Berlin (pag) – In ihrem Jahresgutachten 2022 stellt die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Digitalisierung im Gesundheitswesen ein ernüchterndes Zeugnis aus: Es werden große Potenziale für eine bessere Versorgung verschenkt, urteilen die Experten.
Die sechsköpfige Kommission sieht durch die Digitalisierung große Innovations- und Wertschöpfungspotenziale. Digitale Technologien könnten die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern. Mehr verfügbare Gesundheitsdaten eröffneten in Verbindung mit digitalen Analyseverfahren Möglichkeiten für eine stärker personalisierte Diagnostik und Therapie. Das Problem: „Deutschland ist nicht gut aufgestellt“, sagt der EFI-Vorsitzende Prof. Uwe Cantner.
Weg vom „hier und da“
Die Gutachter sehen für Deutschlands träge digitale Transformation vielfältige Gründe: die Struktur des Gesundheitssystems, Abwägungen und Sorgen bezüglich des Datenschutzes sowie eine noch zu geringe Akzeptanz digitaler Gesundheitsanwendungen sowohl bei Leistungserbringern als auch bei Patientinnen und Patienten. Trotz einiger Initiativen fehle es an einer Gesamtstrategie. „Hier und da etwas unkoordiniert zu machen, bringt überhaupt nichts“, kritisiert Cantner. Eine Strategie ist im Koalitionsvertrag angekündigt. Die Experten mahnen an, dass darin konkrete Zuständigkeiten festgelegt und Meilensteine definiert werden sollen. Auch ein kontinuierliches Monitoring des Umsetzungsfortschritts sei wichtig, ebenso eine koordinierende Stelle mit Durchsetzungskompetenzen.
Angesichts der mehr als stockenden Erprobung des E-Rezeptes hält auch gematik-Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken eine solche Instanz für nötig. Diese sollte beispielsweise bei der Kette des E-Rezeptes nicht nur für eine Teilstrecke verantwortlich sein, sondern die gesamte Strecke überblicken und koordinieren, sagt er bei einer Tagung des Handelsblattes. Im Koalitionsvertrag entdeckt er viele digitale Ambitionen, eine der folgenreichsten könnte die Opt-out-Regelung für die elektronische Patientenakte sein. Der Gesundheitsstandort Deutschland benötige unbedingt eine bessere Verfügbarkeit von Daten, betont Leyck Dieken. „Wer das unter Corona nicht taghell erkannt hat, hat die letzten 18 bis 24 Monate verschlafen.“
16 Jahre alte Standards
Eine weitere wichtige Herausforderung nennt er den Übergang zur Telematikinfrastruktur (TI) 2.0: „Wir müssen aus dieser alten Telematik heraus.“ Deren Standards seien bereits 16 Jahre alt, verwendet werde eine Sprache und eine IT, die es in anderen europäischen Ländern überhaupt nicht mehr gebe. Der europäische Datenraum werde mit der alten TI kaum betretbar sein und das Nutzererlebnis miserabel bleiben, warnt der gematik-Chef. Der wichtigste Schritt zur TI 2.0 ist die Verteilung von elektronischen IDs, sowohl für Versicherte als auch für alle anderen Beteiligten. Mit den Kassen sei man bereits in „extrem fortgeschrittenen Gesprächen“. Er geht davon aus, dass schon Anfang kommenden Jahres viele große Kassen die elektronische ID ihren Versicherten anbieten können.
Weiterführender Link:
Zum Gutachten:
www.e-fi.de/fileadmin/Assets/Gutachten/2022/EFI_Gutachten_2022.pdf