In Kürze

Ethik-Boom in der Pandemie


Berlin (pag) – Einen Boom der Ethik in der Pandemie konstatiert die Medizinethikerin Prof. Christiane Woopen bei einem Symposium der Bundesärztekammer (BÄK). Doch das verstärkte Interesse an ethischer Expertise hat schon vorher eingesetzt. Über Feigenblätter und „ethisierte“ Gesellschaften.

Anlass für die BÄK-Veranstaltung ist das 25-jährige Jubiläum der ZEKO, der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten. Woopen geht dort auf den wachsenden Bedarf an ethischen Einordnungen ein. Es werden immer mehr Erkenntnisse generiert, „die wollen eingeordnet werden“, sagt sie. Was ist zum Beispiel ein Embryoid und wie geht man damit um? Bei den existenziellen Fragen am Lebensanfang und -ende gebe es mehr Eingriffsmöglichkeiten, Stichwort Genom-Editierung. Aber auch für die Zeit dazwischen braucht es der ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates zufolge Konzepte. „Der Hirntod ist etwas, was es in der Natur nicht gibt, das haben wir künstlich hergestellt – also müssen wir auch die Regeln dafür schaffen, wie wir mit Menschen in diesem Zustand umgehen wollen.“

Einhellige Kritik: Die „inflationäre Verwendung des Wortes Ethik für irgendwelche Gremien“, hält Christiane Woopen für schädlich. „Wer die Verantwortungen für die eigenen Entscheidungen scheut, überträgt sie einer Ethikkommission“, sagt Jochen Taupitz. © pag, Fiolka

Ethik als Vollzugsdisziplin

Die Ethik-Landschaft hat sich laut Woopen in den letzten Jahren zunehmend professionalisiert und vernetzt. Die wertvollen Ergebnisse dessen begrüßt sie, hält aber die „inflationäre Verwendung des Wortes Ethik für irgendwelche Gremien“ für schädlich. Damit werde verschleiert, dass es bei diesen oft gar nicht primär um Ethik, sondern lediglich um Genehmigungsverfahren gehe. Die Ethik werde zu einer Art Vollzugsdisziplin bis hin zum Feigenblatt. Und weitergedacht: Wird die Ethik zur Genehmigungsdisziplin, besteht die Gefahr, dass sie als Blockade und als Verhinderung für Innovationen wahrgenommen wird, argumentiert die Ärztin. „Richtig betrieben ist Ethik das Gegenteil, sie fördert Rahmenbedingungen, in denen sich Innovationen nachhaltig entfalten können.“
Den Begriff des Feigenblattes hat vorher bereits der ZEKO-Vorsitzende Prof. Jochen Taupitz verwendet. 
Er stellt die Frage, ob Ethikkommissionen ein normatives Feigenblatt in einer zunehmend pluralistischen und vielleicht gerade deshalb zunehmend ethisierten Gesellschaft seien. Er fährt fort: „Wer die Verantwortungen für die eigenen Entscheidungen scheut, überträgt sie einer Ethikkommission.“ Für den Juristen stellen etwa die PID-Kommissionen nichts anderes dar als die Verweigerung des Bundestages, selbst Entscheidungen zu treffen.

Konkurrenz zu anderen Kommissionen

Ganz anders die ZEKO. Taupitz betont die Unabhängigkeit des Gremiums, eine einseitige Vertretung berufspolitischer oder ärztlicher Interessen finde nicht statt. „Die Ärzteschaft ist die einzige Berufsgruppe, die mit der ZEKO über ein eigenes gesellschaftsorientiertes und zugleich binnenorientiertes Sprachrohr verfügt“, stellt er heraus. Das Thema, dass die Kommission offenbar am meisten umtreibt, ist die Behandlung von nicht-einwilligungsfähigen Patienten und die Forschung mit Nicht-Einwilligungsfähigen. Insgesamt sechs Stellungnahmen hat sie zu diesem Komplex verfasst. Die Themenfindung wird in Zukunft nicht einfacher werden. „Griffige und angemessen zu bearbeitende Themen“ seien zunehmend schwer zu finden, sagt Taupitz, und zwar auch in Konkurrenz zu anderen Kommissionen. Das sei eine Herausforderung.