Berlin (pag) – Immer häufiger bedrohen Arzneimittellieferengpässe die Versorgungssicherheit von Patienten. Die Politik will das Problem auch auf europäischer Ebene angehen.
Bei einer Veranstaltung von Pro Generika thematisiert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Abhängigkeit von China und anderen asiatischen Ländern bei der Wirkstoffproduktion. Wohin diese führen könne, habe man zu Beginn der Corona-Krise „schmerzhaft“ bei den Medizinprodukten erlebt. Geprüft werden soll daher, wie Versorgung und Produktion in Europa wieder angereizt werden können. Allerdings warnt Spahn vor einer Strategie nach dem Motto „europe first“ – insbesondere angesichts der starken Exportabhängigkeit der hiesigen Wirtschaft. Der Minister will eine mögliche europäische Produktion deshalb auf die „wirklich wichtigen“ Arzneimittel beschränken. In einem ersten Schritt müssten diese auf europäischer Ebene definiert werden. Von der Arzneimittelstrategie der EU-Kommission, die demnächst vorliegen soll, erwartet Spahn weitere Impulse zur Versorgungssicherung. Für das erste Halbjahr 2021 kündigt er „erste Entscheidungen auf europäischer Ebene“ an.
Wirkstoffproduktion: Europa hat abgegeben
Im Auftrag von Pro Generika hat die Unternehmensberatung MundiCare 554 für die Versorgung in Deutschland benötigte generische Arzneimittelwirkstoffe analysiert. Knapp zwei Drittel (63 Prozent) aller Herstellerzulassungen (CEP) für diese Wirkstoffe liegen laut Studienautor Dr. Andreas Meiser mittlerweile bei asiatischen Herstellern, der europäische Anteil beträgt 33 Prozent. Vor 20 Jahren betrug das Verhältnis noch 59:31 Prozent – zugunsten von Europa. „Europa hat unglaublich viel Wirkstoffproduktion abgegeben“, kritisiert Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. Zwar ist der Studie zufolge auch hierzulande die Zahl der Hersteller und der Zulassungen weiter gestiegen, jedoch langsamer als in Asien. Vor allem Indien und China können ein „extrem starkes Wachstum“ vorweisen, erläutert Meiser. Besonders hoch ist der Anteil asiatischer Hersteller bei neu zugelassenen Wirkstoffen. Eine Detailanalyse der Studie zeigt: Die europäischen Hersteller haben sich vor allem auf „kleinvolumige, komplexe Wirkstoffe“ spezialisiert, während bei den großvolumigen meist asiatische Hersteller den europäischen Bedarf decken. Meiser betont jedoch: „Die Kapazitäten und das Knowhow für eine Erhöhung der europäischen Produktion sind vorhanden.“ Gründe für die Verlagerung seien vor allem hoher Kostendruck und ungleiche regulatorische Rahmenbedingungen.
Christoph Stoller, Präsident des europäischen Generika-Verbandes Medicines for Europe, fordert, die Abwärtsspirale bei den Preisen für Generika zu stoppen. Neben dem Preis sollten weitere Kriterien bei der Vergabe von Aufträgen berücksichtigt werden – etwa mehrere Wirkstoffquellen sowie Umweltfaktoren. Europapolitiker Tiemo Wölken (SPD) hält die Einführung „europäischer Leitlinien für Ausschreibungen“ für geboten. Spahn findet dagegen, die Unternehmen hätten selbst ihren Anteil, indem sie den Krankenkassen von sich aus extrem hohe Rabatte anböten, um Marktanteile zu gewinnen. Er sagt: „Die Politik allein hat uns da nicht reingeführt. Und sie wird uns da auch nicht allein wieder rausführen.“ Nichtsdestotrotz habe man bereits begonnen, Probleme bei Rabattverträgen zu adressieren – etwa im Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung und dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz.