Im Gespräch

„Wenn ich dann noch da bin…“

Dr. Cindy Körner über ihr Leben nach der Krebsdiagnose

Berlin (pag) – Krebsforscherin Dr. Cindy Körner wechselt nach einer Brustkrebsdiagnose die Seite und spricht im Interview über Herausforderungen als Krebsüberlebende, Lücken in der Nachsorge und der Angst vor einem Rückfall. „Die größte Veränderung ist wohl der Verlust der gesundheitlichen Unbeschwertheit“, konstatiert Körner.

© Marius Stark, NCT Heidelberg

Zur Person Dr. Cindy Körner ist promovierte Molekularbiologin in der Krebsforschung. Nach ihrer eigenen Brustkrebsdiagnose steht sie plötzlich „auf der anderen Seite“. Als Sprecherin des Patientenforschungsrats Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg bringt sie Wissenschaft und das Patientensein in Einklang. Zudem beteiligt sich Körner an der im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs geförderten Studie SURVIVE zur Brustkrebsnachsorge.
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Wie hat sich Ihr Leben durch die Brustkrebsdiagnose und -therapie verändert?

Körner: Die größte Veränderung ist wohl der Verlust der gesundheitlichen Unbeschwertheit. Es schwingt seit der Diagnose in allen langfristigen Plänen der Gedanke mit: „Wenn ich dann noch da bin…“. Meine größte Herausforderung ist nach wie vor, das Vertrauen in meinen Körper und mein Körpergefühl wieder zurückzufinden. Abgesehen von den psychischen Themen habe ich insbesondere während der Akuttherapie auch körperliche Beeinträchtigungen erlebt – beispielsweise akute Entzündungen mit hohem Fieber, Bewegungseinschränkungen durch die OPs oder eine temporär gefährliche Schwächung des Immunsystems. Das alles hat meinen Körper ganz schön mitgenommen und macht mir nach wie vor zu schaffen.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Körner: Ich bin trotz einer gesünderen Lebensweise mit mehr Sport und einem gesünderen Gewicht als vor der Diagnose lange nicht so belastbar wie zuvor. Die Erschöpfung, auch Fatigue genannt, ist unter Langzeitüberlebenden weit verbreitet und beeinträchtigt den Weg zurück in ein normales Leben immens. Gleichzeitig hat meine Erkrankung mir neue Perspektiven eröffnet. Ich habe mich dazu entschieden, diese Perspektiven positiv zu nutzen und mich als Patientenvertreterin zu engagieren, um die künftige Versorgung von Patienten und Patientinnen zu verbessern. Dazu gehört auch, dass ich gemeinsam mit anderen Patientenforschungsräten am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) dazu beitrage, dass klinische Studien patientenzentrierter werden.

Wie gestaltet sich die medizinische Nachsorge? Werden alle wichtigen Aspekte Ihrer Gesundheit ausreichend überwacht?

Körner: Die medizinische Nachsorge bei Brustkrebs ist klassisch sehr stark auf ein mögliches Wiederauftreten des Tumors in der Brust oder der Achselhöhle ausgerichtet. Das wird engmaschig mit verschiedenen Bildgebungsmethoden überwacht – obwohl das nicht das ist, wovor ich persönlich am meisten Angst hätte.

Sondern?

Körner: Schlimmer wäre das Auftreten von Fernmetastasen in anderen Organen, wie den Knochen, dem Gehirn, der Lunge oder der Leber. Nach aktuellem Stand der Nachsorge werden diese häufig erst erkannt, wenn sie so groß sind, dass sie Symptome verursachen. Das verunsichert uns Patientinnen natürlich.

Wie äußert sich das?

Körner: Viele von uns hören deswegen sehr genau in uns hinein, um Symptome frühzeitig wahrzunehmen. Und wenn wir etwas wahrnehmen, sind das natürlich meistens keine Symptome, die durch Metastasen verursacht werden – Kurzatmigkeit ist beispielsweise meist Folge einer Erkältung. Diese ständige Alarmbereitschaft belastet psychisch immens. Das ist für Außenstehende manchmal schwer nachvollziehbar und wird in der Nachsorge in meinen Augen unzureichend berücksichtigt. Zudem haben Langzeitüberlebende oft Schwierigkeiten, Ansprechpartner für das komplexe Zusammenspiel verschiedener Langzeitfolgen zu finden. Onkologen und Onkologinnen verweisen auf die jeweiligen Fachärzte und Fachärztinnen, die auf ihr Fachgebiet spezialisiert sind, aber etwa mit möglichen Wechselwirkungen zwischen Tumortherapien wenig Erfahrung haben. Da fühlt man sich oft hilflos und verloren.

