Im Fokus

Verschobene Prioritäten

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Was wichtig war, wurde und wäre

Die Pandemie wirbelt die Prioritäten in der deutschen Gesundheitspolitik komplett durcheinander. Themen, die zuvor die Gemüter erhitzten, laufen jetzt unter ferner liefen. Dafür stehen einige Randthemen nun ganz oben auf der Agenda. Wo Experten Handlungsbedarf anmelden – eine Übersicht.

Ein momentan komplett abgeschriebenes Thema ist das angestrebte europäische Bewertungsverfahren für neue Gesundheitstechnologien (EU-HTA), ein ewiger Zankapfel. Schon lange wird darum gerungen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte wichtige Impulse setzen. Daraus wird jetzt nichts, denn in der von Corona geprägten Präsidentschaft wurde das Projekt kurzerhand von der Agenda gestrichen. Dieses Schicksal teilen die seltenen Erkrankungen. Auch um die Finanzierung der hiesigen Pflegeversicherung, die dringend reformiert werden müsste, ist es pandemiebedingt mehr als ruhig geworden. Dabei wird die Zeit knapp, denn die Legislatur hat ein konkretes Ablaufdatum, Corona nicht.
Andere Themen haben dagegen ungeahnten Aufwind erhalten: Die Impfstoffentwicklung etwa bewegt die Gemüter wie nie zuvor. Auch Labortests, bisher eine Nischenangelegenheit für Spezialisten, sind in den öffentlichen Fokus gerückt. Lesen Sie im Folgenden, welche Themen plötzlich vom Radar verschwunden sind, welche Schlagzeilen machen und welcher Zoff in die nächste Runde geht.

 

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In der Warteschleife


Pflegekostenfinanzierung – eine „tickende Zeitbombe“

 

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„Wir wären eigentlich mitten in einer Pflegefinanzierungsdebatte“, sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor der Presse Ende April. Diese wäre auch dringend angezeigt, denn der Pflegeversicherung geht die Luft aus. Das angekündigte Reformkonzept für die Finanzierung lässt auf sich warten. Die zu Pflegenden sollen möglichst nicht mit höheren Eigenanteilen belastet werden, Pflegekräfte sollen mehr verdienen – so der einhellige politische Wille. Der GKV-Spitzenverband fordert einen jährlichen Bundeszuschuss von drei Milliarden Euro und eine Investitionskostenübernahme der Pflegeheime durch die Bundesländer.

 

 

 

Wie lange hält die Pflegeversicherung ohne staatliche Unterstützung noch durch?

Prof. Jürgen Wasem, Gesundheitsökonom: Die Pflegekostenfinanzierung ist eine tickende Zeitbombe. Der Bedarf nach Altenpflegekräften wird wegen der demographischen Entwicklung deutlich zunehmen, bei zugleich eher schrumpfendem Erwerbspersonenpotenzial. Wir müssen Pflege verlässlich besser bezahlen. Auch wenn es wehtut: Wir müssen jetzt die Weichen dafür stellen. Die Problematik haben wir schon zu lange ausgesessen. Und um die Frage klar zu beantworten: Die Zeit drängt. Das Geld in den Pflegekassen reicht nur bis zum Ende der Legislatur.

 


Europäische Union – Krebs und seltene Erkrankungen unter ferner liefen?

 

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Verschobene Prioritäten bei der deutschen EU-Ratspräsidentschaft: Ganz oben steht alles rund um die Pandemiebewältigung. Maßnahmen, die die Souveränität der EU in puncto Arzneimittel und Schutzausrüstung stärken, rücken in den Mittelpunkt, dafür fallen seltene Erkrankungen wohl hinten runter. Thema Krebs: In dem im Mai publizierten „Bundesbericht Forschung und Innovation 2020“ betont die Regierung ihre Absicht, im Rahmen der Präsidentschaft die Krebsforschung auf europäischer Ebene voranzubringen. Der von der Kommission Anfang 2020 angekündigte Masterplan Krebs steht coronabedingt vorerst unter keinem guten Stern.

