In Kürze

Neue Bedarfe versus „schwerfällige Strukturen“

Leipzig/Berlin (pag) – Berufsprofile müssen sich Versorgungsbedarfen anpassen. Die Bedarfe sind außerdem zu analysieren und zu prognostizieren. Diese Herausforderungen hat das Gesundheitswesen zu leisten, um zukunftsfähig zu sein. Doch im Detail ist das alles andere als einfach, wie aktuelle Beispiele zeigen.

Eine Prognose zum geriatrischen Versorgungsbedarf in Sachsen soll das Projekt „Regionale multisektorale geriatrische Versorgungsplanung“, kurz RemugVplan geben. Es hat den Versorgungsbedarf von geriatrischen multimorbiden Patienten für Sachsen analysiert und die Entwicklung bis 2050 prognostiziert. Die Forschenden untersuchten, wie viel ambulante, stationäre, pflegerische und rehabilitative Leistungskapazität für deren Versorgung erforderlich ist. Anschließend erfolgte ein Abgleich mit den tatsächlich vorhandenen, regionalen Versorgungsstrukturen. Die Modellierung basiert auf Primärdaten, Routinedaten der AOK PLUS, Zensusdaten sowie Daten geografischer Dienste. Hinzu kamen Experteninterviews und Befragungen von Angehörigen.

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Es sei eine Herausforderung gewesen, die Daten zusammenzustellen, berichtet Projektleiterin Dr. Ines Weinhold vom Wissenschaftlichen Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung. „Wenn man die Kapazitäten in den Strukturen und in den Einrichtungen nicht kennt, ist das schwierig.“ Auch die Übertragung des vom Innovationsfonds geförderten Projekts über Bundeslandgrenzen hinweg „scheitert einfach an den Datengrundlagen“.

Mit der Herausforderung, Berufsprofile an die Versorgungsbedarfe anzupassen, hat sich unterdessen der Bundesverband Managed Care im Rahmen einer Fachtagung beschäftigt. Als ein Problem identifiziert Wiebke Böhne dort die „Schwerfälligkeit der Strukturen“. Viele Berufe hätten sich zwar weiterentwickelt oder neu gebildet, um den neuen Versorgungsbedarfen gerecht zu werden. Sie kämen aber nicht über den Status von Pilotprojekten hinaus, bemängelt die Referentin für Strategie und Grundsatzfragen bei der AOK Niedersachsen. „Der ordnungspolitische Rahmen kommt dem nicht nach.“ In eine ähnliche Kerbe schlägt Sonja Laag, Leiterin Versorgungsprogramme bei der Barmer in Wuppertal: Es fehle an modernen Versorgungs- und Stellenverträgen, um die Kräfte adäquat einzusetzen.

Ganzheitlicher Blick

Manch einer in der Praxis fürchte aber den Wandel hin zu mehr Interdisziplinarität, eine Kultur der Zusammenarbeit müsse noch entstehen, die ärztliche Dominanz bisweilen abgebaut werden, sind weitere Impulse aus dem Podium. Es gehe darum, Kompetenzprofile zu entwickeln und sich an internationalen Best-Practice-Beispielen zu orientieren.

In der „Spezialisierung“ und „Fragmentierung“ der Gesundheitsberufe sieht Prof. Nils Schreiber allerdings auch Probleme. Der „ganzheitliche Blick auf den Patienten“ sei nicht mehr möglich, meint der Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er sieht zwar die Notwendigkeit, meint aber: „Der Hausarzt selbst kommt fachlich nicht mehr nach.“

Spezialisierung führt zu neuen Aufgaben. Als Beispiel nennt Prof. Erika Gromnica-Ihle von der Deutschen Rheuma-Liga die rheumatologischen Fachassistenten. Diese „nehmen dem Arzt Arbeit ab“, böten sogar selbst eigene Sprechstunden an. Diese Leistungen würden aber nicht angemessen vergütet.