Im Fokus

Leitbild versus Realität

Patientenkompetenz in Deutschland

Berlin (pag) – Die Politik hat sich die Verbesserung der Gesundheitskompetenz auf die Fahnen geschrieben, doch bisher sind die Erfolge mehr als überschaubar. Das Leitbild mündiger Patienten ist trotz symbolträchtiger Allianzen noch immer in weiter Ferne. An die längst überfällige Reform der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) will die Politik dagegen derzeit noch nicht so recht heran.  

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Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland hat kürzlich ein Konzept zur Weiterentwicklung der Beratungsinstitution vorgelegt. Im Prinzip geht es darin um dreierlei: Erstens Verstetigung, denn derzeit ist gesetzlich festgelegt, dass die UPD alle sieben Jahre per Vergabeverfahren neu ausgeschrieben wird. Damit besteht die Gefahr, dass zum Ende der Laufzeit Beratungskompetenz und -erfahrung verloren gehen, sagt UPD-Geschäftsführer Thorben Krumwiede bei einem Pressegespräch. Er strebt außerdem eine andere Form der Finanzierung an – „frei von Partikularinteressen“, wie es in dem Konzept heißt. Die bisherige Finanzierung durch den GKV-Spitzenverband gilt als einseitig und hinderlich für die Beratung und Zusammenarbeit. Drittens soll die Beratung der UPD weiterentwickelt werden. Krumwiede denkt an Webinare, Chats und eine Kontaktaufnahme via elektronischer Patientenakte (ePA) ohne Medienbrüche.
Ob, wie und wann sich die Politik auf eine Weiterentwicklung der UPD verständigen wird, ist derzeit noch unklar. Als die Presseagentur Gesundheit kürzlich bei Politikern nachfragte, war das Stimmungsbild bei Union und SPD uneinheitlich. Dieses Zögern kommt nicht gut an. Kritik kommt etwa vom VdK bei einer Anhörung zum Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) Mitte April. Die Reform sollte genutzt werden, um die UPD in eine dauerhafte, solide Form zu überführen. Eine unabhängige UPD hat im Februar auch die BAG Selbsthilfe verlangt.

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„Menschen irren durch das System“
Detaillierten Aufschluss über ihre Beratungsleistung gibt die UPD in ihrem jährlich erscheinenden Monitor, der auch als Seismograf für mögliche Verwerfungen im Gesundheitswesen gelesen werden kann. Im Monitor 2019 lautete ein Fokus-Thema beispielsweise „Menschen mit unklaren Beschwerden irren durch das System“. Im vergangenen Jahr kritisierte die UPD unter anderem, dass hilfsbedürftige Ratsuchende von ihrer Krankenkasse angewiesen werden, sich selbst um die Organisation einer Haushaltshilfe zu kümmern – trotz eindeutig anderslautender Bestimmungen.

Auf der politischen Agenda

Etwas verwunderlich ist es schon, dass die Politik bei der UPD-Reform noch zaudert, steht doch das Thema Gesundheitskompetenz derzeit politisch hoch im Kurs – zumindest als Lippenbekenntnis. Die Frage, ob es gelungen sei, diesem Politikfeld in der politischen Agenda einen festen Platz einzuräumen, hat die Sprecherin des Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz, Prof. Doris Schaeffer, auf einer Veranstaltung im Februar klar bejaht. Zur Erinnerung: 2017 hat der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe neben einem Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz zusammen mit den Spitzen der Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens die „Allianz für Gesundheitskompetenz“ ins Leben gerufen. Zu den Partnern gehören unter anderem die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und einige mehr. Sie alle haben sich dazu verpflichtet, neue Projekte für eine bessere Gesundheitskompetenz zu entwickeln (siehe Infokasten). Dabei geht es um mehr allgemeine Gesundheitsbildung, um besser verständliche und zugleich wissenschaftlich fundierte Gesundheitsinformationen, vor allem auch im Internet, und um eine bessere Kommunikation zwischen Ärzten, den Gesundheitsberufen und Patienten.

Weit entfernt vom Leitbild

An Allianzen und Aktionsplänen mangelt es somit nicht. Umso paradoxer, dass sich die Gesundheitskompetenz hierzulande in den letzten sechs Jahren verschlechtert hat. Das zumindest konstatiert Schaeffer, als sie Ende Januar das Ergebnis der zweiten internationalen Health Literacy Studie auf dem Cochrane Deutschland Symposium präsentiert. Demnach sehen sich rund 60 Prozent der Befragten im Umgang mit Gesundheitsinformationen vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt, nur 15 Prozent wird eine exzellente Gesundheitskompetenz attestiert. Knackpunkt ist vor allem die Beurteilung solcher Informationen, zwei Drittel der Teilnehmer haben damit Probleme. Von dem gesundheitspolitischen Leitbild mündiger Bürgerinnen und Bürger, die Ärztinnen und Ärzten und den Fachkräften im Gesundheitswesen als „Experten ihrer selbst“ gut informiert gegenübertreten und Entscheidungen auf dieser Basis gemeinsam mit ihnen treffen, ist man noch immer weit entfernt.