 

 

 

In der Warteschleife steht der EU-Masterplan zur Bekämpfung von Krebs. Auch die Bemühungen um seltene Erkrankungen werden zurückgeworfen. Was heißt das für die Betroffenen?

Peter Liese, MEP (CDU): Der Masterplan zur Bekämpfung von Krebs ist nach wie vor eine große Priorität für die Europäische Kommission und auch für meine Fraktion. Leider gab es in den letzten Wochen nur begrenzte Tagungsmöglichkeiten im Europäischen Parlament. Auch wenn wir viel gearbeitet haben, war es nicht möglich, den Sonderausschuss zu installieren. Das muss sich aber jetzt schnell ändern. Das Gleiche gilt für die Bemühung, seltene Krankheiten zu bekämpfen. Insgesamt hoffe ich, dass durch die Coronakrise viele Menschen erkennen, wie wichtig europäische Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich ist, und dann kann das am Ende vielleicht sogar für alle Patienten positiv sein.

 


Notfallversorgung – vorsichtiger Optimismus

 

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Kaum ein Thema hat die Gesundheitspolitik so in Atem gehalten wie die Reform der Notfallversorgung. Der Sachverständigenrat hat dafür weitreichende Vorschläge auf den Tisch gelegt. Es folgten ein Arbeitspapier und zuletzt im Januar ein Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium. Begleitet wurde das Ganze von hitzigen Debatten über Integrierte Notfallzentren und einen dritten Sektor. Dann blieb es lange ruhig. Mit dem Konjunkturpaket und der darin enthaltenen Investitionsspritze für moderne Notfallkapazitäten kommt wieder Bewegung in die Sache, oder?

 

 

 

Fällt die Notfallreform unter den Tisch oder wird es damit noch etwas vor dem Ende der Legislatur?

Sabine Dittmar, MdB (SPD): Die Reform der Notfallversorgung ist natürlich nicht vom Tisch. Klar ist, dass es Handlungsbedarf gibt, um die Patientenströme besser zu leiten und die indikationsabhängige Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Im Augenblick geht es aber in erster Linie darum, die Pandemie zu überwinden. Alle gesetzgeberischen Maßnahmen fokussieren sich darauf. Zudem sind die Gespräche zwischen Bund und Ländern über die Reform der Notfallversorgung noch nicht abgeschlossen, sodass der Entwurf noch keine Kabinettsreife hat. Ich hoffe allerdings, dass wir bald einen abgestimmten Gesetzentwurf vorliegen haben.

Karin Maag, MdB (CDU): Die Reform der Notfallversorgung ist ein zentrales Vorhaben dieser Legislaturperiode, das sowohl im Bundesgesundheitsministerium als auch in unserer Fraktion mit hoher Priorität behandelt wird. Das Gesetz soll dafür sorgen, die bisher weitgehend getrennt organisierten Bereiche der ambulanten, stationären und rettungsdienstlichen Notfallversorgung zu einem integrierten System weiterzuentwickeln. Diese Reform ist überfällig und notwendig, um eine bessere Orientierung für Patienten, kürzere Wartezeiten, einen effizienteren Einsatz von Personal und Geld sowie insgesamt eine höhere Qualität der medizinischen Notfallversorgung zu erreichen. Allerdings erfordert dies ein komplexes Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen und wird nun auch an die Erfahrungen der Pandemie angepasst werden müssen. Ich bleibe dennoch vorsichtig optimistisch, dass es in dieser Legislaturperiode noch umgesetzt wird.


Verschobenes EU-HTA – „Zeit sinnvoll nutzen“

 

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Seit Jahren streiten die EU-Mitgliedstaaten darüber, wie eine europäische Zusammenarbeit bei der Bewertung neuer Gesundheitstechnologien, namentlich von Arzneimitteln, organisiert werden kann. Die Industrie befürwortet eine Harmonisierung, während Länder wie Deutschland und Frankreich fürchten, dass dabei ihre nationalen Standards unterlaufen werden. Eigentlich sollte EU-HTA bei der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine wichtige Rolle spielen, jetzt ist das Thema gestrichen.

 

 

 

 

Können wir es uns leisten, EU-HTA weiter auf die lange Bank zu schieben? Wie soll es jetzt weitergehen?

