Im Fokus

Wider die Scheinpartizipation

Digitale Gesundheitsforschung mit Patienten gestalten

Berlin/Hamburg (pag) – Ist in einer Legislatur, in welcher der Bundestag ein Digital-Gesetz, ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz und ein Medizinforschungsgesetz verabschiedet hat, die Patientenbeteiligung in der digitalen Gesundheitsforschung ein blinder Fleck geblieben? Ein kürzlich vorgestelltes Positionspapier rückt dieses vernachlässigte Thema in den Mittelpunkt.

© PT DLR/BMBF, Manfred Wigger

Im Positionspapier „Einbeziehung von Patientenorganisationen in die digitale Gesundheitsforschung“ sind auf 19 Seiten Empfehlungen und Lösungsansätze formuliert, um die Beteiligung von Patientinnen und Patienten zu unterstützen. Deren Forderungen lauten unter anderem:

  • Um Erfolg zu gewähren und ein Mindestmaß an Kooperation zwischen Patienten und Forschenden herbeizuführen, müssen Patienten und ihre Vertretungen aktiv in digitale Transformationsprozesse von Anfang an eingebunden werden.
  • Die Partizipation von Patientenorganisationen, Betroffenen und Angehörigen bei der Anwendung von digitalen Forschungsprozessen muss von allen Beteiligten realistisch gestaltet werden.
  • Eine fachliche, monetäre, personelle, strukturelle und technische Ausstattung ist die Grundbedingung für die Einbindung von Patientenorganisationen.
  • Es bedarf einer erhöhten Aufmerksamkeit für vulnerable Gruppen. Stigmatisierung und Diskriminierung müssen verhindert werden.

Erarbeitet haben die Betroffenen das Papier in einem konsensorientierten Prozess, der im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbundes PANDORA begleitet wurde.

Startpunkt war eine Stakeholder-Konferenz, die im Juni 2024 in Hamburg stattgefunden hat und an der über 30 Vertreter von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen aus ganz Deutschland – sowohl vor Ort als auch digital – teilgenommen haben. Zwei Tage diskutierten sie über Aufklärungs- und Einwilligungsprozesse, Forschungsdatenmanagement, Partizipation an Forschung, digitale Teilhabe und relevante ethische Werte für eine Forschungsbeteiligung. Das Ziel: einen Konsens für das Positionspapier zu erarbeiten. Am Ende des zweiten Tages steht der erste vorläufige Entwurf des Positionspapiers. Fertiggestellt wird dieser von einem Redaktionsteam, das aus vier Vertreterinnen und Vertreter von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen besteht. Einer von ihnen ist Thomas Duda von der Pro Retina Stiftung Deutschland. Bei der Vorstellung des Positionspapiers auf einer Pressekonferenz im Rahmen der PANDORA-Abschlusskonferenz sitzt er mit auf dem Podium. Er betont dort: „Es gibt ein hohes Potenzial durch Patientenbeteiligung, was leider nicht erkannt wird.“ Ihm ist es wichtig, dass das Positionspapier die momentanen Zustände nicht nur kritisch beschreibt, sondern auch konkrete Verbesserungsvorschläge formuliert. Durch informierte Patienten wie auch durch den Input aus ihrem Erfahrungsschatz werden Daten- und Forschungsergebnisse bedarfsorientierter ver- beziehungsweise angewendet, ist Duda überzeugt.

Scheinpartizipation entgegenwirken

© PT DLR/BMBF

Für Prof. Silke Schicktanz, Universitätsmedizin Göttingen, ist das Positionspapier ein wichtiges Instrument, um „reflektierte und selbstbestimmte Position einer Vielzahl von Patientenverbänden in die deutsche Debatte einzubringen“, sagt sie bei der Pressekonferenz. Ihre Forschungskollegin und PANDORA-Leiterin Prof. Sabine Wöhlke von der HAW Hamburg adressiert in ihrem Statement die Wissenschaftscommunity. Die Forschenden sollten reflektieren, wie eine langfristige, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Patientenvertretenden aussehen könne. Für diese Organisation seien Reflexion der eigenen Erwartungen und Ziele, Umgang mit Macht, Transparenz in der Kommunikation aber auch Anerkennung von Erfahrungsexpertise wichtig. Wöhlke appelliert: „Eine intensivere Auseinandersetzung mit Machtasymmetrien und der oft fehlenden Transparenz über Forschungsprozesse ist geboten, um der bisher noch zu oft existierenden Scheinpartizipation in der partizipativen digitalen Gesundheitsforschung entgegenwirken zu können.“

Wie es weiter geht

Die Botschaft ist mehr als deutlich, doch um den angemahnten Umdenkungsprozess einzuleiten, müssen äußerst dicke Bretter sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaftsszene gebohrt werden. Dass keiner der von PANDORA angefragten Gesundheitspolitiker bereit gewesen ist, an der Pressekonferenz teilzunehmen, spricht Bände. Umso drängender die Frage, wie es mit dem Positionspapier weitergehen soll. Wöhlke kündigt an, die wichtigen Ergebnisse der Stakeholder-Konferenz wissenschaftlich zu publizieren und das Positionspapier relevanten Ministerien, Gremien und Entscheidungsträgern zuzuschicken. An dieser Stelle ende der Einfluss als Forschende. Wöhlke: „Aber es kann dann niemand im Forschungsministerium sagen, man wisse ja gar nicht, dass die aktuellen Partizipationsinitiativen nicht wirklich gut im Sinne einer Teilhabe laufen und ob die Patientenorganisationen sich wirklich beteiligen wollen und was es dafür aus deren Sicht bedarf.“

Was ist PANDORA?
PANDORA (Patient*innenorientierte Digitalisierung) ist ein Verbundprojekt unter der Leitung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg). Kooperationspartner sind die Universitätsmedizin Göttingen und die Medizinische Hochschule Hannover. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren ethische Fragestellungen, die mit der Einführung und Nutzung von Digitalisierungsprozessen und E-Health-Technologien im Gesundheitswesen einhergehen. Im Fokus stehen die Perspektiven von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen, die an solchen digitalen Entwicklungen partizipieren. Das Ziel von PANDORA ist die Entwicklung und Bereitstellung von Unterstützungsinstrumenten, die es diesen Organisationen ermöglichen sollen, ihre Interessen bei der Beteiligung an Digitalisierungsprojekten zu wahren und ethische Prinzipien zu respektieren.

Weiterführender Link:
Positionspapier: Einbeziehung von Patientenorganisationen in die digitale Gesundheitsforschung