenen Einsparungen als überschaubar gelten. Ein „zahnloses Bürokratiemonster“ nennt es Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Er tritt im Sommer vergangenen Jahres – gemeinsam mit dem Vorsitzenden der hiesigen Kassenärztlichen Vereinigung und dem Chef des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) – für dessen Abschaffung ein. Der DAV-Vorsitzende Fritz Becker unterstreicht: „Jeder Apotheker braucht ausreichend Spielraum, um sich bei Sicherheitsbedenken im Einzelfall gegen ein Importmedikament entscheiden zu können.“ Denn Chargenrückrufe, heißt es auch im Bericht der Task Force, seien bei Importarzneimitteln keine Seltenheit. Und Lunapharm ist insofern kein Einzelfall, als dass bereits 2014 gestohlene Arzneimittel, dieses Mal aus italienischen Kliniken, nach Deutschland gelangten. Insbesondere Krebsmedikamente stehen im Fadenkreuz von kriminellen Netzwerken, berichtet der Arzneimittelexperte Prof. Ludwig im Interview (siehe folgende Seite). Als Zielland Nummer eins für gefälschte beziehungsweise gestohlene Arzneimittel gelte Deutschland.
Der Bundesrat, Kohlpharma und Peter Altmeier
Diese Entwicklung hat auch den Bundesrat alarmiert. In einer Entschließung auf Antrag Brandenburgs und Bayerns verlangt er die Streichung der Quote. Die Initiative ist insofern bemerkenswert, weil sie nicht vom Saarland torpediert wurde. Im Saarland, genauer gesagt in Merzig, befindet sich der Sitz des größten Arzneimittelimporteurs Deutschlands, Kohlpharma. Ins GSAV hat es der Quotenverzicht vorerst nicht geschafft – zumindest nicht in den Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Da haben auch die anderen Ressorts ein Wörtchen mitzureden. Ein Veto könnte von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) gekommen sein, zu dessen Wahlkreis Saarlouis die 30.000-Seelen-Kreisstadt Merzig gehört.
Geht es nach der Lunapharm Task Force, ist Verzicht auf die Importförderklausel nur der erste Schritt, sie befürwortet ein grundsätzliches Verbot des Parallelvertriebs von Arzneimitteln in der EU. Dass sich die Umsetzung eines so weitreichenden Verbots allein aufgrund der Freizügigkeit des Warenverkehrs äußerst schwierig gestalten dürfte, ist den Experten bewusst. Ludwig argumentiert, die hierzulande meisten großen Krankenhäuser für Krebspatienten nur Originalware aus Deutschland beziehen. In Bayern sei die Beschaffung von Medikamenten über Parallelvertrieb den Kliniken grundsätzlich nicht gestattet. Er betont: „Für mich ist schwer verständlich, dass einerseits in Deutschland Patienten im Krankenhaus ziemlich sicher sein können, dass sie den Risiken gefälschter oder gestohlener Arzneimittel nicht ausgesetzt sind, andererseits diese Sicherheit und Qualität der Arzneimittelversorgung aber für Patienten im ambulanten Bereich nicht immer garantiert werden kann.“
GSAV – GESETZ FÜR MEHR SICHERHEIT IN DER ARZNEIMITTELVERSORGUNG
Der Gesetzesentwurf sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, denn nicht nur der Lunapharm-Skandal, sondern auch der Fall Bottrop und der Fall Valsartan stellen die hiesige Arzneimittelsicherheit infrage.
Um ein zweites Lunapharm zu verhindern, will das Ministerium beispielsweise die Koordinierungsfunktion des BfArM beziehungsweise Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) stärken sowie deren Rückrufkompetenzen erweitern. Dem FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann gehen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht weit genug, er will eine grundsätzliche Reform der Arzneimittelüberwachung. Gestärkte Kompetenzen von BfArM und PEI lösen nach Einschätzung von Ullmann die Probleme von Nichtüberwachung oder mangelhafter Überwachung in Ländern oder Gemeinden nicht. BfArM-Direktor Prof. Karl Broich begrüßt dagegen das GSAV: „Unsere Arbeit für die Patientensicherheit wird gestärkt!“, twittert er im November. Zuvor hat er in einem Interview gefordert, Lücken in der Arzneimittelaufsicht zu schließen. „Wir müssen als Bundesoberbehörde den Landesbehörden Anweisungen geben können, wenn wir für die Patienten Gefahr im Verzug sehen.“ Ziel müsse es sein, dass es künftig wie bei der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde eine Anlaufstelle gibt, die eine schnelle Koordination und Kommunikation übernimmt.