Prof. Henry Völzke über Datenschätze für die Prävention
Berlin (pag) – „Wir sehen als Gesellschaft zu, wie wir immer kränker werden und wir tun nichts dagegen“, kritisiert Prof. Henry Völzke kürzlich in Berlin. Der Vorstandsvorsitzende der NAKO bringt für die Prävention den Datenschatz der Gesundheitsstudie ins Gespräch. Welche Potenziale er sieht und ob die Politik interessiert ist, lesen Sie im Interview.
Welchen Beitrag kann die NAKO für die Prävention und die Früherkennung hierzulande leisten?
Völzke: Die NAKO Gesundheitsstudie ist eine Beobachtungsstudie. In 18 Studienregionen untersuchen wir die mehr als 200.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wissen daher recht gut darüber Bescheid, welche Bevölkerungsgruppen, welche Regionen und welche sozialen Gruppen besonders von Risikofaktoren und Erkrankungen betroffen sind.
Hätten Sie ein konkretes Beispiel?
Völzke: Wir sehen eine zunehmende Häufigkeit von Adipositas in der Bevölkerung. Davon ist vor allem der Nordosten betroffen, also Vorpommern und die Mecklenburgische Seenplatte. Der Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern ist das bereits bekannt und sie tut, was sie kann – etwa Aufklärungskampagnen, gesunde Ernährung in Kitas et cetera. Aber die Möglichkeiten des Landes sind eben beschränkt. Es müsste viel mehr auf Bundes- und EU-Ebene passieren, ein Stichwort ist die Zuckersteuer. Mithilfe der NAKO-Daten könnten wir zukünftig beurteilen, was solche Maßnahmen gebracht haben – zum Beispiel, ob der durchschnittliche Body-Mass-Index gesenkt wurde.
Wie sieht es mit der Früherkennung von Erkrankungen aus?
Völzke: Da kann und wird die NAKO Gesundheitsstudie eine große Rolle spielen. Ein starker Punkt sind Biomarker aus verschiedenen Körperflüssigkeiten. Mit neuen Verfahren können innerhalb kurzer Zeit eine Vielzahl an Informationen aus Blut, Serum, Urin oder Stuhlproben gewonnen werden. Das ist natürlich ein Feld der Grundlagenforschung: diese Technologien anzuwenden und dann neue Marker, die eventuell zur Früherkennung von Erkrankung eingesetzt werden können, überhaupt erst einmal zu finden. Außerdem haben wir zahlreiche Untersuchungsverfahren, um subklinische Auffälligkeiten zu bestimmen.
Was sind das für Auffälligkeiten?
Völzke: Dabei handelt es sich um Auffälligkeiten, die auf einen Krankheitsprozess hindeuten, aber selbst noch keinen Krankheitswert haben. Im MRT sieht man zum Beispiel eine vergrößerte Leber, eine vergrößerte Milz, die Verfettung von Organen. Die Frage, mit der sich die Wissenschaftler dann die nächsten Jahre und Jahrzehnte beschäftigen, lautet, ob solche Auffälligkeiten wirklich als Vorhersagemarker für spätere Erkrankungen verwendbar sind.
Zur Person
Prof. Henry Völzke ist Vorstandsvorsitzender der NAKO. Der fünfköpfige Vorstand ist die Außenvertretung der Gesundheitsstudie gegenüber Wissenschaft, Politik, Medien, der Öffentlichkeit und Förderern. Völzke leitet außerdem die Abteilung SHIP/ Klinisch-Epidemiologische Forschung am Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald. SHIP steht für Study of Health in Pomerania, dabei handelt es sich um eine bevölkerungsbezogene, epidemiologische Studie in der Region Vorpommern im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.
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Das dürfte auch ein wichtiger Punkt für die Alzheimertherapie sein, die ja vor den ersten klinischen Auffälligkeiten einsetzen sollte.
