Im Fokus

Digitale Wende braucht neue Berufe

 … und warum Corona als Katalysator wirken könnte

© antoniokhr / iStockphoto.com

Berlin (pag) – Eine Fachkraft, einen Prozessmanager und einen Systemarchitekt für digitale Gesundheit: Diese drei neuen Berufe hält eine Reformkommission der Stiftung Münch für erforderlich, um die Digitalisierung im Gesundheitssystem zu implementieren. Die Gesundheitsversorgung soll dadurch nachhaltig verbessert werden.

In einem 13-seitigen Papier hat die Kommission Kompetenzprofile erstellt, Anforderungen für die Entwicklung der Curricula entwickelt und Voraussetzungen für die Implementierung skizziert. Die neuen Berufe werden wie folgt beschrieben:

  • Die Fachkraft für digitale Gesundheit ist ein patientennaher Beruf. Sie betreut unmittelbar jeweils einzelne Patienten und sucht nach individuellen Wegen zur bestmöglichen Versorgung in ihrer konkreten Situation. Die Fachkraft leistet klassische analoge Hilfe und Routineversorgung und greift bei Bedarf auf digitale Technologien zurück, an die sie die Patienten heranführt. Ein relevanter Teil ihrer Arbeit wird die Pflege der Gesundheitsdaten und der elektronischen Patientenakte sein.
  • Der Prozessmanager für digitale Gesundheit ist für die Implementierung und Aufrechterhaltung innovativer Versorgungsabläufe zuständig. Er entwickelt medizinische und pflegerische Abläufe durch die Einführung digitaler Gesundheitstechnologien, die sich an einem Patientenkollektiv und ihren Behandlungsanforderungen orientieren. Eingesetzt wird der Manager sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor, aber auch intersektoral an Schnittstellen verschiedener Einrichtungen des Gesundheitssystems.
  • Der Systemarchitekt für digitale Gesundheit ist ein Change-Manager, der die großen Linien für die digitale Transformation seiner Einrichtung vorgibt. Er verantwortet die Konnektivität der Systeme, die Einhaltung der Datenstandards, die Aufsicht über Dutzende Einzelprozesse und erschließt Synergiepotenziale. Für seine Tätigkeit benötigt der Systemarchitekt hohes medizinisches und technologisches Wissen sowie hohe strategische und kommunikative Fähigkeiten.
Werden Studenten noch wie zu Virchows Zeiten ausgebildet? Historische Aufnahme von Rudolf Virchow, eine Schädeloperation beobachtend, Paris 1900 © Wellcome Images, CC BY 4.0

Ausbildung wie zu Virchows Zeiten

„Wir müssen die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Ärzten und Gesundheitsberufen komplett neu denken“, fordert die „Reformkommission Gesundheitsberufe der Zukunft“. Viele Ausbildungen erfolgten immer noch weitgehend ohne die demographischen und medizinisch-technologischen Veränderungen wie Ambulantisierung, Personalisierung, Automatisierung oder Künstliche Intelligenz zu berücksichtigen. Teilweise würden Mediziner und andere Gesundheitsberufe noch wie zu Virchows Zeiten ausgebildet. Ärzte und Angehörige anderer medizinischer Fachberufe, so der Befund, seien nach ihrer Ausbildung oft nur unzureichend auf ihr Berufsleben in einem sich radikal wandelnden Gesundheitssystem vorbereitet. Außerdem würden in einem vorwiegend arztzentrierten Versorgungs- und Vergütungssystem die Potenziale einzelner Gesundheitsberufe nur unzureichend genutzt. Die derzeitige Digitalisierungswelle mit dem Ziel, Aufgaben und Zuständigkeiten besser zu koordinieren, erfordere die existierenden Berufe weiterzuentwickeln. Das allein reiche als Antwort auf die damit verbundenen Umwälzungen jedoch nicht aus. Vielmehr sind nach Ansicht der Experten neue Berufe notwendig.

Pandemie als Katalysator

Die Kommission ist überzeugt, dass spätestens seit SARS-CoV-2 für viele Menschen die Vorteile digitaler Anwendungen spürbar werden. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen habe im April die Digitalisierung als einen der Schlüssel zur Überwindung der Coronakrise benannt. „Die Pandemie wird zum Katalysator für die digitale Transformation“, ist Privatdozent Sebastian Kuhn, federführender Leiter der Kommission, überzeugt. Die vorgeschlagenen Berufe hätten dadurch an Bedeutung gewonnen, da sie sowohl die Patientenversorgung als auch die Innovationsfähigkeit im Gesundheitssystem stärken.
Stichwort Implementierung: Während Prozessmanager und Systemarchitekt vor allem aus den bestehenden Institutionen heraus entwickelt werden könnten, mahnen die Experten eine breite Zusammenarbeit von Politik und Verbänden an, um die Fachkraft für digitale Gesundheitsversorgung im System zu installieren. Weil bei diesem Beruf ein vieltausendfacher Bedarf vorausgesetzt werden könne, muss seine standes- und sozialrechtliche Anerkennung und die damit verbundene Finanzierung im Rahmen einer digitalen Bildungsstrategie für das Gesundheitswesen abgesichert sein.

 

© Stiftung Münch

Die Reformkommission

Der Kommission gehören an (siehe Foto, von links): der Mediziner Dr.Sebastian Kuhn, Dr. Bernadette Klapper, Leiterin des Bereichs Gesundheit der Robert Bosch Stiftung, Uwe Schwenk, Direktor des Programms „Versorgung verbessern – Patienten informieren“ bei der Bertelsmann Stiftung, und Dr. Franz Bartmann, ehemaliger Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein.

 

 

 

Weiterführende Links
Der Projektbericht der Experten „Neue Gesundheitsberufe für das digitale Zeitalter“ kann im Internet nachgelesen werden:
https://www.stiftung-muench.org/wp-content/uploads/2020/05/NB_Final.pdf

Interview mit Dr. Sebastian Kuhn in dieser Ausgabe: „Ich rechne mit deutlichen Widerständen“