Warum der Klimawandel ein grundsätzliches Umdenken erfordert
Berlin (pag) – Die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise waren bis vor einiger Zeit noch ein Nischenthema in der Gesundheitspolitik, aber das hat sich mittlerweile gründlich geändert. Viele Expertinnen und Experten sind überzeugt: Die größte Gesundheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts ist der Klimawandel. Wie wird darauf reagiert?
Bereits vor der verheerenden Flutkatastrophe im Juni hat der Klimawandel und dessen Folgen für die menschliche Gesundheit die (gesundheits-)politischen Akteure zunehmend alarmiert. Gesundheitsminister Jens Spahn geht auf das Thema Mitte Juni beim Krankenhausgipfel ein. „Wir müssen mit Blick auf die Versorgung in Krankenhaus und Pflegeheim über Hitze reden“, sagt er. Über das, was sie mit dem menschlichen Körper mache und wie das Gesundheitssystem darauf vorzubereiten sei. Spahn verweist auf erhöhte Todeszahlen im August, die auf Hitze zurückzuführen seien. „Das zeigt, dass es jenseits der Pandemie weitere wichtige Aufgaben für die 20er Jahre gibt.“
Infoportal geht online
Einige Tage zuvor ist ein neues Infoportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung online gegangen. Unter www.klima-mensch-gesundheit.de finden Bürgerinnen und Bürger Informationen, wie sie Hitzebelastungen vorbeugen können. Weitere Themen sollen das Portal künftig noch ergänzen.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen wird den Klimawandel und seine gesundheitlichen Folgen in seinem nächsten Gutachten behandeln, heißt es ebenfalls im Juni auf einem Symposium des Rates. Und auch auf europäischer Ebene gewinnt das Thema an Bedeutung. Derzeit ist beispielsweise auf EU-Ebene eine Stelle im Aufbau, die Daten dazu sammelt, berichtet ein Vertreter des Bundesumweltministeriums im Bundestagsausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.
Dringender Handlungsbedarf
Viele Daten, Studien und Experteneinschätzungen wurden bereits in der Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 (KWRA) für Deutschland zusammengestellt. Untersucht werden über 100 Wirkungen des Klimawandels und deren Wechselwirkungen. Bei rund 30 besteht sehr dringender Handlungsbedarf. Die Studie wurde im Auftrag der Bundesregierung durch ein wissenschaftliches Konsortium und unter Einbindung von Expertinnen und Experten aus 25 Bundesbehörden und -institutionen aus neun Ressorts erarbeitet. Der Teilbericht 5 widmet sich Klimarisiken in den Clustern Wirtschaft und Gesundheit. Bei der menschlichen Gesundheit unterscheiden die Experten zwischen indirekten und direkten Folgen. Extremereignisse wie Hitze, Starkwinde oder Starkniederschläge können Körper und Psyche direkt belasten, beispielsweise indem sie zu Beschwerden, schweren Erkrankungen, Verletzungen oder zum Tod führen. Die katastrophalen Ausmaße solcher Extremereignisse haben wir jüngst in Westdeutschland erfahren. Auf vielfältige Weise beeinflussen Wetter und Witterung auch die UV-Strahlung, welche Haut und Augen schädigen kann und Hauptursache von Hautkrebs sein kann, heißt es.
Gefährliche Hitze
Es sind insbesondere die steigenden Temperaturen, die als klimatischer Einfluss eine wesentliche Rolle für die Gesundheit der Menschen spielen. Hitze belastet das Herz-Kreislaufsystem und kann zu aggressivem Verhalten führen. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass selbst die Suizid-Rate mit zunehmenden Temperaturen ansteigt, warnen die Experten in der Klimawirkungs- und Risikoanalyse.
