In Kürze

Orphan Drugs: Zugangsdrama in Europa


Berlin – Die im Jahr 2000 eingeführte europäische Orphan-Drug-Verordnung gilt angesichts der dynamischen Entwicklung bei den Zulassungen als Erfolg, steht aber derzeit auf dem Prüfstand. Darüber diskutieren Experten auf der zweiten Nationalen Konferenz zu Seltenen Erkrankungen (NAKSE).

Miriam Mann, Geschäftsführerin der Patientenorganisation ACHSE © pag, Fiolka

Die Verordnung wird überprüft, weil Verfügbarkeit und Zugang zwischen den EU-Ländern variieren. Der Zugang zu Medikamenten ist nach Worten von Miriam Mann für alle Patienten in Europa total unbefriedigend. „Das ist ein großes Drama“, sagt die Geschäftsführerin der Patientenorganisation ACHSE. Es gebe viele lebensverlängernde und die Lebensqualität verbessernde Medikamente, welche die Patienten gar nicht erhalten. Mann befürchtet, dass bei einer Überarbeitung der Verordnung eher auf der Angebotsseite angesetzt wird. „Aber wenn weniger Orphan Drugs entwickelt werden, wird das Problem ja nicht gelöst.“
Viele Zugangsproblematiken liegen auf anderen Ebenen begründet, wie die von Mitgliedstaaten zu verantwortenden Erstattungsfragen. Dort gebe es keine Einflussmöglichkeiten der Kommission oder der EU, betont Dr. Matthias Wilken vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. „Das heißt, man versucht jetzt mit den Tools, die man hat, Probleme zu lösen, die auf anderen Ebenen gelöst werden müssten.“ Das könne nicht funktionieren. Wilken nennt als Alternative ein Modell mit stärkerer Solidarität: Wirtschaftlich stärkere Länder bezahlten für die ärmeren Mitgliedstaaten mit. Wilken ist allerdings skeptisch: „Ob man sich in Deutschland für die Bedingungen in Rumänien interessiert, ob das am Ende eine Lösung sein kann, ich weiß es nicht.“ Sicher ist er sich dagegen, dass es definitiv nicht gehe, sich beim Preis am schwächsten EU-Mitglied zu orientieren.

Forschung mit Patienten

Patientenvertreter Dr. Martin Danner betont in seinem Vortrag, dass die Unternehmen bei seltenen Erkrankungen angesichts der geringen Zahl von Betroffenen bei der Forschung „ganz massiv“ auf die Netzwerke der Patientenorganisationen angewiesen sind. Nachholbedarf sieht er bei der partizipativen Forschung. Als Beispiele für die Einbeziehung von Betroffenen nennt er: Patienten sollten bereits bei Ausrichtung der Forschungspipeline gefragt werden, wo Unmet Medical Need bestehe. Weitere Fragen an Patientenorganisationen könnten lauten: Welche Teilpopulationen sollten bei Auflegung von Studiendesigns in den Blick genommen werden? Wie ist die Situation von Probanden in Studien? Welche flankierenden Informationen werden benötigt, wenn das Arzneimittel auf den Markt kommen soll – Stichwort laienverständliche Packungsbeilage. Es gebe ein ganz breites Feld der Partizipation in der Forschung, ein Feld, „wo viele Unternehmen noch besser werden können und müssen“, so der Geschäftsführer der BAG Selbsthilfe.

Bei der Frage, wie mehr und nachhaltigere Evidenz generiert werden kann, blickt PD Dr. Stefan Lange auf den Zeitraum vor der Zulassung. Sinnvollerweise sollte eine Therapie bereits zu dem Zeitpunkt, wenn sie in der Pipeline ist, in Rahmen von Registern eingesetzt und betrachtet werden. Auf diese Weise könnte sie schon frühzeitig mit anderen Therapieansätzen verglichen werden. „Nach der Zulassung ist es sehr, sehr spät und eigentlich überflüssig spät, man könnte das sehr viel früher machen“, sagt der stellvertretende Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.