In Kürze

Demenz und Sex

Berlin (pag) – Um Demenz und Sexualität geht es kürzlich bei einer Tagung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Das Interesse ist groß, der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt: Es findet ein intensiver Austausch über ein Thema statt, das noch immer ein großes Tabu darstellt.

Den Auftakt der Tagung bildet die Angehörigenperspektive – zwei anonyme Berichte von betroffenen Ehefrauen werden vorgelesen. Einer trägt die Überschrift: „Was Demenz mit der Liebe macht“. Darin wird die Frage gestellt, ob der Wunsch nach Nähe und Sexualität mit der Diagnose Demenz endet. Die Ehefrau schreibt, dass Erkrankte sexuelle Wesen bleiben, auch wenn ihnen solche Bedürfnisse meist nicht zugestanden werden. „Sie sind aber da.“

Vermeintliche Asexualität von Alten

Es fällt nicht nur Angehörigen schwer, über dieses Thema zu sprechen, auch Pflegende ringen um einen angemessenen Umgang. Vermutlich, weil Asexualität noch immer wichtiger Baustein der Altersidentität ist. Ältere dürften keinen Sex haben, sondern sollten sich bescheiden zurückhalten, schildert Christian Müller-Hergl eine gängige Vorstellung. Wer sich dem erfolgreichen Altern als beständige Optimierungsaufgabe verweigere, könne rasch als „dirty old man“ oder „unwürdige Greisin“ abgetan werden, erläutert der Wissenschaftler der Universität Witten/Herdecke und der Hochschule Osnabrück.

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Aufnahme mit Models gestellt © iStock.com, pidjoe

Zwar betonten Pflegekräfte oft, eine positive Einstellung zur Sexualität im Alter zu haben. Müller-Hergl berichtet aber, dass es sich in konkreten Situationen oft anders verhält. „Wenn Herr Meyer abends zu Frau Möller oder manchmal auch zu Frau Schmidt geht, wird es schwierig.“ Auf diesen Aspekt ihrer Arbeit würden Pflegende nicht wirklich vorbereitet, findet er. Allerdings hätten Studien gezeigt, dass Fortbildungen dazu nicht die Haltung von Mitarbeitern in Institutionen beeinflussten. „Das heißt: Auch dann, wenn sie aufgeklärt sind, bleiben sie bei ihrer restriktiven Haltung.“ Das betreffe vor allem die Jungen, je älter die Mitarbeiter seien, desto toleranter seien sie. Einer aktuellen Studie zufolge sind sich Pflegende und Angehörige mehrheitlich darin einig, dass intimer Kontakt zwischen Demenzpatienten, die anderweitig verheiratet sind, zu verhindern ist. Begründet wird das mit der „reduced capacity“ der Betroffenen. Allerdings weist Müller-Hergl darauf hin, dass intimer Kontakt zwischen unverheirateten Demenzpatienten von beiden Gruppen akzeptiert werde – in diesem Fall scheine das Argument der reduced capacity keine Rolle zu spielen, folgert der Wissenschaftler.

„Demenzpatienten können Entscheidungen treffen“

Im Anschluss stellt Pflegewirt Peter Offermanns wichtige Fragen: In welchem Umfang sollen andere über die Beziehung von Bewohnern entscheiden dürfen? Haben andere das Recht, Verhaltensnormen aufzustellen – solange nicht gegen Gesetze verstoßen wird? „Demenzpatienten können Entscheidungen treffen“, hebt Offermanns hervor. Sein Appell lautet, offen für Lösungen zu sein, welche die Lebensqualität der Klienten verbessern. Dafür gibt er den Tagungsteilnehmern folgende Grundsätze mit auf den Weg: Wir korrigieren unsere Vorstellung vom asexuellen Alter. Wir setzen Heterosexualität nicht als allgemeingültig voraus. Wir sind vorbereitet auf Konfrontationen mit den sexuellen Wünschen unserer Bewohner. Wir können darüber unvoreingenommen reden. Es ist noch ein langer Weg.