Viele Betroffene berichten noch Jahre nach der Diagnose von Diskriminierungserfahrungen. Welchen Ungleichbehandlungen sind Patienten ausgesetzt?

© stock.adobe.com, InsideCreativeHouse

Körner: Persönlich habe ich keine sozialen und ökonomischen Ungleichbehandlungen erlebt. Glücklicherweise war mein Arbeitsvertrag als Wissenschaftlerin kurz vor der Diagnose entfristet worden. Dank einer Berufsunfähigkeitsversicherung war ich über die Dauer der Akut-therapie, welche mehr als ein Jahr dauerte, finanziell gut abgesichert. Außerdem habe ich in meinem sozialen und beruflichen Umfeld viel Unterstützung erfahren und die Erkrankung nie als Stigma empfunden. Möglicherweise lag das auch an meinem offenen Umgang mit der Diagnose, der Behandlung und den damit verbundenen Einschränkungen. Offene Kommunikation beugt unter den passenden Umständen vielen Missverständnissen und Spekulationen vor. Ich kenne allerdings auch andere Fälle.

Zum Beispiel?

Körner: Menschen mit einer Schwerbehinderung haben ein Anrecht auf zusätzliche Urlaubstage. Ich kenne Fälle, wo ihnen in der Folge vom Arbeitgeber der vertragliche Urlaub gekürzt wurde, damit sie keinen „Vorteil“ gegenüber den Kollegen und Kolleginnen haben. Manche Arbeitgeber verwehren ihnen, eine für ihre Situation angebrachte Tätigkeit zu übergeben – ohne Rücksicht auf die Auswirkungen zu nehmen, etwa die eingeschränkte Leistungsfähigkeit in bestimmten Bereichen. Ich kenne auch Menschen, denen aus diesen Gründen nahegelegt wurde, den Arbeitgeber zu verlassen. Zusätzlich haben gerade junge Langzeitüberlebende das Problem des Nicht-Vergessens. Ihre frühere Diagnose kann zu teils massiven Nachteilen führen, beispielsweise bei Versicherungen, Krediten, Berufswahl oder auch Adoptionswunsch.

An welchen gesetzlichen Stellschrauben sollte gedreht werden?

Körner: Gerade in Bezug auf die angesprochenen Schwierigkeiten von jungen Langzeitüberlebenden gibt es seit einiger Zeit Bestrebungen nach einem „Recht auf Vergessenwerden“, wie es in anderen europäischen Ländern schon besteht. Vorangetrieben werden diese Initiativen von Patientenorganisationen, darunter die Stiftung „Junge Erwachsene mit Krebs“, und von onkologischen Fachverbänden wie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Dieses Recht würde beinhalten, dass es bei Langzeitüberlebenden nach einer Heilungsbewährung von beispielsweise zehn Jahren keine Benachteiligung mehr gegenüber Nicht-Erkrankten geben darf. Laut EU-Vorgabe muss auch hierzulande bis Ende 2025 eine entsprechende Regelung umgesetzt werden. Auch eine bessere finanzielle Absicherung wäre wünschenswert, wenn Menschen aufgrund einer Krebserkrankung langfristig nicht arbeiten können. Mit dem Verlust des Krankengeldes nach 78 Wochen fallen sie aktuell in die Arbeitslosigkeit oder in die Erwerbsminderungsrente. Beides führt zu finanziellen Einbußen und erschwert die Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Außerdem wünsche ich mir eine konsequentere Umsetzung der Nachteilsausgleiche im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung. Was nützt ein Kündigungsschutz, wenn es für Arbeitgeber Schlupflöcher gibt oder sie konsequenzlos schwerbehinderte Mitarbeitende aus ihren Beschäftigungsverhältnissen drängen können?

Stichwort psychische Unterstützung bei Langzeitüberlebenden: Welche Angebote gibt es? Sind sie ausreichend?

Körner: Die psychische Unterstützung kommt leider deutlich zu kurz. Aufgrund der steigenden Zahl von Langzeitüberlebenden ist davon auszugehen, dass sich der Mangel künftig eher verschärfen wird. In der Zeit um die Diagnose und die Akuttherapie besteht an den zertifizierten onkologischen Zentren die Möglichkeit einer hochqualifizierten psychoonkologischen Unterstützung. Wie viele andere Angebote der Zentren endet dieses allerdings mit der Akuttherapie. Doch gerade in dieser Phase stehen die Überlebenden vor den Herausforderungen der Rückkehr in einen neuen Alltag. Dabei treffen oft die Erwartungen des Umfeldes, dass alles wieder gut sei, auf die gefühlte Realität der Betroffenen, in der erstmal nichts gut ist.

Was kann helfen?

