In Kürze

Gesundheitsgefährdende Gendereffekte


Berlin (pag) – Werden Frauen von männlichen Chirurgen operiert, haben sie nach dem Eingriff ein um bis zu 15 Prozent höheres Risiko für Komplikationen als Frauen, die von Chirurginnen behandelt wurden. Das ergibt eine aktuelle Untersuchung kanadischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Ergebnisse werfen ein Schlaglicht auf die Geschlechterfrage – nicht nur in der Männerdomäne Chirurgie. 


Die kanadischen Forscher analysierten die Behandlungsdaten von über 1,3 Millionen Erwachsenen ab 18 Jahren aus der kanadischen Provinz Ontario. Diese hatten sich zwischen 2007 und 2019 geplanten oder dringlichen chirurgischen Eingriffen unterzogen. Mehr als insgesamt 2.900 Chirurginnen und Chirurgen hatten die Operationen durchgeführt. 


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Das Ergebnis: In der Konstellation männlicher Operateur, Patientinnen traten der Analyse zufolge „deutlich häufiger postoperative Komplikationen bis hin zum Tod der Patientin auf“, sagt Prof. Natascha Nüssler, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV). In anderen Geschlechterkonstellationen fand die Studie kein erhöhtes Risiko für Komplikationen. Auch in anderen Fächern kann sich der Geschlechterunterschied zwischen Behandlern und Behandelten negativ auf die Gesundheit der Patientinnen auswirken. Nach einem Herzinfarkt haben Patientinnen, die von einem Arzt behandelt werden, ein höheres Risiko zu versterben als männliche Patienten, die von einer Ärztin behandelt werden, informiert Nüssler. Eine Erklärung wäre, dass männliche Ärzte die Schwere von Symptomen ihrer Patientinnen eher unterschätzen oder Frauen Hemmungen haben, gegenüber einem männlichen Arzt Schmerzen zu offenbaren.


Ein Ausweg, diese gesundheitsgefährdenden Gendereffekte zu reduzieren, seien gemischtgeschlechtliche Ärzteteams. „Dafür müsste der Frauenanteil in der Chirurgie jedoch deutlich steigen“, so die DGAV-Präsidentin im Vorfeld des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2020 lag der Frauenanteil in dem Fach bei nur rund 22 Prozent. 



Ohne Quote geht es nicht


Über Frauenanteile und Parität wird auch beim Diversity in Health Congress intensiv diskutiert. Besonders Unikliniken seien heutzutage noch sehr hierarchisch organisiert, berichtet Jana Aulenkamp, die selbst als Ärztin am Universitätsklinikum Essen arbeitet. Insbesondere Frauen mit Kindern treffen dort auf vielfältige Hürden. Es bräuchte deutlich familienfreundlichere Konzepte wie Jobsharing und verlässlichere, flexiblere Arbeitszeiten. Auch Quoten können ein Instrument sein, um Frauen Aufstiegschancen zu ermöglichen – ohne dieses Hilfsmittel funktioniert es in ihren Augen noch nicht.


Sevilay Huesmann-Koecke von PwC weist darauf hin, dass in den obersten Führungsebenen des deutschen Gesundheitswesens der Frauenanteil von 2015 zu 2020 insgesamt gesunken sei – vor allem bei Krankenhäusern und im Bereich Politik und Behörden. Auch wenn der Anteil bei Krankenkassen und in der Pharmabranche gestiegen sei, herrscht in keinem Bereich der Gesundheitsbranche Parität. Warum diese in den Gremien der Selbstverwaltung so wichtig ist, erläutert Andrea Galle, Vorständin der BKK VBU: Sie treiben die Meinungsbildung voran und entscheiden, wie Gelder eingesetzt werden. In der Selbstverwaltung seien Männer jedoch überrepräsentiert und spiegelten daher die Diversität von Patientinnen, Patienten und Versicherten nicht wider. „Nur paritätisch besetzte Gremien mit unterschiedlichen Sichtweisen können Entscheidungen treffen, die für alle passen und gerecht sind“, sagt sie.