Prof. Josef Hecken, G-BA-Vorsitzender: Ein Mehrwert kann nur entstehen, wenn es klare Regeln für gemeinsame und nationale Bewertungen von zentral zugelassenen Arzneimitteln und Medizinprodukten gibt, um evidenzbasierte Empfehlungen zur Verwendung dieser Technologien auf nationaler Ebene zu treffen. Die Aufbereitung dieser Evidenz muss den Anforderungen der jeweiligen Mitgliedstaaten für eine Entscheidungsfindung genügen. Hierzu ist es jedoch essenziell, dass wissenschaftliche Fragen – beispielsweise in Bezug auf Studienanforderungen, Methodik, Endpunkte oder Surrogatparameter – einheitlich beantwortet werden. Dabei steht das notwendige abschließende Resümee aus dem EuNetHTA-Programm noch aus. Auch wenn der Bundesgesundheitsminister die geänderten Schwerpunkte für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft politisch begründet, so besteht auch aus wissenschaftlich-fachlicher Sicht noch Beratungsbedarf. Wenn es nun noch ein Jahr länger dauert, so kann und sollte diese Zeit sinnvoll genutzt werden.


Sektorenübergreifende Versorgung – Information ist alles

 

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Laut Koalitionsvertrag soll Schwarz-Rot „nachhaltige Schritte“ für eine sektorenübergreifende Versorgung einleiten. Tatsächlich wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die vor einem Jahr ein Eckpunkte-Papier veröffentlicht hat. Auch der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten von 2018 „Zukunftsperspektiven einer bedarfsgerechten sektorenübergreifenden Versorgung entwickelt“. Ein Stichwort lautet etwa sektorenübergreifende Versorgungsplanung.

 

 

 

Wird die Regierung das Thema sektorenübergreifende Versorgung noch anpacken?

Prof. Christof von Kalle, Onkologe: Meiner Meinung nach ist eine sektorenübergreifende Versorgung in allererster Linie ein Thema der Informationstransparenz und Informationsflüsse. Diese Bundesregierung, namentlich Minister Spahn, ist sehr offensichtlich intensiv damit befasst, in Sachen sektorenübergreifender ePA mit bisher nie da gewesener Geschwindigkeit voranzukommen, und hat insofern nach meiner Einschätzung einen sehr wesentlichen, wenn nicht den wesentlichsten Schritt für eine Verbesserung der sektorenübergreifenden Versorgung in Deutschland in Angriff genommen.

Welches müssten erste Schritte zur Überwindung der Sektorengrenze sein?

Prof. Christof von Kalle: Die baldige Einführung einer wirklich aussagekräftigen ePA, die alle Bereiche der Gesundheitsversorgung abdeckt: die haus- und fachärztliche Versorgung ebenso wie die durch Krankenhäuser – stationär, teilstationär oder ambulant – sowie die wesentlichen Aspekte wie Pflege und Medikation. Das ist der entscheidende Schritt. In der Pandemie ist deutlich geworden, dass unsere Unfähigkeit, Gesundheitsdaten auszutauschen, auszuwerten, den Patienten mit diesen zu begleiten und die Erkrankung des Patienten ganzheitlich zu verstehen, Menschen das Leben kostet. Es ist uns mit Mühe gelungen, die verfügbaren Betten zu zählen. Auch die Nachauswertung wird vor erheblichen Hindernissen stehen. Diese bestehen vielfach durch einen missverstandenen, verabsolutierten und zersplitterten Datenschutz. Wir dürfen uns diese Unfähigkeit und unsere Untätigkeit nicht länger als Datenschutz schönreden. Datenschutz bedeutet Patientenschutz, und das bedeutet in erster Linie einmal, dass Patienten über alle Sektorengrenzen hinweg Anspruch auf eine für ihr eigenes Wohlergehen optimale Auswertung ihrer Daten haben. Dabei ist die Datensicherheit von herausragender Bedeutung.


