In Kürze

Distanzierung reicht nicht: der NS-Umgang der DGIM

Berlin (pag) – Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hat Konsequenzen aus der historischen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gezogen: In fünf Fällen hat sie Medizinern posthum die Ehrenmitgliedschaft entzogen, die sich von 1933 bis 1945 schuldig gemacht haben. Bei einer Pressekonferenz räumt der DGIM-Vorsitzende Prof. Markus M. Lerch ein: Die Fachgesellschaft habe „sehr lange“ gebraucht, bis sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat.

© imago, epd

Seit rund zehn Jahren erforscht die DGIM in Kooperation mit zwei Historikern ihre eigene Geschichte sowie die ihrer Mitglieder in den Jahren der NS-Diktatur und der jungen Bundesrepublik. Auf einer Pressekonferenz am 7. Oktober verkündet der Vorstand seinen Entschluss, fünf Personen nachträglich den Status als Ehrenmitglied zu entziehen. Ihre Vergehen reichten von wissenschaftlichem Fehlverhalten bis hin zu Medizinverbrechen, die zum Tod mehrerer Menschen geführt haben. „Wir haben im Vorstand das Gefühl, dass eine Distanzierung nicht ausreichen würde“, sagt Lerch.

Bei den Personen handelt es sich um Alfred Schittenhelm, Alfred Schwenkenbecher, Hans Dietlen, Siegfried Koller und Georg Schaltenbrand. „Sie haben bewusst Kollegen, anderen Mitgliedern, unserer Fachgesellschaft oder einfach anderen Menschen aufgrund ihrer Herkunft geschadet, begründet Lerch die Entscheidung. Von zwei weiteren Ehrenmitgliedern, Gustav von Bergmann und Felix Lommel, distanziert sich der DGIM-Vorstand. In diesen Fällen bestehe noch weiterer Forschungsbedarf, heißt es auf der Pressekonferenz.

Grußadressen an Adolf Hitler

Vor den Medienvertretern weist DGIM-Generalsekretär Prof. Georg Ertl darauf hin, dass die flächendeckende Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit bei den Fachgesellschaften erst in den 2000er-Jahren begonnen habe. Die Psychiater und Kinderärzte seien früher dabei gewesen – vielleicht weil die Verbrechen offenkundiger gewesen seien. Ertl spricht von einem kollektiven Vergessen und Verdrängen von Verantwortung. Ein Beispiel von der DGIM: Noch 1982 erschien ein Band über 100 Jahre Eröffnungsreden der DGIM-Vorsitzenden und Kongresspräsidenten. „Alle Verweise auf das NS-Regime, auf die neue deutsche Heilkunde, die Himmler propagiert hatte, sowie alle Grußadressen an Adolf Hitler wurden einfach herausredigiert“, berichtet Lerch.

Mittlerweile wird die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit vorangetrieben – zu einem Zeitpunkt, an dem die Betroffenen nicht mehr am Leben sind.

Weiterführender Link:

Unter dem Titel „Gedenken & Erinnern. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin in der Zeit des Nationalsozialismus“ erinnert die Fachgesellschaft seit 2020 auf einer Website an ihre Mitglieder, die unter dem NS-Regime gelitten oder aber als Täter Leid verursacht haben: 
www.dgim-history.de