Im Gespräch

„Die Probleme beginnen schon beim Zugang“

Thorben Krumwiede über mangelnde Patientenzentrierung

UPD-Geschäftsführer Thorben Krumwiede berichtet von Problemen, die das komplexe
Gesundheitssystem den Patienten bereitet. Er sagt: „Auf dem Weg zu einem wirklich patientenzentrierten Gesundheitswesen gibt es offensichtlich noch erhebliches Verbesserungspotenzial.“

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Das deutsche Gesundheitswesen wird häufig als eines der besten der Welt gepriesen. Aber finden sich die Patienten darin zurecht oder stehen Sektorengrenzen etc. einer echten Patientenzentrierung im Weg?

Krumwiede: Das deutsche Gesundheitswesen ist sicherlich sehr leistungsfähig. Ob es in jeder Hinsicht wirklich Weltklasse-Format hat, kann und will ich nicht abschließend beurteilen. Als Patientenberatung erleben wir jedenfalls tagtäglich, auf welche Schwierigkeiten Patientinnen und Patienten und auch deren Angehörige stoßen. Genau da setzt dann unsere Arbeit an. Wir informieren und beraten individuell, um so für Ratsuchende, die sich an uns wenden, die „Nutzung“ unseres komplexen Gesundheitswesens zu erleichtern. Mit unserer Arbeit wollen wir die Gesundheitskompetenz derjenigen, die sich bei uns melden, stärken.

Was genau verstehen Sie unter Stärkung der Gesundheitskompetenz?

Krumwiede: Darunter verstehen wir, dass mehr Menschen in Deutschland in der Lage sein sollen, auf der Basis verlässlicher Gesundheitsinformation eigenständig die für sie passenden Entscheidungen zu treffen. Das setzt immer auch voraus, dass die Menschen Informationen nicht nur verstehen, sondern für sich bewerten und in persönliche Entscheidungen übersetzen können. Unsere Beratung kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Mit Blick auf die angesprochenen Sektorengrenzen können wir vielfach eine Lotsenfunktion übernehmen. Denn wir stellen immer wieder fest: Die Probleme beginnen für viele Menschen schon beim Zugang zum Gesundheitswesen, also der Frage: Wie finde ich für mein Problem den richtigen Arzt/die richtige Ärztin, die bestmögliche Behandlung oder die passende Klinik? Unsere Beratung versteht sich dabei häufig in dem Sinne als Türöffner. Neben dieser individuellen Ebene der Unterstützung und Begleitung ist uns auch die Rückmeldung ans System wichtig.

Warum?

Krumwiede: Weil wir durch unsere Beratung in Erfahrung bringen, wo es in unserem Gesundheitswesen an Patientenorientierung mangelt, können wir den Akteuren des Gesundheitswesens aufzeigen, was verbessert werden sollte. Mit Blick auf Sektorengrenzen zeigt sich mangelnde Patientenorientierung etwa beim eigentlich gesetzlich geregelten Entlassmanagement, um nur ein Beispiel zu nennen. Bei der Anschlussversorgung kommt es immer wieder zu Lücken und Angehörige berichten etwa häufig von den Schwierigkeiten, nach einem Krankenhausaufenthalt kurzfristig einen Platz in einer Pflegeeinrichtung organisieren zu müssen. Auf dem Weg zu einem wirklich patientenzentrierten Gesundheitswesen gibt es offensichtlich noch erhebliches Verbesserungspotenzial!

Sie haben das Leistungsgeschehen der GKV als blinden Fleck bezeichnet. Was meinen Sie damit und wie lässt sich Licht ins Dunkel bringen?

Krumwiede: Aus der Versichertenperspektive erscheint die Art und Weise, ob und wie Krankenkassen Leistungen erbringen, oft wenig transparent. Dabei sind gesetzlich nachvollziehbare Entscheidungswege vorgesehen. Versicherte sollen wissen, auf welchen Grundlagen ihre Kasse entscheidet – und sie sollen unkompliziert in der Lage sein, gegen eine – aus ihrer Sicht – falsche Entscheidung Widerspruch einzulegen. Viele Ratsuchende erleben in der Praxis zahlreiche Hürden und ein Verhalten der Krankenkassen, das selten patientenorientiert und viel zu häufig sogar rechtlich unzulässig oder zumindest sehr fragwürdig erscheint.

Können Sie das konkretisieren?

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Krumwiede: Versicherte erhalten immer wieder Zwischeninformationen von ihren Krankenkassen, die den Eindruck erwecken, über einen Leistungsantrag sei bereits entschieden und der Antrag abgelehnt worden. Vielfach lassen Krankenkassen auch die Rechtsbehelfsbelehrungen weg, die, vereinfacht gesagt, wichtige Hinweise enthalten, wie Versicherte sich gegen eine aus ihrer Sicht falsche Entscheidung zur Wehr setzen können. Im Ergebnis werden die Versicherten verunsichert und lassen sich entmutigen, anstatt auf ihrem guten Recht zu bestehen. Seit Jahren nehmen Beratungen zum Thema Leistungsansprüche in unserer Beratung den Spitzenplatz ein. Viel zu viele dieser Beratungen drehen sich darum, dass Versicherte den Weg zur Leistungsgewährung als Hürdenlauf erleben. Spiegelbildlich zur mangelnden Transparenz bei der Leistungsgewährung im Einzelfall können sich Versicherte heute auch übergreifend kein wirklich klares Urteil über die Leistungsbereitschaft von Krankenkassen bilden.

Was fehlt?

Krumwiede: Es fehlen schlicht Vergleichsmöglichkeiten, wie Krankenkassen bei der Gewährung von Leistungen agieren. Im Wettbewerb der gesetzlichen Kassen spielen die Beitragshöhe und Kriterien wie Bonusprogramme oder Satzungsleistungen eine zentrale Rolle; die Qualität der Krankenkassen kann dagegen kaum beurteilt werden. Um „Licht ins Dunkel“ der Leistungsgewährung zu bringen, müsste es für die Versicherten entsprechend einfach nachvollziehbare und vergleichbare Übersichten zu Ablehnungs- und Gewährungsquoten und Bearbeitungszeiten von Leistungsanträgen geben. So könnten die Versicherten besser erkennen, ob ihre Krankenkasse in den Bereichen stark ist, auf die es ihnen besonders ankommt. Allgemeine Transparenz würde also auch die individuelle Entscheidungsfindung gut unterstützen. Einige Kassen haben damit begonnen, mehr Transparenz zu schaffen. Das befürworten wir! Doch sinnvoll wird diese Form von Leistungstransparenz erst richtig, wenn alle mitziehen.

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ZUR PERSON
Thorben Krumwiede ist seit 2016 Geschäftsführer der UPD. Nach einem Studium der Betriebswirtschaft begann Krumwiede seine berufliche Laufbahn 2003 beim AOK Bundesverband Bonn, wo er als Projektmanager im Geschäftsbereich Change Management tätig war. Weitere Stationen waren im Versorgungsmanagement der AOK Rheinland-Hamburg, als Leiter Produktmanagement bei der Anycare GmbH und als Leiter des Malteser Service Centers bei der Malteser Hilfsdienst gGmbH in Köln. © pag, Fiolka