Leitlinien – erster Rechercheauftrag ans IQWiG im Juli

 

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Neue Akzente bei der Leitlinienarbeit sieht das Digitale-Versorgung-Gesetz vor: Zum einen soll die Erstellung oder Aktualisierung kompletter Leitlinien über Mittel des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert werden. Zum anderen kommt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit ins Boot: Es soll im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums Evidenzrecherchen zu einzelnen klinisch relevanten Fragestellungen in Leitlinien übernehmen.

 

 

 

 

Wann wird es konkret mit der neuen Leitlinienarbeit oder ist das Verfahren gegenwärtig on hold?

Von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die die Leitlinienarbeit koordiniert, ist zu hören, dass die Verfahrensabstimmung im vollen Gange sei (ein ausführlicher Bericht folgt in einer der nächsten Ausgaben). Das IQWiG teilt mit: „Aktuell läuft die Abstimmung zwischen der AWMF und dem Ministerium, zu welcher Fragestellung wir aktiv werden sollen. Wir rechnen damit, im Juli den ersten Auftrag zu erhalten.“


Anwendungsbegleitende Datenerhebung – Verfahrensregeln in Arbeit

 

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Stichwort AMNOG-Prozess: Insbesondere für die Nutzenbewertung von Orphan Drugs kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vom Hersteller eine anwendungsbegleitende Datenerhebung (AbD) verlangen, um Evidenzlücken zu schließen. Die Diskussion über Fallstricke und Vorteile des mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung eingeführten Instruments blieb 2019 zunächst etwas theoretisch – bis das IQWiG zum Jahresanfang einen Report zur Generierung und Auswertung versorgungsnaher Daten vorlegt. Noch konkreter wird es, als der G-BA-Chef Prof. Josef Hecken ankündigt, dass die Gentherapie Zolgensma die Ehre des ersten Durchlaufs habe. Das Präparat ist nun in der EU zugelassen.

Wie ist der aktuelle Stand? Wie geht es mit Zolgensma weiter?

Prof. Josef Hecken: Derzeit werden vom G-BA die Verfahrensregeln für eine AbD erarbeitet, um eine Grundlage für die Erstellung von Konzepten zur anwendungsbegleitenden Datenerhebung zu schaffen. An der Erstellung eines Konzeptes zur AbD sollen alle relevanten Beteiligten, unter anderem auch Registerbetreiber, beteiligt werden. Wir wissen, dass der Hersteller von Zolgensma mit den Zulassungsbehörden zur grundsätzlichen Frage einer weiteren Datenerhebung im Rahmen der bedingten Zulassung in Kontakt steht. Dies halten wir für sehr sinnvoll. Nähere Informationen zu den Inhalten haben wir jedoch nicht, da der G-BA in diese Gespräche nicht eingebunden ist. Mit Markteintritt von Zolgensma in Deutschland wird der pharmazeutische Unternehmer dem G-BA sein Dossier mit den zulassungsrelevanten Studien vorlegen und – sofern vorhanden – auch den Auflagen der EMA hinsichtlich der Durchführung von Registerstudien. Auf dieser Basis wird der G-BA dann für den deutschen Versorgungskontext die Frage des Zusatznutzens von Zolgensma beraten. Und selbstverständlich wird es hierbei dann auch darum gehen, inwiefern eine Befristung des Beschlusses mit der Auflage einer AbD angezeigt ist.“

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Im Rampenlicht


Medizingüter made in Europe

Warnungen vor Arzneimittelengpässen gibt es schon länger, doch erst mit der Coronakrise rücken die Folgen der globalisierten Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten wirklich ins öffentliche Bewusstsein. „Medizingüter made in Europe“ lautet die Krisenerkenntnis von Merkel und Macron. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung enthält folgerichtig ein „Programm zur Förderung der flexiblen und im Falle einer Epidemie skalierbaren inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel“, Umfang: eine Milliarde Euro. „Die Produktion von Medizingütern nach Europa zurückzuholen, ist eine Frage der Zahlungsbereitschaft der Gesellschaft für Versorgungssicherheit“, sagt Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem. Die durch die Verlagerung der Produktion nach Asien erzielten Einsparungen seien nämlich durchaus beitragssatzrelevant.

