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Pandemie und Krebs

Forscher untersuchen Ressourcenallokation in Coronazeiten

Berlin (pag) – Für Krebspatienten ist die Pandemie eine besondere Herausforderung – nicht zuletzt aufgrund von Sorgen um eine beeinträchtigte Versorgung. Die Ressourcenallokation für die Krebsmedizin im Kontext von Sars-CoV-2 analysiert jetzt der Forschungsverbund CancerCOVID. Das Ziel des Projekts: klinisch-ethische Leitlinien für die Versorgung von Tumorpatienten in Zeiten von Ressourcenknappheit.

Als im März und April 2020 die Anzahl von Intensivbetten und Beatmungsgeräten im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, stellte sich für viele Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen in Deutschland die Frage, wie es für sie weitergeht, berichtet Medizinethiker und Projektkoordinator Prof. Jan Schildmann von der Universitätsmedizin Halle. Dank der zügigen und engen Zusammenarbeit von Fachgesellschaften seien zwar zeitnah Empfehlungen für die Krebstherapie unter den Bedingungen der Pandemie entwickelt worden. Bislang sei jedoch unklar, welche Folgen die vorsorgliche Konzentration des Gesundheitssystems auf die Pandemie für die Qualität der Versorgung von Krebserkrankten hatte. Gleiches gelte für die psychischen und sozialen Auswirkungen auf die Patienten und ihre Angehörigen.

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Routinedaten sollen Aufschluss geben

Diese Wissenslücken will der Forschungsverbund CancerCOVID schließen, in dem Ethiker, Onkologen und Versorgungsforscher zusammenarbeiten. Zunächst werden Versorgungsdaten aus den Monaten März und April 2020 im Vergleich zu den Vorjahren ausgewertet. Dazu gehören pseudonymisierte GKV-Routinedaten der AOK Plus in Sachsen. Hier werden die Daten zur Früherkennung, Diagnose und Behandlung von Darm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs analysiert und mit der Versorgung von Patienten mit Typ-2-Diabetes und koronarer Herzkrankheit verglichen. Zum anderen werden, um das Ausmaß der Ressourcenallokation während der Pandemie beurteilen zu können, Datenerhebungen in Tumornetzwerken zur Behandlung von Darmkrebs vorgenommen und Registerstudien ausgewertet.
Danach sollen die Informationen mit Experten aus der Krebsmedizin sowie weiteren Vertretern aus dem Gesundheitswesen und mit der Politik diskutiert werden. Im Fokus stehen dabei mögliche Konsequenzen für eine begründete Prioritätensetzung in der Krebsmedizin, die in Handlungsempfehlungen münden sollen. Sie sollen nach Angaben von Schildmann dazu dienen, in Ausnahmesituationen wie der Corona-Pandemie die akute, aber auch psycho-soziale Versorgung von Krebspatienten zu gewährleisten. Das Projekt wird mit rund 400.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Erhebliche Einschränkungen

Eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Krankenhausgesellschaft hat gezeigt, dass es während der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020 zu erheblichen Einschränkungen im Bereich der Nachsorge und bei der psychoonkologischen beziehungsweise der nichtärztlichen Beratung kam. Auch in anderen Bereichen berichteten Comprehensive Cancer Centers (CCC), die für die Studie befragt wurden, von zumindest temporären Funktions- und Kapazitätseinschränkungen. Insgesamt aber, so das Ergebnis, haben sich für Patienten, die innerhalb der CCC betreut wurden, „keine anhaltenden, bedrohlichen Einschränkungen in der onkologischen Akutversorgung, das heißt bei der Diagnostik und der Primärtherapie“, ergeben. „Dennoch kam es zu Verzögerungen und Veränderungen bei der Abklärung und Therapie, was für betroffene Patienten eine zusätzliche psychische Belastung darstellen und – zumindest bei langen Intervallen – auch zu einem Fortschreiten der Erkrankung führen kann.“
Ob sich die beobachteten Veränderungen nachteilig auf die Behandlungsergebnisse im Sinne von Überlebensprognosen auswirken, könne erst in einigen Jahren erfasst werden. Auch aussagekräftige Analysen zur Stadienverteilung, um etwaige Auswirkungen einer verzögerten Diagnosestellung zu quantifizieren, seien aufgrund des Zeitverzugs bei der bevölkerungsbezogenen Krebsregistrierung erst mit einer Latenz von mindestens zwei Jahren zu erwarten.

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Darmkrebsvorsorge – Prioritäten richtig gesetzt?
Tests auf verborgenes Blut im Stuhl sind zentraler Bestandteil der Darmkrebsvorsorge. Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland bei den Teilnahmeraten weit hinterher. Bislang nehmen nur etwa 10 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen das Testangebot wahr. 
„Es wird allerhöchste Zeit, dass wir das Einladungsverfahren flächendeckend verbessern“, fordert Prof. Hermann Brenner vom DKFZ. Bisher muss der Test in der Arztpraxis besorgt, zu Hause durchgeführt und wieder in der Praxis abgeben werden, schließlich kann man bei einem erneuten Termin das Ergebnis abfragen. „Zu viele Hürden“, findet Brenner.
Einer Studienauswertung des DKFZ zufolge lässt sich die Teilnehmerrate um bis zu 20 Prozentpunkte steigern, wenn den Berechtigten der Test per Post ins Haus geschickt wird. Eine Vorankündigung der Zusendung verbessert die Teilnahmerate um weitere drei bis elf Prozentpunkte, ein Erinnerungsschreiben per Brief oder E-Mail um neun bis 16 Prozentpunkte. Kombinationen von wirksamen Maßnahmen können die Teilnahmeraten teilweise noch weiter steigern – auf über 64 Prozent. Mit diesen relativ einfachen Maßnahmen könnten deutlich mehr Menschen zur Darmkrebsfrüherkennung motiviert werden, hält der DKFZ-Vorstandsvorsitzende Prof. Michael Baumann fest. „Das wäre ein wichtiger erster Schritt für eine bessere Darmkrebsprävention und kann für viele Menschen einen Gewinn an Lebensjahren bedeuten.“