Berlin (pag) – Die Stigmatisierung von Krankheiten wie Lungenkrebs kann Patientinnen und Patienten davon abhalten, sich behandeln zu lassen. Und Menschen mit HIV erleben heute eine Einschränkung ihrer Lebensqualität vor allem durch Vorurteile und Diskriminierung – nicht durch die Infektion selbst.
„Menschen mit HIV können heute leben, lieben und arbeiten wie alle anderen. Schwerer als die gesundheitlichen Folgen der HIV-Infektion wiegen für viele die sozialen Folgen.“ So fasst Matthias Kuske von der Deutschen Aidshilfe (DAH) die Ergebnisse der Studie „positive stimmen 2.0“ zusammen. Die Studie wurde von der DAH und dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft veröffentlicht. Ein Großteil der Befragten seien im Alltag weiterhin mit Diskriminierung, Ausgrenzung und Abwertung konfrontiert. „Die gesellschaftliche Entwicklung ist langsamer als die medizinische“, sagt Kuske.
Für die Studie gaben knapp 500 Menschen mit HIV in Interviews Auskunft. Fast 1.000 HIV-positive Menschen haben zudem einen Online-Fragebogen ausgefüllt. In Fokusgruppen wurden die Ergebnisse vertieft. Einige Resultate: Die meisten Menschen in Deutschland leben gut mit ihrer HIV-Infektion – in der Stichprobe der Online-Befragung bejahen 90 Prozent diese Aussage. Dank der guten Therapiemöglichkeiten fühlen sich drei Viertel der Befragten gesundheitlich nicht oder nur wenig eingeschränkt. 95 Prozent berichten von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung in den letzten zwölf Monaten aufgrund von HIV. Besonders häufig kommt Diskriminierung nach wie vor im Gesundheitswesen vor. 56 Prozent der online Befragten machten in den letzten zwölf Monaten mindestens eine negative Erfahrung. Eine Konsequenz: Ein Viertel der Befragten legt seinen HIV-Status nicht mehr immer offen.
Stigma Lungenkrebs
Eine weitere Studie zeigt, dass die Stigmatisierung von Lungenkrebs Patienten davon abhalten kann, sich behandeln zu lassen. „Lungenkrebs ist mit einem spezifischen sozialen Stigma behaftet, weil mit ihm Zigarettenkonsum assoziiert wird. Er wird häufig als eine Raucherkrankheit betrachtet, die selbst verschuldet und vermeidbar ist“, so die Professorinnen Laura Grigolon, Universität Mannheim, und Laura Lasio, McGill Universität in Montreal. Einer Untersuchung der Global Lung Cancer Coalition aus dem Jahr 2010 in Kanada zufolge räumten 22 Prozent der Befragten ein, dass sie weniger Sympathie für Lungenkrebspatienten empfinden als für andere Krebspatienten. In den USA ist Lungenkrebs für 32 Prozent der Krebstoten verantwortlich, doch auf diese Krebsart werden nur zehn Prozent der Forschungsgelder verwendet, teilen die Wissenschaft lerinnen mit.
Verglichen mit Patienten, die von Krebsarten mit ähnlichen Überlebenschancen betroffen sind, werden Lungenkrebs-Kranke deutlich seltener behandelt, berichten Grigolon und Lasio. Die Behandlungsquote liege bei Lungenkrebs-Patienten bei rund 25 Prozent, bei Dickdarmkrebs bei etwa 60 Prozent. Die Forscherinnen analysierten Verwaltungsdaten von Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium in der kanadischen Provinz Ontario über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die Ergebnisse lieferten überzeugende Beweise, dass weniger Patienten aufgrund der Stigmatisierung behandelt werden. Das wiederum bremse die Verbreitung innovativer Behandlungen und setze geringere Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung, meinen Grigolon und Lasio.