Prof. Eva Winkler über Datennutzung und Patientenbeteiligung
Moderne Informationsinfrastrukturen sollen Ergebnisse aus der Forschung rasch in die klinische Praxis bringen. Das Ganze birgt aber nicht nur technische und rechtliche, sondern auch ethische Herausforderungen. Mit ihnen beschäftigt sich die Ärztin Prof. Eva Winkler. Im Interview erklärt sie, warum gute Aufklärung und ein gerechter Zugang essenziell sind.
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Können Sie anhand eines Beispiels erläutern, was Patienten konkret von den Datenintegrationszentren haben, die im Rahmen der Medizininformatik-Initiative an den universitätsmedizinischen Standorten eingerichtet wurden?
Winkler: Einen direkten persönlichen Nutzen gibt es zunächst nicht. Die Medizininformatik-Initiative dient der Forschung. Dahinter steckt die Idee, die vielen klinischen Daten, die in den verschiedenen Datenbanken der Kliniken und Arztpraxen liegen, nutzbar zu machen. Die Auswertungen können helfen, die Qualität der Versorgung zu verbessern, aber auch ganz neue Fragestellungen in der Forschung zu beantworten.
Bei HiGHmed arbeiten Sie zu den ethischen Aspekten des Projekts. Welche ethischen Fragen sind denn bei der datenbasierten Versorgung und Forschung vorrangig zu klären?
Winkler: Zuerst einmal ist es wichtig, Patientinnen und Patienten genau zu erklären, welche Intention mit der Nutzung der Daten verfolgt wird, zu welchem Zweck wir diese Daten benötigen. Damit ist eine gute Aufklärung die erste ethische Herausforderung, weil man zum Zeitpunkt der Aufklärung noch nicht spezifisch sagen kann, in welche Projekte die Daten genau gehen und wo genau der Nutzen entsteht. Wir müssen vielmehr die Infrastruktur erklären, am besten mit einem konkreten Beispiel wie diesem: Wenn ein Forscher herausfinden will, ob bei Bauchspeicheldrüsenkrebs ein Zusammenhang mit Bluthochdruck besteht, dann stellt er eine Anfrage an die Medizininformatik-Initiative. Dort initiiert man eine grobe Suche, wie viele Patientendatensätze zu der Fragestellung vorliegen und im nächsten Schritt kann der Forscher dann einen Antrag auf Nutzung der verschlüsselten Datensätze stellen. Es muss klare Regeln geben, wer Zugriff hat, dass nur diese Forschungsfrage bearbeitet wird und die Daten danach gelöscht werden. Kurz: Zu den ethischen Herausforderungen gehört die Aufklärung der Patienten, der gerechte Zugang für alle Forscher, klare Kriterien, nach denen sie Zugang zu den Daten haben, und eine gute Aufsicht über das Ganze mit Berichtswesen, darüber, was denn am Ende als Nutzen herauskommt.
Welche Konflikte ergeben sich zwischen Personalisierter und Big-Data-Medizin einerseits und den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin andererseits? Und wie lassen sich diese im Sinne des Patienten lösen?
Winkler: Personalisiert klingt immer etwas irreführend, als wenn jede einzelne Person ihre eigene Medizin erhält. Tatsächlich beruht die stratifizierte Medizin, die hier gemeint ist, auf Biomarkern, die Patientenkohorten besser definieren. Deshalb werden die Patientengruppen immer kleiner, große Studien lassen sich nicht mehr durchführen.
Was ist die Konsequenz dessen?
Winkler: Damit verlassen wir den Goldstandard der großen randomisierten Studie. Die beiden Dinge werden gegenübergestellt, als wäre die individualisierte Medizin eine Abkehr von der evidenzbasierten Medizin. In Wirklichkeit ist es eine Weiterentwicklung, die aufgrund des Fortschritts der Erkenntnis und der Möglichkeiten, die Krankheit des Einzelnen besser zu charakterisieren, auch eine Weiterentwicklung unserer Systematik und Methodik bezüglich eines gut abgesicherten Nutzens erfordert. Der Nutzennachweis muss auch weiter der Standard sein.
Sind Patienten auch in diesen ganzen Prozess involviert?
Winkler: Ja. Ein Schwerpunkt ist die sogenannte Stakeholder-Beteiligung und Partizipation von Patienten – sowohl auf nationaler Ebene als auch im Rahmen von unseren medizinischen Schwerpunktprojekten im Rahmen des HiGHMed-Konsortiums. Wir haben drei Standorte dafür: Göttingen, Berlin und Heidelberg. Gerade in Göttingen wird unter der Leitung von Frau Prof. Silke Schicktanz untersucht, wie Patienten strukturell beteiligt werden können, also sowohl in den Entscheidungsgremien als auch bei der Bereitstellung von Daten beispielsweise im kardiologischen Anwendungsbereich, wo Patienten durch die App schon bei der Datengenerierung miteinbezogen sind.
Wie erleben Sie die Bereitschaft, Daten zur Verfügung zu stellen?
Winkler: Insgesamt ist die bei Krebspatienten recht hoch, aber man muss je nach Bedürfnis unterschiedliche Intensitäten und Beteiligungsformen anbieten. Einige Patienten sind mit ihrer Krankheit beschäftigt. Aber es gibt viele Patienten, die sagen, man müsste eigentlich mehr mit den Daten forschen, die sie bereitstellen. Keiner möchte keine Forschung.
Was ist HiGHmed?
Das Konsortium HiGHmed bündelt und integriert im Rahmen der Medizininformatik-Initiative Kompeten- zen von acht Universitätskliniken und medizinischen Fakultäten sowie weiteren Partnern aus Wissenschaft und Industrie. Das Ziel: innovative Informationsinfrastrukturen entwickeln und so einen schnelleren Transfer von Ergebnissen aus der Forschung in die klinische Praxis ermöglichen. Die Partner arbeiten organisations- und institutionsübergreifend zusammen, um einen Verbund von Datenintegrationszentren aufzubauen. Anhand von drei klinischen Use Cases sollen die Zentren demonstrieren, wie Daten, Infor- mationen und Wissen aus Krankenversorgung sowie klinischer und biomedizinischer Forschung zum Wohle von Patienten über die Grenzen von Stand- orten hinweg verknüpft werden können.
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• Use Case Onkologie: Gezieltere Krebsbehandlung durch übergreifenden Wissensaustausch
• Use Case Kardiologie: Früherkennung und Vermeidung von Krankheitsschüben bei Langzeit-Verläufen
• Use Case Infektionskontrolle: Krankenhausinfektionen verstehen, vorhersehen und verhindern