Genomsequenzierung, ATMPs und Co. verlangen nach neuer Regulatorik
Berlin (pag) – Extrem ausgeklügelte Mechanismen regulieren hierzulande die Einführung von Innovationen in die Welt der GKV. Diese unterscheiden sich nicht nur nach Art der Innovation, sondern auch nach den Sektoren. Das Problem: Die Regularien werden immer komplexer und die Innovationen drohen im Regulationsdickicht verloren zu gehen. Zeit, neue Wege zu beschreiten.

Ein neuer Weg wird mit dem Modellprojekt Genomsequenzierung beschritten, das im vergangenen Jahr gestartet ist. Das Ziel: Patienten mit einer seltenen Erkrankung oder einer fortgeschrittenen Krebserkrankung soll mit einer schnelleren Diagnosestellung oder einer zielgerichteteren Therapierempfehlung geholfen werden. Mit dem 2021 verabschiedeten Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung wurde die rechtliche Grundlage gelegt, um die hochmoderne und komplexe Diagnostik in der Versorgung zu erproben und mögliche zukünftige Anwendungsfälle zu identifizieren. Vertragspartner sind der GKV-Spitzenverband und der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD). Es nehmen über 20 Universitätsstandorte teil, der Kassenverband zahlt für die fünfeinhalbjährige Laufzeit 700 Millionen Euro. Für VUD-Generalsekretär Jens Bussmann ist das Modellvorhaben Neuland. Aber ohne die Initiative wäre die Genomsequenzierung „lost in regulation“. Er sieht das Projekt daher als ein positives Beispiel für die Einführung von Innovationen. So äußert sich Bussmann im vergangenen Jahr auf dem genomDE-Symposium. Seit April dieses Jahres steht fest, dass genomDE bis Ende 2025 fortgeführt wird. Dahinter steht die Absicht, die bisher für das Modellvorhaben Genomsequenzierung erarbeiteten Konzepte weiter auszubauen.
Anspruchsvolle Finanzierungsfragen

Tatsächlich soll der Ansatz des Modellprojekts demnächst „ein wenig kopiert“ werden, wie Thomas Müller vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) bei einer Tagung des Handelsblattes kürzlich verrät. Es geht um Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP), konkret wohl vor allem um CAR-T-Zelltherapien. Wichtig ist dem BMG-Abteilungsleiter Arzneimittel insbesondere, einen „bürokratiearmen Rahmen“ zu schaffen – sowohl für die Anwendung wie für die Eigenproduktion von CAR-T-Zellen. Auch die sehr anspruchsvollen Finanzierungsfragen sollen grundsätzlich geklärt und nicht mehr von jeder Klinik einzeln verhandelt werden.
Auf Nachfrage der Presseagentur Gesundheit erläutert Müller, dass es sich bei dem Modellvorhaben für universitäre ATMP-Innovationszentren um eine „Konzeptidee für einen weiteren innovativen Versorgungsansatz“ handele, mit dem Therapieoptionen im Bereich der ATMP in einem strukturierten, wissensgenerierenden und qualitätsgesicherten Versorgungsablauf und einem bundeseinheitlichen Erstattungsmodell Patientinnen und Patienten in spezialisierten universitären Einrichtungen zugänglich gemacht werden könnten. „Diese Konzeptidee wollen wir mit den Bundesoberbehörden – PEI und BfArM – und den Stakeholdern weiterentwickeln.“
ATMP-Register mitdenken
Mitgedacht und berücksichtigt werden sollen Müller zufolge auch das nach Paragraf 4c des Arzneimittelgesetzes zu erarbeitende Konzept zur Schaffung eines indikationsbezogenen ATMP-Registers sowie bereits vorhandene einschlägige Strukturen. Zu letzterem zählt insbesondere das vom Innovationsfonds geförderte Projekt INTEGRATE-ATMP (siehe Infokasten).
Was ist INEGRATE-ATMP?
Das Projekt INTEGRATE-ATMP entwickelt harmonisierte und qualitätsgesicherte Instrumente zur Sicherung der bestmöglichen Behandlungsqualität von Patientinnen und Patienten, die mit ATMPs therapiert werden. Dazu gehören strukturierte Pläne für die Vor- und Nachsorge, die in allen beteiligten Zentren angewendet werden. Eine telemedizinische Kommunikationsplattform und App sollen den direkten Austausch aller Beteiligten (Patienten, Ärzte und Case Managern) ermöglichen bzw. vereinfachen. Das im Rahmen des Projekts entstehende Register ist den Verantwortlichen zufolge so angelegt, dass es Daten zu unterschiedlichen Erkrankungen, die mit ATMPs behandelt werden, erfassen kann. Dabei soll es bereits bestehende Krankheitsregister nicht ersetzen, sondern mit ihnen verknüpft werden und in Zukunft auch um neue ATMP-Zulassungen erweiterbar sein.
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Modellvorhaben – sei es aktuell zur Genomsequenzierung oder zukünftig für ATMPs – zeigen, dass die bisherige Regulation neuartiger Innovationen derzeit offenbar an ihre Grenzen stößt. Beim AMNOG wird etwa intensiv darüber diskutiert, ob das Verfahren überhaupt noch zeitgemäß ist oder ein grundsätzliches Update benötigt. Die Grundsatzfrage, die dahintersteckt: Wie kann die Regulation von Innovationen möglichst schnell an den medizinischen Fortschritt angepasst werden? Wie passend ist sie für zunehmend personalisierte Behandlungsansätze, deren Evidenzgrundlagen nicht mehr ins bisher übliche Schema passen? Die Industrie fürchtet etwa, dass der medizinische Fortschritt durch systemische Hürden ausgebremst werden könnte.
Nicht überzeugend funktioniert