Labormedizin – Tests, Tests, Tests

Für gewöhnlich zählen Laborärzte nicht zu denjenigen Medizinern, die im Rampenlicht stehen. Ihre Arbeit verläuft im Hintergrund. In Zeiten von Corona ist das anders. Woche für Woche schalten sich mehrere Dutzend Medienvertreter dazu, wenn die Experten vom Verein Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) zur virtuellen Pressekonferenz einladen. Seit Ende März berichten Vorstandschef Dr. Michael Müller und seine Mitstreiter in diesem Format immer dienstags über das aktuelle Geschehen in den Laboren des Landes – und natürlich über das Thema, das gerade alle inter-essiert: Tests. Die ALM-Experten stehen Rede und Antwort, egal ob es um PCR- und Antikörpertests, den Ausbau der Kapazitäten in den Laboren oder mögliche Materialknappheit geht. Bisher ist das Inter-esse von Fach- und Publikumsmedien ungebrochen. Der Bundesgesundheitsminister will die Finanzierung der Tests über die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds abwickeln und hat Ende Mai eine Verordnung dazu veröffentlicht.

Impfstoffentwicklung – das Ticket zur Normalität

Kaum ein Thema wird derzeit so emotional und intensiv verfolgt wie die Entwicklung eines möglichen Impfstoffes gegen das Coronavirus, denn: Vakzine gelten als Ticket zurück in die Normalität. Dem Impfen werde mittlerweile eine größere Wertschätzung entgegengebracht, zeigt sich Gesundheitsminister Spahn überzeugt. Für ihn selbst sei es „eine der größten Errungenschaften der Menschheit“. Das sehen Impfgegner anders, die sich schon jetzt lauthals gegen eine derzeit nicht geplante Impfpflicht in Stellung bringen. Auch der Impfnationalismus treibt bisweilen seltsame Blüten. Wer macht das Rennen? Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharma-Unternehmen, fühlt sich gemüßigt, zu unterstreichen: „Europa ist in der Entwicklung von Corona-Impfstoffen auf Augenhöhe mit den drei anderen großen Akteuren des internationalen Geschehens: den USA, China und Indien.“

Der Öffentliche Gesundheitsdienst – aus der Versenkung

Dass der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) über Jahrzehnte kaputtgespart wurde, ist kein Geheimnis. Darum geschert hat sich kaum jemand. Jetzt zeigt der Pandemieausbruch, wie wichtig die vorderste Public-Health-Front ist. Mit dem zweiten Bevölkerungsschutzgesetz reagiert die Politik: Für den ÖGD werden rund 50 Millionen Euro lockergemacht. Das Geld soll in die digitale Aufrüstung der 375 Gesundheitsämter gesteckt werden. Beim Robert Koch-Institut wird eine Kontaktstelle für den ÖGD eingerichtet. Der Opposition geht das nicht weit genug. „Es ist nicht damit getan, dass die Gesundheitsämter jetzt ein paar neue Computer erhalten“, sagen Maria Klein-Schmeink und Fraktionskollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Ute Teichert, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des ÖGD, findet: „Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Bleibt abzuwarten, ob die im Konjunkturpaket vorgesehene Förderung nachhaltiger ist.

 

Alles bleibt anders


Strukturwandel im stationären Sektor – ja, nein, vielleicht?

Gibt es hierzulande zu viel Klinikbetten oder nicht? Ist Dänemark ein Vorbild oder hinkt der Vergleich? Zu hoffen ist, dass diese bisweilen sehr zäh geführte Debatte durch die Coronakrise neue Impulse bekommt. Für den Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft ist die Sachlage klar. Georg Baum sagt: „Warum kommen wir durch diese erste Welle so gut durch? Weil wir mehr Kapazitäten haben.“ Für den Gesundheitsökonom Prof. Jonas Schreyögg hat die Krise dagegen aufgezeigt, „wie wichtig ein konsequentes Vorantreiben der Strukturreformen ist“. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, wird grundsätzlicher.

Er sieht als eine Folge der Coronakrise, dass „das Ziel der größtmöglichen Effizienz hinterfragt wird“. Und auch die Diskussion um die notwendige Modernisierung der deutschen Krankenhauslandschaft würde von nun an unter anderen Vorzeichen fortgeführt werden. Das bleibt abzuwarten.