In Kürze

Politik macht Gesundheit

Berlin (pag) – Der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit wird seit Jahren untersucht und ist gut belegt. Zur Eröffnung des gleichnamigen Kongresses stellt Prof. Martin Dietrich von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) klar, warum dieser weiterhin besonderer Aufmerksamkeit bedarf.

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Armut sei hierzulande nicht primär lebensbedrohlich. Nur selten mangele es sozial Benachteiligten an genügend Kalorienzufuhr oder Kleidung. „Armut äußert sich bei uns auch darin, nicht genügend am gesellschaftlichen Leben und Fortschritt teilzuhaben“, sagt Dietrich. Er kritisiert, dass sich viele Ansätze zur Verbesserung der Gesundheit bisher eher auf versorgungstechnische

Lösungen fokussierten. Sie seien daher kaum oder nur sehr begrenzt wirksam, wenn es darum geht, gesundheitliche Chancen „gleichheitlich“ zu fördern. Der BZgA-Vertreter hebt hervor, dass sich neben dem sozioökonomischen Status das soziale Kapital, das sich insbesondere darin ausdrückt, wie gut die Person in ein funktionierendes soziales Netz eingebunden ist, nachweislich auf die Gesundheit auswirkt. „Je besser jemand gesellschaftlich eingebunden ist, desto besser wird ihre oder seine Gesundheit sein.“

Umfassender Blick auf Armut

Auf dem Kongress wird Gesundheit weniger als die Abwesenheit von Krankheit verstanden, sondern im Sinne der Weltgesundheitsorganisation als ein umfassendes körperlich-seelisches und soziales Wohlbefinden. Bei Armut wird nicht nur der finanzielle Teil in den Blick genommen. Es geht um erlebten Mangel, aber genauso um verminderte gesellschaftliche Teilhabe. Prof. Stefan Sell empfiehlt in seinem Vortrag, den Blick nicht nur auf das zu richten, was die offizielle Sozialwissenschaft als Armut definiert. Gerade mit Blick auf die gesundheitlichen Folgewirkungen seien auch die Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor in den Blick zu nehmen: 3,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte verdienten hierzulande weniger als 2.000 Euro brutto im Monat. Diese Gruppe bekomme relativ gesehen am wenigsten Unterstützung und „natürlich hat so etwas krankmachende Tendenzen“, sagt der Sozialwissenschaftler.

Sanktionen machen krank

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In seinem Vortrag weist Sell außerdem auf die hohe Quote jener Erwerbstätigen hin, die – obgleich anspruchsberechtigt – Hartz IV nicht beziehen. 2017 seien das konservativen Berechnungen zufolge mindestens 2,2 Millionen Personen gewesen. Bei den Gründen spielen Sanktionen eine ganz wichtige Rolle, führt Sell aus und betont: „Wir unterschätzen die nachgewiesene krankmachende Wirkung, die wir durch harte Sanktionsinstrumente in unseren Sozialleistungssystem haben und beobachten.“ In den USA konnte beispielsweise eine Studie diese Wirkung bei alleinerziehenden Müttern belegen. Über einen Zeitraum von 15 Jahren wurde belegt: Je härter die Sanktionen der Armutsbekämpfungsprogramme, desto stärker die negativen Folgen für die mentale Gesundheit der Frauen. Eine Verschärfung der Sanktionen hatte steigende Erkrankungsraten zur Folge. In Großbritannien haben Berichte über die krankmachenden Folgen Wirkung gezeigt. Wie Sell berichtet, hat die Regierung 2013 die äußerst harte Sanktionspraxis reduziert.

Ein gelungenes Beispiel für „Politik macht Gesundheit“ – das diesjährige Motto des Kongresses.