In Kürze

Zwischen Versorgungszukunft und Science-Fiction

Berlin (pag) – Die Anamnese übernimmt der Avatar, die KI schreibt den Arztbrief, die 
Behandler haben mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten. Auf der Digital Health 
Conference des Verbandes Bitkom schwärmen Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenkassen und der Industrie von den Möglichkeiten neuer Technologien. Doch sie thematisieren auch die Kostenfrage und die Hürden, die noch überwunden werden müssen.

BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt (im Foto links) und Dr. Christian Lenz, Medizinischer Direktor bei Pfizer © Bitkom, Caroline Wittig

Montags kann man Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt noch regelmäßig in seiner Praxis in Bielefeld antreffen. Und montags ist in deutschen Hausarztpraxen bekanntlich Großkampftag. Wie schön wäre es da, wenn sich die Behandler die Anamnese sparen könnten, die stattdessen per Künstlicher Intelligenz (KI) ein Avatar übernimmt.

„Dann bekomme ich von der KI einen Summary, bevor der Patient kommt.“ Diese Vision skizziert Reinhardt auf der Konferenz. Er hofft, dass sich durch KI und digitale Tools das Verhältnis zwischen Arzt und Patient intensiviere – im Sinne eines Shared Decision Making. Der Patient wird zum gleichberechtigten Partner. „Geteilte Entscheidungen sind die, die am tragfähigsten sind“, lautet Reinhardts Überzeugung.

KI gibt’s nicht zum Nulltarif

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (im Foto links) und Dr. Andreas Gassen, Vorstandschef der KBV © Bitkom

Auch Dr. Christian Lenz, Medizinischer Direktor bei Pfizer,
glaubt an eine Entlastung des Arztes durch KI-Einsatz, wie er im Bühnengespräch mit Reinhardt sagt. Dokumentation und Administration werde den Medizinern abgenommen. Diese bekämen dadurch mehr Zeit für die Patienten. Die Arbeit werde „erfüllender und besser“. 
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, geht in eine ähnliche Richtung. Behandlungskapazitäten könnten freigesetzt werden, zum Beispiel wenn eine KI während des Arzt-Patientenkontaktes den Arztbrief schreibt. Die „Gesamteffizienz des Systems“ werde durch KI erhöht, sagt er in einem weiteren Bühnengespräch, das er mit Dr. Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), führt. „Natürlich wird KI einen festen Platz in Therapie und Diagnostik haben“, ist dieser überzeugt. Das sei ohnehin bereits in einigen Bereichen der Fall. Aber es gebe sie nicht zum Nulltarif. Chips seien sehr kostenintensiv. Und: „Der Energiehunger von KI ist gigantisch.“ Gassen glaubt auch nicht – und da geht Reinhardt mit ihm d’accord –, dass digitale Tools den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen lösen. „Das ist Science-Fiction“.

Wie ein „Land voller Nobelpreisträger“

Lenz wünscht sich in Deutschland mehr Mut beim Einsatz von KI. „Wir spielen die Risiken unverhältnismäßig hoch und verbauen uns dadurch die Chance.“ Andere Länder seien enthusiastischer. Er hofft, dass die Skepsis gegenüber Unternehmen abgebaut werde und träumt von Public Private Partnerships. Davon könnten alle Stakeholder profitieren. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz mit der Weiterentwicklung des Forschungsdatenzentrums begrüßt der Pharmavertreter sehr. Es eröffne die Chance zu Expansionen und Investitionen. Innovationen seien im Grunde ohne KI nicht mehr denkbar, meint er. Ein einzelnes KI-System sei bereits heute mit einem „Land voller Nobelpreis-träger“ vergleichbar.