Im Fokus

Krankenhaus – neue Ansprüche und Konzepte

Stationäre Versorgung neu und weiterdenken

Berlin (pag) – Die Reform der stationären Versorgung ist eine zentrale gesundheitspolitische Herausforderung der kommenden Jahre. Bei einem Experten-Talk der Veranstaltungsreihe „Aufbruch in eine neue Dynamik“ von Gerechte Gesundheit werden spannende Modelle und neue Planungen vorgestellt.

© iStockphoto.com, takasuu

 

„Wir sind der Ansicht, dass wir eine Überversorgung im stationären Bereich bei zugleich nicht ausreichenden Mitteln haben“, konstatiert Dr. Matthias Bracht, Vorstandsvorsitzender der Allianz kommunaler Großkrankenhäuser (AKG). Er stellt bei der Veranstaltung das von der AKG entwickelte Stufenmodell vor. Damit will der Verband dem „ruinösen Wettbewerb“ der Kliniken um knappe Ressourcen ein Ende setzen. Das Modell sieht eine Aufgliederung der Krankenhauslandschaft in drei Bereiche vor: die Basisversorgung, die erweiterte Versorgung und die umfassende Versorgung. So soll sichergestellt werden, dass nicht mehr alle Häuser alles machen. Bracht fordert: „Wir müssen den Krankenhäusern unterschiedliche Versorgungsrollen zuweisen.“

 

Schließungen unvermeidbar

Dr. Matthias Bracht, Vorstandsvorsitzender der Allianz kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) © pag, Fiolka

Zugleich müsse der Eindruck verhindert werden, dass das Stufenmodell zwischen wichtigen und unwichtigen Kliniken unterscheide. „Alle Stufen sind gleich wichtig“, sagt Bracht, denn: „Große Maximalversorger allein werden die flächendeckende Versorgung nicht hinbekommen.“ Nichtsdestotrotz dürfte die Umsetzung des Modells auch Schließungen beinhalten. Angesichts der zu beobachtenden Fallzahlrückgänge würden in Zukunft jedoch ohnehin Standorte wegfallen, betont Bracht. Was im Moment passiere – dass Krankenhäuser innerhalb eines ungesteuerten Prozesses aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten aufgeben müssten –, sei in jedem Fall die schlechtere Variante.
Unterstützung für ihre Pläne erfährt die AKG vonseiten der Kassen. So plädiert etwa Dr. Jürgen Malzahn, Leiter der Abteilung stationäre Versorgung beim AOK-Bundesverband, ebenfalls für „eine klare Zuweisung differenzierter Versorgungsaufträge“. Dies sei notwendig, um den Spezialisierungsgrad und mit ihm die Qualität in der Versorgung anzuheben.

 

Planung neu denken

Ulrich Langenberg, Gruppenleiter Krankenhaus im NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. © Ärztekammer Nordrhein
Ulrich Langenberg, Gruppenleiter Krankenhaus im NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. © Ärztekammer Nordrhein

Inmitten eines umfassenden Umstrukturierungsprozesses befindet sich derzeit die nordrhein-westfälische Landesregierung. „NRW hat sich dazu entschlossen, nicht weiter abzuwarten und seine Gestaltungsmöglichkeiten wahrzunehmen“, sagt Ulrich Langenberg, Gruppenleiter Krankenhaus im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Konkret bedeutet das: Das Land will die Krankenhausplanung grundsätzlich neu denken. Anstelle der Bettenzahl soll in Zukunft die Fallzahl zur entscheidenden Planungsgröße werden. Dafür werden übergeordnete medizinische Leistungsbereiche definiert und unterteilt in spezielle Leistungsgruppen, für die wiederum bestimmte Qualitätsvorgaben als Zugangsvoraussetzung für die Krankenhäuser festgelegt werden, erläutert Langenberg. „Diese Leistungsgruppen ermöglichen es uns, ganz differenziert Versorgungsaufträge zu vergeben.“

 

Nur schrittweise voran

Angesprochen auf eine mögliche Integration des AKG-Stufenmodells tritt Langenberg vorsorglich auf die Bremse: Alles gehe nur schrittweise. „Wir können nicht wie auf einem Spielbrett alle Krankenhäuser zur Seite räumen und dann mit drei Farben neu aufbauen.“ Eine Entwicklung in Richtung einer gestuften Versorgung hält der vormalige Geschäftsführende Arzt der Ärztekammer Nordrhein dennoch für denkbar. Dafür müsse jedoch auch das Fallpauschalen-System angegangen werden. „Wir wünschen uns alle, dass die Vergütungsstrukturen so weiterentwickelt werden, dass man von einer soliden Grundversorgung auch sehr gut leben kann.“ Bis es so weit sei, müssten jedoch auch ländliche Krankenhäuser ein breiteres Portfolio anbieten können. Wie Gesundheitszentren sich in die regionale Versorgungsstruktur einpassen lassen, erläutert Hans-Dieter Nolting vom IGES-Institut auf der Veranstaltung. Krankenhaus könne nicht isoliert von der ambulanten Primärversorgung gedacht werden. Er spricht sich dafür aus, Gesundheitszentren als eigenständige kooperative und multiprofessionelle Versorgungsform im Sozialgesetzbuch V zu verankern. In einem Stufenmodell könnten kleine Grundversorger in Gesundheitszentren aufgehen.

 

Entscheidungsfreude nutzen

Prof. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI Essen © pag, Fiolka
Prof. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI Essen © pag, Fiolka

Eine stärkere Regionalisierung der Versorgungsstruk-turen befürwortet Krankenhauskenner Prof. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI Essen. Er meint: „Wir haben nicht die Mittel, weiter Ineffizienzen durchzufinanzieren.“ Die durch die Corona-Pandemie hervorgerufene Dynamik und Entscheidungsfreude müsse man sich daher zunutze machen. Insbesondere auf die kleineren Häuser könnten größere Veränderungen zukommen.

Augurzky plädiert dafür, sie in Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten der Region zu integrierten Versorgungszentren weiterzuentwickeln. Das Angebot dieser Zentren sollte vermehrt auch ambulante Leistungen umfassen, während größere Regionalversorger als Koordinatoren dienen und im Austausch mit Spezial- und überregionalen Maximalversorgern stehen. Die digitale Vernetzung zwischen allen Versorgungsebenen müsse zudem verbessert werden, um auch telemedizinische Angebote in die Fläche zu bringen.

Ähnlich wie Langenberg unterstreicht Augurzky den Handlungsbedarf bei der Vergütung. Er schlägt vor, die bestehenden Fallpauschalen um Vorhaltepauschalen zu ergänzen. Auf diese Art könnte sichergestellt werden, dass wichtige Grundversorgung wie zum Beispiel die Geburtshilfe auch dort wirtschaftlich erbracht werden kann, wo sie sich nach derzeitiger DRG-Systematik allein nicht rechnet.