Umstrittenes Portal

Das Bundesgesundheitsministerium setzt derzeit vor allem auf ein nationales Gesundheitsportal, um die Kompetenz der Patienten zur verbessern. Unumstritten ist dieses allerdings nicht – unter anderem wegen einer Kooperation mit Google. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben bemängelt, das Portal könne gegen die Pressefreiheit verstoßen. „Eine Kooperation mit Google, die faktisch zur Monopolstellung eines solchen Portals führen würde, könnte dagegen einen ungerechtfertigten Verstoß gegen die Pressefreiheit und insbesondere gegen das Gebot der Staatsferne bedeuten“, heißt es in dem Gutachten. Darin wird außerdem die Frage gestellt, ob besagtes Portal überhaupt notwendig sei. „Es gibt bereits ein spezielles Aufklärungsportal des BMG, nämlich die BzGA.“ Die Wissenschaftler verweisen außerdem auf seriöse private Portale. Denkt man beispielsweise an die Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, an den Krebsinformationsdienst sowie das Angebot „Was hab ich“, erscheint die im Gutachten aufgeworfene Frage überaus berechtigt.

Mangelnde Patientenorientierung

Auffällig ist, dass bei den meisten Initiativen die navigierende Kompetenz unterbelichtet bleibt. Vielleicht weil es dann ans Eingemachte geht, an ein System, das an vielen Stellen überaus reformbedürftig ist und von echter Patientenorientierung oft sehr weit entfernt. Nicht nur für vulnerable Gruppen ist die Orientierung im Versorgungssystem eine Herausforderung. Viele Patienten finden sich im Labyrinth des Gesundheitssystems nur schwer zurecht, kritisiert der VdK bei der GVWG-Anhörung. Schwer verständliche Qualitätsberichte, eine immer noch verwirrend organisierte Notfallversorgung und dergleichen mehr zeigen, dass Lotsen dringend benötigt werden – zumindest so lange, bis eine tatsächliche Patientenorientierung des Systems kein naives Wunschdenken mehr ist. Nicht unterschätzt werden darf dabei, dass die zunehmende Digitalisierung den Bedarf für Assistenz und Unterstützung noch vergrößern dürfte. Wird das nicht mitgedacht, dürfte der digitale Wandel des Gesundheitswesens kaum mehr als ein Strohfeuer bleiben.

„Menschen irren durch das System“

Detaillierten Aufschluss über ihre Beratungsleistung gibt die UPD in ihrem jährlich erscheinenden Monitor, der auch als Seismograf für mögliche Verwerfungen im Gesundheitswesen gelesen werden kann. Im Monitor 2019 lautete ein Fokus-Thema beispielsweise „Menschen mit unklaren Beschwerden irren durch das System“. Im vergangenen Jahr kritisierte die UPD unter anderem, dass hilfsbedürftige Ratsuchende von ihrer Krankenkasse angewiesen werden, sich selbst um die Organisation einer Haushaltshilfe zu kümmern – trotz eindeutig anderslautender Bestimmungen.

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Nachgefragt bei der DKG: Allianz für Gesundheitskompetenz – was macht die Deutsche Krankenhausgesellschaft?
Die DKG ist an folgenden Projekten der Allianz für Gesundheitskompetenz beteiligt:
1) Gesundheitskompetente Organisationen
Hier soll ein bis 2022 wissenschaftlich zu entwickelnder Methodenkoffer u. a. in Krankenhäusern erprobt werden.
2) Programm: Shared-Decision-Making im Krankenhaus – In einem Modellprogramm sollen die Wirksamkeit sowie die Voraussetzungen, Erfolgsfaktoren und Hemmnisse an fünf teilnehmenden Kliniken in Deutschland untersucht werden.
3) Kommunikationskompetenz von Gesundheitsfachberufen als Bestandteil der Fort- und Weiterbildung
4) Zudem war die DKG an der Ausrichtung eines Symposiums beteiligt, bei dem Models of Good Practice vorgestellt wurden.

Nachgefragt bei der KBV: Allianz für Gesundheitskompetenz – was macht die KBV?
1)    Abfrage zur Gesundheitskompetenz in der KBV-Versichertenbefragung
2)    Konferenz zum Thema Gesundheitskompetenz
    Vertreter aus Wissenschaft, Gesundheitswesen und Politik tauschten sich über bestmögliche Ansätze aus, der Bevölkerung mehr Gesundheitskompetenz zu vermitteln.
3)    Gesundheitskompetenz in der Notfallversorgung
    Die KBV hat Informationsmaterialien zur gezielten Nutzung der verschiedenen Angebote entwickelt. Die 116117 wurde zum innovativen Patientenservice ausgebaut, das Angebot geht inzwischen weit über die Rufnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes hinaus.
4)    Patienteninformationen und Instrumente zur Bewertung der Qualität von Patienteninformationen über das ÄZQ
Das ÄZQ erstellt Patienteninformationen zu häufigen Krankheitsbildern, zunehmend auch in Fremdsprachen und in leichter Sprache. Die KBV hat in ihrem Qualitätszirkel-Konzept die Module „Arzt-Patienten-Kommunikation“ und „Methoden und Instrumente der Evidenzbasierten Medizin – evidenzbasierte Patienteninformationen“ aufgenommen. Im KBV Qualitätsmanagementverfahren QEP sind zwischenzeitlich die Qualitätsziele „Erkrankungsspezifische Information, Beratung und Schulung“ und „Eigenverantwortung und Mitwirkung der Patienten“ eingeflossen.