Alarmierende Zahlen enthält der kürzlich veröffentlichte Versorgungsreport Klima und Gesundheit zu den Folgen steigender Temperaturen. In der vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) vorgestellten Publikation untersucht das Klimaforschungsinstitut MCC, wie viele Krankenhauseinweisungen in den Jahren 2008 bis 2018 auf Hitze zurückzuführen waren. Jeder vierte AOK-Ver-sicherte über 65 Jahre ist demnach überdurchschnittlich gefährdet, an heißen Tagen gesundheitliche Probleme zu bekommen und deshalb ins Krankenhaus zu müssen. An Hitzetagen mit Temperaturen über 30 Grad Celsius kam es hitzebedingt zu drei Prozent mehr Krankenhauseinweisungen in dieser Altersgruppe. Schreitet die Erderwärmung ungebremst voran, könnte sich bis zum Jahr 2100 die Zahl der hitzebedingten Klinikeinweisungen versechsfachen, heißt es in der Analyse.
Tigermücken, West-Nil-Fieber und Co.
Mehr und mehr rücken neben den direkten auch die indirekten Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit in den Fokus. Erläuternd heißt es in der Klimawirkungs- und Risikoanalyse: „Wenn Krankheitserreger, deren Überträger oder auch allergieverursachende Pflanzen oder Tiere von Wetter oder Witterung profitieren oder die Wirkungen von Schadstoffen und Strahlung verstärkt werden, wird von indirekten Folgen für den Menschen gesprochen.“
Auf solche geht der Präsident des Robert Koch-Instituts, Prof. Lothar Wieler, kürzlich beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ein. Er berichtet unter anderem von Klimaveränderungen, die Einfluss auf das Vorkommen von Mückenarten haben, die wiederum Tropenkrankheiten übertragen können. Die Tigermücke sei bereits in Gebieten von Deutschland heimisch. Bisher seien noch keine Krankheitsübertragungen über sie bekannt. Die Mücken seien aber theoretisch Vektor – also Überträger – für zum Beispiel Dengue, Zika und Chikungunya. Das Vorkommen von Mücken wird daher beobachtet, es besteht eine Meldepflicht für von Stechmücken übertragenen Erkrankungen, um frühzeitig ein Ausbruchsgeschehen zu erkennen. Bereits seit 2018 findet man hierzulande das West-Nil-Fieber. Einzelne schwer verlaufende Fälle und 2020 einen ersten Todesfall gab es bereits, berichtet der RKI-Präsident. Das Virus sei vermutlich über Vögel hierhergekommen und werde vor allem über die heimische Mücke Culex übertragen.
„Der Klimawandel kann auch die Etablierung solcher Krankheitserreger begünstigen, also nicht nur die der Vektoren“, hebt Wieler hervor. Eine Konsequenz dieser Entwicklung sei, dass Ärztinnen und Ärzte zunehmend differentialdiagnostisch Krankheiten in Erwägung ziehen, „die wir bisher eher nur aus der Reisemedizin kennen“.
Teil des ärztlichen Auftrags
Es gibt Stimmen, die von Ärzten angesichts der Klimakrise weit mehr erwarten als ihr diagnostisches Repertoire zu erweitern. Zu ihnen gehört DGIM-Kongresspräsident Prof. Sebastian Schellong. Zwar sieht er den Bereich ärztlicher Verantwortung zunächst auf das Binnenverhältnis Arzt – Patient begrenzt. „Wenn Krankheitskonzepte aber die äußeren Umstände und Lebensverhältnisse als Ursachen benennen, kann es Teil des ärztlichen Auftrags werden, sich auch damit auseinanderzusetzen“ sagt er auf dem Kongress. Mediziner verstehen die zunehmenden Veränderungen der klimatischen Bedingungen als Krankheitsursachen und könnten mit ihrem Expertenwissen darüber aufklären, argumentiert er. Mit Blick auf sogenannte Co-Benefits weist er außerdem darauf hin, dass das Eintreten für eine Lebensstiländerung bei vielen Erkrankungen ohnedies Teil der ärztlichen Beratung sei. Die angeratenen Veränderungen – zum Beispiel bei Ernährung und Bewegung – seien aber qua CO2-Ausstoß in ihrer Gesamtheit auch klimarelevant.
