Debatte zur DRG-Weiterentwicklung und Ökonomisierung hält an
Berlin (pag) – Eine Ökonomisierung des Medizinbetriebs wird seit Jahren von Ärzten angeprangert. Jüngstes Beispiel ist der 118. Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Tatsächlich geht es bei dem Konflikt um weitaus mehr als eine Weiterentwicklung des DRG-Systems, wie sie gegenwärtig politisch angestrebt wird.
Auf der DOG-Veranstaltung im Oktober sind Fehlentwicklungen in der Augenheilkunde durch die zunehmende Ökonomisierung ein Schwerpunktthema. „Rettet die Medizin! Arzt-sein zwischen Patientenwohl und Wirtschaftlichkeit“, lautet der Titel der Keynote-Lecture von Prof. Peter Pramstaller. „Wir Ärzte müssen uns zum Wohl der Patienten und unserer nachfolgenden augenärztlichen Generationen dem Wirtschaftlichkeitsstreben entgegenstellen, wo es zu Verwerfungen führt“, sagt sein Kollege Hans Hoerauf, Direktor der Augenklinik der Universitätsmedizin Göttingen.
Die Fallpauschalen im Krankenhaus gelten gemeinhin als Treiber der Ökonomisierung, werden teils synonym damit verwendet. Allerdings ist in das DRG-System in jüngster Zeit Bewegung gekommen. Die Pflegepersonalkosten sind seit diesem Jahr aus den DRGs ausgegliedert. Der GKV-Spitzenverband bezeichnet das als „die nachhaltigste Veränderung im DRG-System seit seiner Einführung“. Dabei soll es offenbar nicht bleiben. Denn auch wenn es das Thema kürzlich nicht auf die Agenda der Gesundheitsministerkonferenz geschafft hat, so ist es doch im Bundestag sehr präsent.
Diskussionen im Bundestag
Bei einer Anhörung zum Krankenhauszukunftsgesetz regen kürzlich Experten im Gesundheitsausschuss Änderungen am Abrechnungssystem des Krankenhauswesens an. „Wir sprechen uns nicht dafür aus, das DRG-System in Gänze abzuschaffen“, betont Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Aber die Grundfinanzierung der Häuser müsse gesichert sein, um die Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Gesundheitsökonom Prof. Jonas Schreyögg, Universität Hamburg, empfiehlt, „künftig mit Vorhaltepauschalen für bestimmte Fachabteilungen, geknüpft an enge Voraussetzungen, zu arbeiten“. Prof. Boris Augurzky, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, warnt vor einer kompletten Abschaffung des DRG-Systems. Es müssten aber „Modelle zu Regionalbudgets weiter ausgearbeitet und vor allem in ausgewählten Pilotregionen praktisch erprobt werden“.
Vorschläge zur Weiterentwicklung des DRG-Systems hat Schreyögg zuvor in einem Gutachten zur bedarfsgerechten Gestaltung der Krankenhausvergütung vorgestellt, das er mit Ricarda Milstein, Universität Hamburg, im Auftrag der Techniker Krankenkasse verfasst hat. „Eine Finanzierung von Vorhaltekosten für Strukturen der Leistungserbringung, beispielsweise für seltene Erkrankungen, Notfälle und die Grundversorgung auf dem Land, reduziert den finanziellen Druck von Krankenhäusern, ihre Strukturen über eine Fallzahlausweitung querfinanzieren zu müssen“, lautet ein Vorschlag der Autoren. Und eine Anpassung der Vergütung an exogene Kostenfaktoren, die nicht der Kontrolle des Krankenhauses unterliegen, sowie an Versorgungsstufen, die unterschiedliche Kostenstrukturen mit sich bringen, erhöhe die Fairness des Vergütungssystems. Außerdem entlaste es Krankenhäuser finanziell, die für ihre ungünstigen Kostenstrukturen nicht verantwortlich seien.
„Wir werden es liefern“
Bei der Haushaltsdebatte im Bundestag kurze Zeit später verdichten sich die Anzeichen, dass die Politik die Botschaften verstanden hat. „Wir brauchen ein gestuftes Versorgungssystem und darauf aufbauend ein Fallpauschalensystem“, das auch Vorhaltekosten berücksichtigen könne, sagt Karin Maag (CDU) und kündigt an: „Wir werden es liefern.“ Dr. Edgar Franke (SPD) erkennt ebenfalls Reformbedarf: „Die Fallpauschalen haben in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass mehr operiert wurde, als eigentlich notwendig war und das nur, um Einnahmen zu erzielen, um mehr Geld zu verdienen.“ Auch beim jüngsten Krankenhausgipfel der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeigt sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offen für Änderungen am Fallpauschalensystem.
