Berlin (pag) – Hirnorganoide sind Gewebestrukturen aus dem Labor, die Teile der Hirnfunktion imitieren. In einer Stellungnahme der Leopoldina beschreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Möglichkeiten dieses Forschungsgebietes. Eine wichtige Frage lautet, ob dieses Feld aus ethischen oder juristischen Gründen stärker reguliert werden sollte.

Organoide sind aus Stammzellen gewonnene Gewebestrukturen, die in vitro, also außerhalb des menschlichen Körpers, dreidimensional wachsen und die zelluläre Architektur sowie bestimmte Funktionen eines Organs in Teilen nachahmen. Hirnorganoide bestehen so wie das menschliche Gehirn aus Nervenzellen und Gliazellen, die Stütz- und Versorgungsgewebe bilden.
„Hirnorganoide erlauben neue Einblicke in die frühe Gehirnentwicklung und in die Entstehung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen“, sagt Prof. Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin Münster. Sie ermöglichten zudem, die Effekte von Medikamenten, Giftstoffen, Keimen oder Viren auf menschliche Gehirnzellen und auf die Gehirnentwicklung zu untersuchen. Schöler ist ein Sprecher der Arbeitsgruppe, die die Stellungnahme erarbeitet hat. Darin wird beschrieben, wie die Forschung an und mit Hirnorganoiden ein tieferes Verständnis einzelner Prozesse des menschlichen Gehirns ermöglichen kann.
Mit Embryonen nicht vergleichbar
Diese Forschung wirft eine Reihe ethischer und juristischer Fragen auf. Zum Beispiel, ob menschlichen Hirnorganoiden gegenüber eine Schutzpflicht entstehen könnte. Die hierzu vertretenen Positionen sehen solche Schutzansprüche zumeist erst dann gegeben, wenn Hirnorganoide Bewusstsein beziehungsweise Empfindungsfähigkeit besäßen ‒ aus Sicht der Arbeitsgruppe eine Voraussetzung, die gegenwärtig nicht erfüllt ist. Die Stellungnahme verneint, dass weit entwickelten Hirnorganoiden ein vergleichbarer Schutz wie Embryonen zuzusprechen ist. Diese könnten sich – anders als Embryonen – nicht zu einem vollständigen Organismus oder gar Menschen entwickeln. Deswegen sei ein gleichartiger Schutz weder aus dem geltenden Recht ableitbar noch verfassungsrechtlich geboten.
Das Fazit: Auf absehbare Zeit wirft die Forschung an und mit Hirnorganoiden in vitro keine regulierungsbedürftigen ethischen und rechtlichen Fragen auf. Allerdings könnten den Autoren zufolge die aktuellen Grenzen des Entwicklungspotenzials von Hirnorganoiden aufgrund der Dynamik des Forschungsfeldes in Zukunft überwunden werden. In diesem Fall sollten die etablierten Verfahren der wissenschaftsinternen Selbstregulierung genutzt werden, um ethisch, rechtlich oder gesellschaftlich relevante Entwicklungen frühzeitig einschätzen und auf sie reagieren zu können.
Weiterführender Link:
Stellungnahme „Hirnorganoide – Modellsysteme des menschlichen Gehirns“
www.leopoldina.org/hirnorganoide.