Im Fokus

Arztberuf – Generationswechsel mit Folgen

Warum die alten Strukturen jungen Medizinern nicht mehr passen

Berlin (pag) – Die Babyboomer haben das Gesundheitswesen geprägt. Doch die jungen Ärzte, die jetzt nachrücken, stellen vieles infrage – ihre Arbeitsbedingungen, ihre Ausbildung, aber auch Versorgungskonzepte. Wie stark sind die Beharrungskräfte, was muss sich ändern?

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Ein Generationswechsel steht an: Die Babyboomer werden in dieser Dekade die letzte Phase ihres Berufslebens antreten, um sich danach in den Ruhestand zu verabschieden. Begonnen hat dieser Prozess bereits in den vergangenen Jahren, er wird jetzt aber deutlich an Dynamik gewinnen. Ende 2018 sind 68 Prozent der in Praxen tätigen Ärztinnen und Ärzte mindestens 50 Jahre alt. Knapp jeder Dritte von ihnen (31 Prozent) ist bereits 60 Jahre und älter. Beispiel Rheinland-Pfalz: Dort geht nach Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bis 2026 die Hälfte der aktuell niedergelassenen Ärzte in den Ruhestand – vorausgesetzt, dass sie im Alter von 68 Jahren ihre Tätigkeit aufgeben. Nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern bundesweit suchen immer mehr Ärzte vergeblich einen Praxisnachfolger. Das gilt insbesondere auf dem Land. Auch Kliniken tun sich immer schwerer damit, offene Stellen wiederzubesetzen. Deshalb spielen die Babyboomer im gegenwärtigen Versorgungssystem eine so wichtige Rolle und gehören noch nicht zum alten Eisen.
Geprägt wurden sie durch ganz andere Erfahrungen als ihre jungen Kollegen der Generation Y. Der Nachwuchs ist gefragt wie nie, während sich Babyboomer als Berufsanfänger in einer ausgeprägten Ärzteschwemme behaupten mussten. „Auf einer halben Stelle voll arbeiten“, beschreibt der niedergelassene Urologe Dr. Götz Geiges im Interview seine damaligen Erfahrungen. Medizinstudent Lukas Hinkelmann weiß noch nicht, ob er sich die vorherrschenden Arbeitsbedingungen im Klinikbetrieb „antun“ möchte. (Das Gespräch mit vier Ärzten – Babyboomer und Generation Y – lesen Sie auf Seite 5)

Vereinbarkeit und Flexibilität

Was der medizinische Nachwuchs von seiner Berufstätigkeit erwartet, hat die KBV im „Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018“ ergründen lassen. Der Befragung zufolge stehen ganz oben auf der Wunschliste die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geregelte Arbeitszeiten, die aber Flexibilität ermöglichen, und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zu sein. Für Frauen – ihr Absolventenanteil beträgt im Jahr 2015 rund 67 Prozent – sei insbesondere Teilzeittätigkeit attraktiv. Als Folge dessen konstatiert der Bericht eine Angebotsverknappung: Die Zahl der berufstätigen Frauen habe von 2000 bis 2007 um 17,1 Prozent zugenommen, das Volumen der von ihnen geleisteten Wochenstunden dagegen nur um 9,1 Prozent. Für Babyboomer sind starre Strukturen und ausgeprägte Hierarchien Teil ihrer Sozialisation, die Jungen fühlen sich davon mehrheitlich abgeschreckt. Im Monitoring-Bericht sind folgende Kommentare dazu nachzulesen:

  • „Besonders die starke hierarchische Trennung zwischen Ärzten und Pflegepersonal in Krankenhäusern ist in meinen Augen nicht zeitgemäß und toxisch für das Arbeitsklima und die Zusammenarbeit.“
  • „Ich wünsche mir sehr, dass die starre Hierarchie v.a. in den Krankenhäusern nicht weiter unterstützt wird und ein kollegiales Zusammenarbeiten aller Angestellten möglich ist.“
  • „Das Arbeitsklima in den Kliniken ist die größte Herausforderung. Es wird Zeit, dass die Alphamännchen ihre Chefarztposten räumen und Platz machen für eine Medizin des Miteinanders.“

