Berlin (pag) – Bei den Kranken- und Pflegekassen knirscht es finanziell gewaltig. Neben kurzfristigen Hilfen brauche es große Strukturveränderungen, verlangt die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, Ende 2024 auf der Veranstaltung „GKV live“ ihres Verbandes. Der Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner hält die Rückkehr von Budgets und Selbstbeteiligung für „kaum vermeidbar“.

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Die GKV verzeichnet für die ersten neun Monate des Jahres 2024 ein Defizit in Höhe von 3,7 Milliarden Euro. Für das Gesamtjahr erwarte man ein Defizit von vier bis viereinhalb Milliarden Euro, so Pfeiffer. Die steigende Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung sei zwar seit Jahren eine große Herausforderung. „Inzwischen muss man sagen, dass die Situation geradezu prekär ist“, betont sie. Ähnlich klingt es beim stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer: „Die Beitragssatzsprünge zum Jahreswechsel waren kolossal. Die Kassen mussten auf breiter Front anheben“, sagt er Anfang Januar. Bei den tatsächlich erhobenen Zusatzbeiträgen liege man im Mittel nicht bei den prognostizierten 2,5, sondern bei über 2,9 Prozent. 2015 lag der Zusatzbeitragssatz noch bei durchschnittlich etwa 0,8 Prozent.
Greiner: AMNOG-Wirkung überschätzt
Dem Bielefelder Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner zufolge hat sich die Ampel-Regierung zu sehr auf gute Steuereinnahmen verlassen und die einsparende Wirkung des AMNOG überschätzt. Nun stehe man vor enormen Problemen, da Sozialbeiträge jenseits der 50 Prozent für eine Volkswirtschaft „eigentlich undenkbar“ seien, so der Wissenschaftler bei „GKV live“. Bei solchen Größenordnungen könnte man aber in absehbarer Zeit landen – zumal nicht nur generell die Kosten steigen, sondern auch akuter Investitionsbedarf im Gesundheitswesen bestehe.
Zu den verschiedenen Vorschlägen, die bereits seit Längerem zur Lösung des Finanzproblems diskutiert werden, hält Greiner fest, dass die meisten bisher nicht durchgerechnet worden seien. Bei einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze sei beispielsweise unklar, wie stark man diese anheben könnte, ohne eine große Abwanderung der betroffenen Versicherten in die Private Krankenversicherung auszulösen. Ähnlich sieht es mit Ideen wie Praxis- beziehungsweise Kontaktgebühren oder der Einführung eines Kapitalfonds aus.
Überstrapazierte Beitragsfinanzierung

Greiner betont, dass sich die Beitragsfinanzierung als Grundpfeiler bewährt habe. „Sie ist nur zurzeit etwas überstrapaziert.“ Der Ökonom glaubt daher, dass eine regelgebundene Steuerfinanzierung hinzukommen müsse. Und: Da Erleichterungen durch Effizienzpotenziale erst langfristig wirkten, sei darüber nachzudenken, „in welcher Form Eigenbeteiligung wieder stärker in den Vordergrund“ treten werde. „Die Rückkehr von Budgets und Selbstbeteiligung ist kaum vermeidbar“, lautet Greiners Fazit. Allerdings schränkt er ein, dass solche Instrumente möglicherweise noch nicht in der kommenden Legislaturperiode ein Thema werden. Aber wenn kein „starker wirtschaftlicher Impuls“ durch das Land gehe, werde die Politik zu solchen Maßnahmen gezwungen sein, prophezeit er.