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Sicherheit hat ihren Preis

Über das politische Tauziehen um die Importförderklausel bei Arzneimitteln

Berlin (pag) – Die Mission trägt das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) im Titel. Mit diesem hehren Ziel können sich alle Akteure identifizieren, doch bei der Wahl der Mittel hört die Einigkeit auf – zumindest bei der umstrittenen Importförderklausel.

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Schon vor dem GSAV steht das Thema Importförderklausel bei einigen Akteuren auf der Agenda. Bereits 2015 spricht sich der bayerische Pharmagipfel dafür aus, diese zu streichen. Auch einige Kassen halten das Instrument mittlerweile für verzichtbar – nicht zuletzt, weil die damit verbundenen Einsparungen als überschaubar gelten. Ein „zahnloses Bürokratiemonster“ nennt es Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Er tritt im Sommer vergangenen Jahres – gemeinsam mit dem Vorsitzenden der hiesigen Kassenärztlichen Vereinigung und dem Chef des Deutschen Apothekerverbandes – für dessen Abschaffung ein.

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Lunapharm ist kein Einzelfall

Der Fall Lunapharm zeigt die Brisanz des Themas. Die Task Force, die den Skandal untersucht, findet in ihrem Bericht deutliche Worte. Die Experten schreiben, dass die Erfüllung dieser Quote die Patientensicherheit gefährde: Importe würden zunehmend „als Zugangsweg für minderwertige, gestohlene oder gefälschte Arzneimittel genutzt“. Lange, grenzüberschreitende und intransparente Lieferketten erhöhten das Risiko dafür, dass solche Medikamente hierzulande eingeschleust würden.

Hinzu kommt: Lunapharm ist insofern kein Einzelfall, als dass bereits 2014 gestohlene Arzneimittel, dieses Mal aus italienischen Kliniken, nach Deutschland gelangten. Prof. Wolf Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Mitglied der Lunapharm Task Force, betont im Interview mit Gerechte Gesundheit, dass insbesondere Krebsmedikamente im Fadenkreuz von kriminellen Netzwerken stehen. Als Zielland Nummer eins für gefälschte beziehungsweise gestohlene Arzneimittel gelte Deutschland.

Der Kompromiss

Lunapharm ist ein Anlass für das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung. Doch insbesondere die Importförderklausel ist im Gesetzgebungsprozess Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen. Mal heißt es, die Klausel wird gestrichen, dann soll sie wieder erhalten bleiben. Als wichtige Einflussgröße pro Quotenerhalt gilt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Zu dessen Wahlkreis Saarlouis gehört die 30.000-Seelen-Kreisstadt Merzig. Dort befindet sich der Sitz des größten Arzneimittelimporteurs Deutschlands, Kohlpharma.

Das am 6. Juni vom Bundestag mit dem Stimmen der Großen Koalition angenommene Gesetz sieht schließlich vor, dass die Klausel bestehen bleibt – allerdings mit Einschränkungen: Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und Zytostatika werden wegen besonderer Anforderungen an Transport und Lagerung von dieser Regelung ausgenommen. Der GKV-Spitzenverband wird verpflichtet, bis Ende 2021 einen umfassenden Bericht zu erstellen, den das Bundesgesundheitsministerium bewertet. Auch der Bundestag soll sich mit dem Bericht befassen, um zu klären, ob die Importregelung weiterhin notwendig ist. Neu geordnet wird die Preisabstandsgrenze: Unter Berücksichtigung der Abschläge muss bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 100 Euro der Abstand mindestens 15 Prozent betragen, bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 100 Euro bis einschließlich 300 Euro mindestens 15 Euro und bei Bezugsarzneimitteln mit einem Abgabepreis von über 300 Euro mindestens fünf Prozent.

Eine „halbseidene“ Lösung?

Bei der Opposition kommt der Erhalt der Importförderklausel nicht gut an. „Wer es mit Arzneimittelsicherheit ernst meint, muss die Vertriebswege massiv vereinfachen“, fordert Sylvia Gabelmann (Die Linke) in der Bundestagssitzung. Eindeutig Position bezogen hat im Vorfeld auch der FDP-Gesundheitspolitiker Prof. Andrew Ullmann. Er meint: „Unabhängig wie man zum Arzneimittelimport insgesamt steht, eine Importförderklausel ist heute ordnungspolitisch wie sozialpolitisch nicht mehr zu rechtfertigen.“

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Einige Tage nach der Bundestagssitzung verteidigt der CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge die Regelung auf einem Symposium der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen. „Wir haben eine ganz gute Kompromissformel gefunden“, sagt er. Die Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkassen, Ulrike Elsner, findet, dass es sich um ein wichtiges Steuerungsinstrument in puncto Bezahlbarkeit handele. Dagegen kritisiert der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker, Prof. Frank Dörje, die Gesetzesregelung auf dem Symposium als „halbseidene Lösung“, die schädlich für Patienten sei.

Einhellig fällt auch seitens der Pharmaindustrie die Kritik am Fortbestand der Quote aus. Dr. Martin Zentgraf, Vorstand des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, sagt: „Wer auf die Abschaffung der Importförderklausel verzichtet, konterkariert den Anspruch nach mehr Sicherheit.“ Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller sieht es ebenfalls kritisch, dass sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen konnte, die Importförderklausel komplett abzuschaffen: „Das hätte die Arzneimittelsicherheit deutlich erhöht.“

Welche Rolle spielt der Bundesrat?

Nicht wenige Akteure dürften bei der Abschaffung der Importförderklausel auch auf den Bundesrat gesetzt haben. Das Gesetz ist zustimmungspflichtig und bereits im Dezember vergangenen Jahres hat die Länderkammer in einer Entschließung die Streichung der Quote verlangt. Diese Forderung wiederholt der Rat in seiner Stellungnahme zum Gesetz vom 15. März. Die Argumentation: Die Klausel sei eine bürokratische Doppelregulierung ohne großes Einsparpotenzial. Durch neuere preisregulierende Gesetze und aktuelle Rabattvereinbarungen habe sie erheblich an Bedeutung verloren. Der Importzwang berge hingegen die Gefahr nicht mehr nachvollziehbarer Handelswege.

Folgerichtig hat der Gesundheitsausschuss des Bundesrates dem Ländergremium empfohlen, dem Gesetz nicht zuzustimmen, sondern den Vermittlungsausschuss anzurufen. Diesen Antrag lehnt der Bundesrat am 28. Juni jedoch ab und stimmt für das Gesetz und damit für den Erhalt der Quote.