Völzke: Gerade das MRT liefert möglicherweise Befunde, von denen wir noch gar nicht wissen, ob sie eine Bedeutung haben. Bei der sogenannten Radiomix-Untersuchung werden mit neuen Bildanalyseverfahren Auffälligkeiten wie bestimmte Muster, Unterschiede zwischen verschiedenen Gehirnanteilen, Größenunterschiede und auch Signalintensitätsunterschiede identifiziert. In Zukunft, wenn wir genügend Fälle mit Alzheimer oder Parkinson in der NAKO haben, werden wir sehen, ob diese bereits jetzt aufgespürten Auffälligkeiten wirklich einen Krankheits- oder zumindest einen Prognosewert haben.
Wo sehen Sie die größten Potenziale?
Völzke: Das größte Potenzial ergibt sich aus der einzigartigen Kombination aus dem Umfang der Untersuchungen und der Größe der Studienpopulation – und das in Verbindung mit dem langfristigen Ansatz: Wir beobachten die Teilnehmer über Jahrzehnte nach, um zu sehen, wer leider krank wird, wer gesund bleibt und welches die Faktoren sind, die über Krankheit und Gesundheit entscheiden. Außerdem ist die NAKO Gesundheitsstudie ein hoch interdisziplinäres Projekt, mit Neurologen, Kardiologen, Diabetologen und Orthopäden an Bord, auch Zahnärzte sind beispielsweise dabei. Irgendwann fügt sich das Ganze zu einem komplexen Bild zusammen, etwa Zahnauffälligkeiten wie Paradontitis, die mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert sind. Das Potenzial ergibt sich somit aus dem Umfang der verschiedenen Untersuchungen, und die Größe der Population macht es wiederum möglich, die verschiedenen Interaktionen zwischen Risikofaktoren, subklinischen Auffälligkeiten sowie genetische Faktoren in Bezug auf Krankheitsrisiken zu bestimmen.
Was muss die Politik tun, um diesen Datenschatz zu heben?
Völzke: Uns weiterhin unterstützen. Bund, Länder und die Helmholtz-Gemeinschaft, die die NAKO Gesundheitsstudie finanzieren, unterstützen uns sehr. NAKO ist ein langfristiges Projekt und damit etwas Besonderes in der deutschen Wissenschaftsszene, denn die Politik hat sich für 30 Jahre verpflichtet, die Gesundheitsstudie zu fördern. Wir möchten sie davon überzeugen, dass diese 30 Jahre nicht ausreichen. Die NAKO hat deutlich mehr Potenzial, wenn wir zum Beispiel eine neue Stichprobe hinzufügen, um Prävalenztrends zu beobachten oder die Kinder der NAKO-Teilnehmer in die Untersuchung einbeziehen könnten. Dafür gibt es Verständnis bei unseren Förderern, aber wir erleben natürlich eine angespannte finanzielle Situation.
Hat der Bundesgesundheitsminister Sie bei seinen Bemühungen um die Vorbeugemedizin auf dem Schirm?
Völzke: Ich wünschte mir, er würde das Potenzial der Studie für die Gesundheit unserer Gesellschaft noch intensiver nutzen. Zum Beispiel könnten Erkenntnisse der NAKO auch in die Gesundheitsberichterstattung einfließen oder eigene Forschungsfragen des Ministeriums an die Gesundheitsstudie angedockt werden.
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Die NAKO
Die NAKO ist Deutschlands größte Langzeit-Bevölkerungsstudie, bei der fortlaufend in 18 Studienzentren über 205.000 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger umfassend medizinisch untersucht und nach ihren Lebensgewohnheiten befragt werden. Zu Beginn der Erhebung im Jahr 2014 waren die Teilnehmenden 20 bis 69 Jahre alt. In fünf ausgewählten Zentren wurden bislang bei 30.000 Studienteilnehmenden das bildgebende Verfahren der Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt. Im Laufe der Studie wurden rund 28 Millionen Bioproben gesammelt und stehen für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung. Den Verantwortlichen zufolge ist NAKO ein „einzigartiges Projekt, das die medizinische Forschung und die Gesundheitsprävention nachhaltig prägen wird“.
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