Dieser Aufgabe muss sich die neue Bundesregierung stellen, die im Koalitionsvertrag angekündigt hat, das AMNOG in Bezug auf Leitplanken und die personalisierte Medizin weiterentwickeln zu wollen. „Dabei ermöglichen wir den Zugang zu innovativen Therapien und Arzneien und stellen gleichzeitig eine nachhaltig tragbare Finanzierung sicher“, heißt es salomonisch.
Ob der Kurs der vergangenen Legislatur mit äußerst komplexen Regulierungen weitergeführt wird, dürfte dagegen eher fraglich sein. Im Bundesgesundheitsministerium scheint man von allzu komplexen Regulierungen derzeit nicht mehr angetan. Das legen zumindest Müllers Erfahrungen mit der Leitplanken-Regelung nahe. Er sagt bei der Pharma-Tagung: „Wenn man zu komplex reguliert, erreicht man oft nicht das Angestrebte.“ Insgesamt hätten die sehr komplexen Regeln zur Steuerung und Senkung der Arzneimittelausgaben – wie Leitplanken und der Kombinationsabschlag – nicht überzeugend funktioniert und zudem „politische Antikörperreflexe“ hervorgerufen. Zu AMNOG 2.0 gibt der ministerielle Abteilungsleiter Arzneimittel zu Protokoll, dass er nicht daran glaube, „dass wir beim AMNOG, was die Preisfindung angeht, noch wesentlich weiterkommen“. Das Verfahren habe zwar für die Evidenz viel gebracht, in Sachen Ausgabendämpfung funktioniere es allerdings nur bescheiden.
Vielleicht ist die Zeit reif für einen mutigen Neuaufschlag.
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Mehr Versorgungsperspektive im AMNOG
Bei einem Panel der Pharma-Tagung des Handelsblattes steht das Thema mehr Versorgungsperspektive im AMNOG im Mittelpunkt.
• Für Han Steutel, Präsident des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), eine wichtige Ergänzung, um das Verfahren auf künftige Herausforderungen vorzubereiten.
• Sabine Jablonka, Leiterin der Abteilung Arznei-, Heil- und Hilfsmittel beim AOK-Bundesverband, ist skeptisch, die Versorgungsperspektive sei bereits intensiv im AMNOG abgebildet. „Versorgungsbedarf statt Evidenz – das wird nicht funktionieren.“
• Dr. Juliane Cornelsen, Leiterin der Abteilung Arzneimittel bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hat dagegen den Eindruck, dass die therapeutische Relevanz dem Verfahren über die Jahre etwas abhandengekommen sei. Sie wünscht sich schnellere Anpassungen, etwa bei Endpunkten. „Da ist die Methodik aber an vielen Stellen sehr langsam.“
• Prof. Bernhard Wörmann von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie fordert angesichts vieler maligner Erkrankungen, die mittlerweile chronifiziert seien: „Wir müssen Overall-Survival in der Onkologie wegkommen.“ Der medizinische Leiter der Fachgesellschaft hebt insbesondere die Bedeutung des Endpunktes Lebensqualität hervor.