Im Gespräch

„Gesundheit braucht Klimaschutz“


Ärzte müssen aktiv werden, verlangt Dr. Susanne Balzer  

Berlin (pag) – Möglichst rasch sollten die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise als Thema in Lehre und Fortbildungen für alle Gesundheitsberufe etabliert werden. Das fordert die niedergelassene Internistin Dr. Susanne Balzer, die auch bei der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) die Herausforderung Klimaschutz vorantreibt. Im Interview beschreibt sie Auswirkungen des Klimawandels auf die Versorgung, drängende Gegenmaßnahmen und die Bereitschaft der Ärzteschaft, sich mit alledem auseinanderzusetzen.

© Nastco, iStock.com

Sind die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels bereits in Kliniken und Praxen konkret spürbar? Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen?

Balzer: Die Folgen der Klimakrise sind bereits in der ärztlichen und pflegerischen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten spürbar. Am prägnantesten und aktuellsten sicherlich durch zunehmende Hitze. Es gibt mehr, längere und intensivere Hitzeperioden. Im „Lancet Countdown Policy Brief for Germany“ wurde bereits 2019 deutlich gewarnt, dass Gesundheitsrisiken durch die zunehmende Hitze in Deutschland häufiger und schwerwiegender werden. Insbesondere unsere hochbetagten und multimorbiden Patienten sind gefährdet. Der August 2020 beispielsweise hatte Gebietsmittel von 20 Grad Celsius. Es war für Deutschland – nach dem August 2003 – der zweitwärmste August seit 1881 und 3,6 Grad wärmer als die mittleren Augusttemperaturen der internationalen Referenzperiode 1961. Daraufhin kam es zu circa 4.200 hitzebedingten Todesfällen. Hierbei sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die maßgeblich angeführte Todesursache.

Wie wirkt sich das in der Versorgung konkret aus?

Balzer: In der Hausarztpraxis stellt eine Hitzeperiode durch gegebenenfalls vermehrte Hausbesuche und eine intensive Beratung unserer Patienten mit Anpassung der Medikation und Monitoring der Nierenfunktion etc. eine zusätzliche zeitliche Herausforderung dar. Im Krankenhaus führt Hitze über 30 Grad zu circa 3 Prozent mehr Krankenhauseinweisungen bei den über 65-Jährigen. Aber nicht nur Hitze, sondern auch Allergien, welche durch den menschengemachten Klimawandel zunehmen, sind bereits in häufigeren Beratungsanlässen spürbar. Genauso wie eine vermehrte psychische Belastung insbesondere der jüngeren Generation. In der Umfrage „Zukunft! Jugend fragen“ von 2017 wurden 1.000 junge Menschen zwischen 14 und 22 Jahren befragt, wobei jeder Dritte Zukunftsängste angab! Da müssen wir als Ärzte aktiv werden und sowohl unsere Mitmenschen entsprechend beraten als auch politisch darauf hinwirken, dass Klimaschutzmaßnahmen mit aller notwendigen Priorisierung durchgesetzt werden.

Was sind die schwierigsten Herausforderungen, die ein sich wandelndes Klima für Ärztinnen und Ärzte mit sich bringt?

Balzer: Bewusstsein für die Klimakrise schaffen, entsprechend handeln und akut – auch wenn teils mit mehr Treibhausgasemissionen verbunden – Hitzeschutzmaßnahmen für unsere vulnerabelsten Patientinnen und Patienten schaffen: kühle Räume in Pflegeheimen, Krankenhäusern und soweit möglich in Praxen, Begrünung, Verschattung und flächendeckende kommunale Hitzeschutzpläne etablieren.
 
Wie können sich die Gesundheitsberufe darauf vorbereiten? Wo besteht der drängendste Handlungsbedarf?

Balzer: Es braucht eine rasche Etablierung des Themas in der Lehre und Fortbildungen für alle Gesundheitsberufe. Der Gesundheitssektor in Deutschland sollte sich darüber hinaus auf klare Klimaziele festlegen.

Besteht in der Ärzteschaft Interesse und Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen?

Balzer: Das denke ich schon. Im DGIM Talk Klimawandel und Gesundheit Ende Juni haben sich zumindest 95 Prozent der Beteiligten dafür ausgesprochen, das Thema Klimawandel und Gesundheit weiter zu vertiefen oder Klimaschutz im eigenen Wirkungsfeld zu betreiben. Denn Gesundheit braucht Klimaschutz! Es gibt eine große Anzahl an Kolleginnen und Kollegen, die sich sehr intensiv engagieren und inzwischen gibt es tolles Informationsmaterial für Patienten und auch für Ärzte.
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Dr. Susanne Balzer © privat

ZUR PERSON
Dr. Susanne Balzer ist hausärztliche Internistin in Köln. Im April vergangenen Jahres hat sie sich niedergelassen. Balzer ist Mitglied der AG hausärztliche Internisten der DGIM, in der sie das Ressort Klimaschutz betreut. Sie ist über die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) vernetzt und setzt sich für Klimaschutz in der Primärversorgung und die Reduktion von Treibhausgasemissionen in der Arztpraxis ein.
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