Ärztinnen wie Sylvia Hartmann und Dr. Susanne Balzer, die sich in der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) engagieren, fordern längst, dass die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels als Thema in Lehre und Fortbildung etabliert werden. Erste Schritte in diese Richtung werden bereits unternommen: Die von KLUG organisierte Planetary Health Academy hat bereits mehrfach online eine Vorlesungsreihe zu den Zusammenhängen zwischen Nachhaltigkeit und Gesundheit angeboten. „Bisher waren wir regelmäßig von der hohen Nachfrage nach diesem Thema überrascht“, sagt Hartmann, Gründungsmitglied von KLUG.
Von Einzelfällen zur Selbstverständlichkeit
Wer sich mit Gesundheit und Klimawandel auseinandersetzt, kommt nicht an dem Umstand vorbei, dass der Gesundheitssektor hierzulande zu den Branchen mit dem größten Ressourcenverbrauch gehört. Speziell Krankenhäuser seien einer der sechs größten Energieverbraucher in der Branche Handel, Dienstleistung und Gewerbe, heißt es in einem Anfang des Jahres publizierten Positionspapier des Bündnisses Junge Ärzte. Sie fordern darin die klima-gerechte Umgestaltung von Gesundheitssystemen. Diese Herausforderung nehmen einige Akteure bereits an. Ein Beispiel: Anlässlich der Vorstellung des Versorgungsreports Klima und Gesundheit kündigt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung des CO2-Fuß-abdrucks an. Es soll in den nächsten drei Jahren umgesetzt werden und reiche von der Umstellung der Stromversorgung auf Grünstrom über das Mobilitätsmanagement bis hin zur Schaffung von mehr Sensibilität für ein klimafreundliches Verhalten in der Belegschaft, so Litsch.
Die Deutsche Röntgengesellschaft und ihr Vorstandsmitglied Dr. Kerstin Westphalen sehen ihr Fachgebiet ebenfalls in der Pflicht, klimabelastende Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu schützen und insgesamt mehr Nachhaltigkeitskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Aus gutem Grund, denn die in der Radiologie eingesetzten medizintechnischen Großgeräte wie Magnetresonanztomografen oder Computertomografen verbrauchen sehr viel Energie und produzieren große Mengen an klimaschädlichem CO2. „Es gibt bereits einige Kliniken, die sich das Ziel ‚Nullemissionen‘ gesetzt haben und mit wenigen Veränderungen schon viel erreicht haben“, sagt Kerstin Westphalen. Auch im ambulanten Bereich gebe es nachhaltige Praxiskonzepte. „Leider sind solche Beispiele aber noch Einzelfälle.“ Die Fachgesellschaft hat deshalb kürzlich die interne Kommission Nachhaltigkeit@DRG gegründet, deren Sprecherin Westphalen ist. Ähnlich wie bei der AOK wurde ein 10-Punkte-Plan für mehr Nachhaltigkeit verabschiedet, ein Gütesiegel für „Nachhaltige Radiologie“ ist außerdem im Gespräch.
So soll aus Einzelfällen in Zukunft eine Selbstverständlichkeit gemacht werden.
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Gesunde Erde – Gesunde Menschen
„Von der Krise lernen“ lautet das Motto des DGIM-Kongresses. Die Veranstaltung dreht sich nicht nur um die Pandemie-Folgen, sondern setzt prominent die Krise der planetaren Gesundheit auf die Tagesordnung. Auf der begleitenden Pressekonferenz fordert der Arzt und Moderator Eckhard von Hirschhausen (Foto rechts) ein grundlegendes Umdenken: Es müsse neu entdeckt werden, dass die Grundlagen für jede gute Medizin nicht in der Medizin begründet sind, sondern in den physiologischen Voraussetzungen, in den natürlichen Lebensgrundlagen – und die seien massiv bedroht. „Wir brauchen lange vor Medikamenten, Operationen und Krankenhäusern so basale Dinge wie saubere Luft zum Atmen, Wasser, etwas zu essen und erträgliche Außentemperaturen“, sagt von Hirschhausen. All das auf eine Formel gebracht bedeute „one health“, planetary health oder auf gut Deutsch: Gesunde Erde – Gesunde Menschen.
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Weiterführender Link:
„Das Klima ändert sich – so schützen Sie Ihre Gesundheit.“ – Infoportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:https://www.klima-mensch-gesundheit.de