Grundsätzlich ist es für den medizinischen Nachwuchs eine attraktive Option, angestellt zu arbeiten – sei es im Krankenhaus oder im ambulanten Sektor, dort beispielsweise in einem medizinischen Versorgungszentrum. Die Einbindung in ein medizinisches Team ist vielen wichtig. Sich selbst niederzulassen reizt dagegen immer weniger, als abschreckend werden das Investitionsrisiko und die Bürokratie empfunden. „Wir ambulanten Ärzte sind ein Auslaufmodell“, konstatiert etwa Praxisinhaber Geiges.

Umbau des Systems

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die bisherige Versorgungsorganisation mit zwei starr voneinander getrennten Sektoren und der Dominanz der Einzelpraxis im niedergelassenen Bereich kein Zukunftsmodell sein wird. Wenig überraschend ist es daher, dass sich immer mehr junge Mediziner organisieren, um das hiesige System nach ihren Vorstellungen umzubauen, zu verbessern. Umtriebig ist etwa die Initiative Hashtag Gesundheit. Auch das Bündnis Junge Ärzte macht von sich reden. Auf dem Ärztetag im vergangenen Jahr stellte Dr. Thomas Maibaum den Antrag, dass in Gremien und Ausschüssen der Bundesärztekammer (mit mehr als fünf Mitgliedern) eine junge Ärztin oder ein junger Arzt kooptiert werden. Die Begründung: „Wie unter anderem in den Diskussionsforen junger Ärztinnen und Ärzte im Vorfeld der Ärztetage ersichtlich wird, sind die Probleme und die Problemlösungsstrategien der jungen Kolleginnen und Kollegen different zu denen der älteren Kollegen.“ Trotzdem seien Ärztinnen und Ärzte unter 50 Jahren kaum in berufspolitischen Gremien vertreten. Allen Unterschieden zum Trotz sollte nicht aus dem Blick verloren werden, dass Ärzte verschiedener Generationen auch vieles eint. Ihre Wünsche und Werte liegen oft gar nicht allzu weit auseinander.* Ein Grundthema, das alle umtreibt, ist die fortschreitende Ökonomisierung bzw. Kommerzialisierung der Versorgung. Um dieser Herausforderung angemessen zu begegnen, ist ein generationsübergreifendes Engagement vonnöten.

* Babyboomer und Generation Y als Beschäftigte: Was eint, was trennt? K. Zok, M. Pigorsch, H. Weirauch. In: Fehlzeitenreport 2014.

Generationen-Guide

Leben, um zu arbeiten: Die Babyboomer, geboren zwischen 1946 und 1964, haben das Wirtschaftswunder erlebt und gehören zum geburtenreichsten Jahrgang. Viele rückten die Arbeit in den Mittelpunkt ihres Lebens, sie prägten den Ausdruck Workaholic.

Arbeiten, um zu leben: Generation X ist die Sandwich-Generation zwischen den jüngeren Ypsilonern und den älteren Babyboomern. Ihre jüngsten Vertreter sind Ende dreißig, Anfang vierzig, die ältesten befinden sich in ihren Fünfzigern. Über sie wird geschrieben, dass das berufliche Vorankommen ihr wichtigstes Ziel bei der Suche nach einem Job sei.

Arbeiten und Leben verbinden ist für die Generation Y – gesprochen Why (engl. warum) wichtig. Die Millennials hinterfragen vieles, streben nach Selbstverwirklichung, arbeiten gern im Team und sind hervorragend vernetzt, heißt es über sie.

„OK Boomer“ sagen die Millennials zu Babyboomern, die ihrer Meinung nach vom modernen Leben nun wirklich keine Ahnung mehr haben.