Änderungen ja, gänzlich abschaffen wohl eher nicht – das dürfte der politische Kurs sein. Denn erst im Sommer hat der Minister bei einer Veranstaltung der Robert-Bosch-Stiftung zwar eingeräumt, dass die DRGs nicht perfekt seien. Mit Verweis auf gleichzeitige Überversorgung insbesondere in den Ballungsgebieten und Unterversorgung in anderen Regionen stellt er jedoch klar: „Solange es keine bedarfsgerechte Versorgung gibt, ist die Idee, einfach Strukturen zu finanzieren, nicht richtig“. Er will einen nicht effizienten Ressourceneinsatz verhindern, vor der Diskussion über ein neues Vergütungssystem seien Strukturveränderungen im stationären Bereich notwendig.
Krankenhausbereich – politisch unsexy
Dass es zu einer solch grundsätzlichen Strukturreform noch in dieser Legislatur kommt, ist jedoch unwahrscheinlich. Vielleicht sind die politischen Gestalter aber gar nicht so unglücklich darüber, dass Corona die Reformagenda gehörig durcheinandergebracht hat. Denn das Thema ist ein undankbares, findet beispielsweise Rudolf Mintrop, Vorsitzender der Geschäftsführung des Klinikums Dortmund. Die Klinken seien hierzulande aufgerieben zwischen den Zuständigkeitsebenen Bund, Länder, Kommunen und Selbstverwaltung und geteilt in Non-Profit- und For-Profit-Kliniken. Es gebe eine Vielzahl von Vorstellungen. „Deswegen ist der Krankenhausbereich so vernachlässigt, zerklüftet und politisch unsexy”, findet der Klinikmanager.
Solange aber eine grundlegende Strukturreform nicht angegangen wird, bringt eine Weiterentwicklung des DRG-Systems nur wenig. Das ist in einem Thesenpapier von Leopoldina-Wissenschaftlern nachzulesen, das zwar schon einige Jährchen auf dem Buckel hat, aber die gegenwärtige Situation noch immer zutreffend beschreibt. Darin postulieren Gesundheitsökonomen, Juristen und Ärzte, dass eine Weiterentwicklung des DRG-Systems allein nicht ausreiche, um die ökonomischen Fehlentwicklungen zu beheben – wenn gleichzeitig der politische Wille fehle, die Krankenhausstruktur grundlegend zu verändern. Und weiter: Die politischen Entscheidungsträger müssten die Bedingungen so gestalten, dass es für alle Akteure – auch aus ökonomischer Sicht – sinnvoll ist, sich nachhaltig auf das Patientenwohl zu verhalten. Die Experten fordern einen tatsächlichen Qualitätswettbewerb unter einer geringeren, aber besser ausgestalteten Anzahl von Krankenhäusern. Die politische Zurückhaltung bei der Gestaltung des Krankenhauswesens führe nur dazu, dass „die Probleme über die DRGs auf die praktische Arbeitsebene nach unten durchgereicht werden“. Daraus resultierten die bekannten Probleme wie Arbeitsverdichtung, Unzufriedenheit der Mitarbeiter, Personalmangel etc.
Festzuhalten ist daher, dass es bei der Kritik an einer Ökonomisierung nicht darum gehen sollte, Medizin und Ökonomie gegeneinander auszuspielen. Medizin kann es nicht in einem ökonomiefreien Raum geben. Vielmehr stehen dahinter ungelöste Strukturfragen, vor denen sich die Politik noch immer drückt.
Bundesrechnungshof zeichnet düsteres Bild
Der Bundesrechnungshof regt für die Krankenhausversorgung eine Grundgesetzänderung an. Dadurch könnten Finanzierungs- und Planungsverantwortung wieder zusammengeführt werden. In dem Bericht „über die Prüfung der Krankenhausfinanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung“ sieht die Behörde das duale Finanzierungssystem als gescheitert an. „Die Länder entscheiden nach der gesetzlichen Systematik alleinverantwortlich über Standorte und Schwerpunkte der Versorgung. Ihrer Finanzierungsverantwortung kommen sie indes nicht nach, große Teile der investiven Kosten werden zweckwidrig aus Mitteln der GKV-Beitragsgemeinschaft bestritten“, lautet die Lagebeschreibung. Finanzierungs- und Planungsverantwortung sollten in eine Hand gelegt werden. „Dies schließt eine Änderung grundgesetzlicher Bestimmungen notwendigerweise ein“, heißt es. Generell zeichnet der Bundesrechnungshof ein düsteres Bild der derzeitigen Krankenhauslandschaft in Deutschland: „40 Prozent der Krankenhäuser verzeichnen Verluste, für über ein Zehntel besteht erhöhte Insolvenzgefahr.“ Der Ab- und Umbau von Kapazitäten sowie die Schließungen von Häusern oder Abteilungen verlaufe ungesteuert. „Es besteht keine übergreifende Zielsetzung zwischen Bund und Ländern, wie die Versorgungsstrukturen weiterentwickelt werden sollen.“