© Kateryna Onyshchuk, Alamy Stock Photo

Körner: In dieser Phase können Anschlussheilbehandlungen oder Rehabilitationsmaßnahmen hilfreich sein. In den Reha-Kliniken wird auch viel Aufmerksamkeit auf die psychische Rehabilitation gelegt. Eine weitere Option stellen Krebsberatungsstellen dar, in denen Betroffene und deren Angehörige auch zu späteren Zeitpunkten kostenfrei und unkompliziert psychoonkologische Beratung bekommen können. Diese kann sowohl in akuten Krisen als auch in der Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz sehr wertvoll sein. Neuere Ansätze nutzen zudem wissenschaftlich validierte Smartphone-Apps, sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen, um – vereinfacht ausgedrückt – die Langzeitüberlebenden dazu zu befähigen, sich selbst zu helfen und so selbstwirksam ihre Belastung zu reduzieren.

Für viele Langzeitüberlebende ist die Angst vor einem Rückfall ein ständiger Begleiter. Wie gehen Sie damit um? Haben Sie Tipps für andere Betroffene?

Körner: Diese Gedanken kann ich gut nachvollziehen. Das Bewusstsein, dass es nach wie vor zu einem Rückfall kommen kann, schwingt auch bei mir immer mit. Wobei ich es nicht mehr als Angst bezeichnen würde. Es lähmt mich nicht mehr und ich hatte schon lange keine irrationale Paranoia als Reaktion auf unspezifische Symptome mehr. Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der Situation vor ein oder zwei Jahren. Ähnliches höre ich von anderen Betroffenen, deren Diagnose weiter zurückliegt. Es gibt also Hoffnung für alle, die sich momentan noch durch die Angst vor einem Rückfall gelähmt fühlen. Wie sich die Angst überwinden lässt, ist sicherlich sehr individuell. Mein erster Impuls war, sie beiseitezuschieben – zu vermeiden, darüber nachzudenken. Dieser Weg hat für mich überhaupt nicht funktioniert. Die Angst hat mich in unerwarteten Momenten plötzlich überrollt, bis hin zu Panikattacken. In sehr intensiven und schwierigen Gesprächen in der Krebsberatungsstelle habe ich meine Gefühle mit der Beraterin thematisiert und aufgearbeitet. Mir hilft der Gedanke, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um den Rückfall zu verhindern: Ich halte mich zuverlässig an meinen Medikations- und Nachsorgeplan und bemühe mich bewusst um eine gesunde Lebensweise. Zumindest im Rahmen dessen, was in meinen Alltag passt. Jede und jeder Betroffene muss den individuell passenden Weg für den Umgang finden. Ich kenne Menschen, für die der richtige Weg darin liegt, nicht über die Angst nachzudenken und sich auf das Positive und die Gegenwart zu fokussieren.

Sie nehmen an der klinischen Studie „SURVIVE“ teil. Worum geht es dabei?

Körner: SURVIVE hat das Ziel, die bereits angesprochene unzureichende Nachsorge in Bezug auf Fernmetastasen bei Brustkrebs zu verbessern. Im Rahmen der Studie soll der Nutzen von Liquid Biopsies, also der Untersuchung von Blutproben, geprüft werden.

Wie genau?

Körner: In den Blutproben von Patientinnen mit einem erhöhten Rückfallrisiko wird nach sehr spezifischen Markern für Tumorzellen, der sogenannten zirkulierenden Tumor-DNA, gesucht. Wenn diese im Blut einer Patientin entdeckt wird, ist es nahezu sicher, dass in der Folge Metastasen entstehen. Die Studie stellt die Frage, ob das frühzeitige Entdecken von Metastasen und die damit verbundene frühere Behandlung die Prognosen der Patientinnen weiter verbessern können. Dafür werden Blutproben von mehr als 3.000 Patientinnen gesammelt. Die Hälfte davon wurde zufällig dem Kontrollarm der Studie zugeteilt und die Proben werden nur gelagert. Die Proben der anderen Hälfte werden untersucht. Falls Tumormarker entdeckt werden, wird eine gezielte Suche nach den möglichen Metastasen ausgelöst. Als Studienteilnehmerin weiß ich nicht, welcher Gruppe ich angehöre. Ich weiß also nicht, ob ich selbst überhaupt von der Teilnahme profitieren könnte, falls ich einen Rückfall bekomme. Trotzdem war mir sofort klar, dass ich teilnehmen möchte – um einen winzigen Teil beizutragen, dass die Nachsorge für Patientinnen mit hohem Rückfallrisiko treffsicherer gestaltet werden kann, um ihnen die Angst vor großen, schwer behandelbaren Metastasen zu nehmen und die Prognose weiter zu verbessern.