In Kürze

Triage-Tragik: Braucht es ein Gesetz?

Berlin (pag) – Über die Priorisierung lebenserhaltender medizinischer Behandlungsressourcen in der Pandemie diskutiert kürzlich der Deutsche Ethikrat mit verschiedenen Experten. Im Mittelpunkt stehen grundlegende ethische und rechtliche Konflikte in Triage-Situationen.

Für den Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter liegt die Tragik der Triage darin, dass jede Handlungsoption mit einem Unrecht verbunden ist – Triage sei demnach ein Verfahren der Schadensbegrenzung. Besonders umstritten sei zum einen die Relevanz voraussichtlich geretteter Lebenszeit und zum anderen die Frage einer subtilen Diskriminierung – etwa von Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen – durch das Kriterium der Erfolgsaussicht der Behandlung. Dass Grunderkrankungen und Behinderungen kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen sind, wurde allerdings bei einer Aktualisierung der klinisch-ethischen Triage-Empfehlungen mehrerer Fachgesellschaften 2020 klargestellt.

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Klinikpersonal des Antonio Cardarelli Hospitals in Neapel am „Pre-Triage“-Eingang der Notaufnahme für COVID-19-Fälle. Archivaufnahme, 13. November 2020. © Imago Images, Italy Photo Press, Felice De Martino.

Probleme bei Ex-post-Triage

Die Strafrechtswissenschaftlerin Tatjana Hörnle hält bei der Veranstaltung des Ethikrates fest, dass es insbesondere im Fall der Ex-post-Triage, wenn bei einem Patienten A eine bereits eingeleitete Behandlung abgebrochen wird, um einen Patienten B zu versorgen, für ärztliche Entscheider keine Rechtssicherheit gebe. Sie plädiert dafür, in einem Gesetz klarzustellen, dass auch eine mit sachgerechten Auswahlkriterien erfolgende Ex-post-Triage nicht strafbar sei. Der Gesetzgeber müsse zwar nicht, dürfe aber positive Auswahlkriterien definieren. Auch der Medizinrechtler Oliver Tolmein fordert eine gesetzliche Regelung. Er ist dagegen, die Erfolgsaussichten zum maßgeblichen Kriterium bei der Zuteilung lebensrettender medizinischer Ressourcen zu machen.

Demgegenüber führt der Notfallmediziner Markus Wehler aus, dass es bei den medizinischen Behandlungsentscheidungen darum gehe, so viele Menschen wie möglich zu retten und die verfügbaren Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Es gebe standardisierte, validierte Prognosesysteme, mit denen Entscheidungen dokumentierbar, nachvollziehbar und transparent seien. Diese würden nicht mehr von einzelnen Ärzten, sondern immer im Team getroffen.
Ein weiteres Thema ist die „graue“ Triage: vorgelagerte Priorisierungsentscheidungen zum Beispiel beim Zugang zur Intensivstation, die im Verdacht stehen, intransparent und dadurch missbrauchsanfällig zu sein. Verlangt wird, den großen Anteil von Patientinnen und Patienten, die außerhalb der Intensivstationen an oder mit Covid-19 verstorben sind, öffentlich zu thematisieren.

Seit Pandemiebeginn wird über Triage diskutiert. Der Ethikrat hat im März vergangenen Jahres eine erste Bewertung vorgenommen. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages befasste sich bereits zweimal damit. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht 2020 entschieden, dass die Bundesregierung kein Gremium einrichten müsse, das die Triage in Krankenhäusern vorläufig verbindlich regelt. Die Frage, ob der Gesetzgeber generell dazu verpflichtet sei, Vorgaben dazu zu machen, welche Patienten im Falle knapper Intensivbetten vorrangig zu behandeln sind, würden die Richter weiter prüfen, hieß es.